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Reisetagebuch

4/6/2003   Israel / Tamra/Ir Ovot

Kuchenberge

Fahrt nach Tamra, Ir Ovot, durch eine wundersame Felslandschaft

(Harald und Renata) Morgens verabschieden wir uns von unseren Goennern waehrend des Wachwechsels. Wir fuellen sechs Plastikflaschen a 1,5 Liter und die beiden Aluminiumflaschen an Renatas Fahrrad mit Suesswasser auf und bekommen noch zwei Lunchpakete mit auf den Weg.

Wir erreichen die Bushaltestelle, an der wir gestern umkehren mussten. Hier ist das Fruehstueck faellig und wir diskutieren ueber den Hund. Ich bin der Meinung, dass der Hund die Hitze in Aegypten und Sudan, Aethiopien und Kenia nicht aushaelt, Renata ist optimistischer. Wir beschliessen die Diskussion aufzuschieben.

Heute ist der Himmel von Wolken bedeckt und es ist zehn Grad kuehler als gestern. Es geht gut voran, auch wenn wir immer wieder schieben muessen, weil es steil aufwaerts geht.

Die Landschaft ist grandios: Uralte Wadis, vor tausenden von Jahren durch grosse Wassermassen geschaffen, hunderte von Metern breit, 10, 20, manchmal 40 Meter tief, haben die flachen Berge durchpfluegt. Mancher Wadi sieht wie ein kleiner Grand Canyon aus. Regen, Sonne und Wind haben weichere Erdschichten und eingeschlossene Gesteine schneller abgetragen, als die haerteren. So entstanden Bruecken, Ueberhaenge, Zacken, Pilzformationen, Saeulen, Hoehlen.

Wir koennen unseren Blick kaum von diesen Formationen lassen. Da gibt es ockergelbe Oberflaechen wie Streuselkuchen, schwarze wie Schokoladentorte, da sind Erdhuegel wie Hefegebaeck mit zitronengelbem Glasurueberzug und Mohnstreuseln aus Basaltgeroell, schraeg emporragende, flaechige Zacken wie abgerissener Blaetterteig, runde, beige Lehmhuegel wie Pralinees aus weisser Schokolade, Huegelketten wie riesiges Spritzgebaeck, kantige, braun-gelbe Brocken wie geschnittener Marmorkuchen, braune Geroellhalden wie Krokantstuecke, feinsandige, helle Huegelchen wie Sahnebaiser, Abbrueche zeigen mehrfarbige Erdschichten, die wie wenig verruehrte Sahne im Kaffee aussehen.

Wir erreichen am Mittag Ir Ovot, den Ort, den uns Andrej aus Haifa genannt hatte. Rechts der Strasse sehen wir die beschriebenen Baracken. Kari stuerzt voran, gibt es doch zwei Hunde auf dem Gelaende. Wir sind richtig, denn das Ehepaar vor dem weissen Haeuschen spricht Deutsch. Ernst und Dorothee heissen sie und erinnern sich gut an Andrej. Die Beiden bitten uns herein, wir sind willkommen.

Ernst erzaehlt, dass sie seit drei Jahren hier leben und arbeiten und dass ihn die besondere, gemeinsame Geschichte Deutschlands und Israels hierher gefuehrt hat. Ernst ist Christ, siebzig Jahre alt und hat den 2.Weltkrieg miterlebt. Er sagt, dass die deutsche Kirche sich mitverantwortlich am Holocaust gemacht hat, weil sie seinerzeit nicht protestierte und er sich hier in Israel dafuer engagieren moechte, dass sich ein solches Drama nie mehr wiederholen kann. Mit viel Einsatz, Einfallsreichtum und Improvisation haben die Beiden viel geschafft, jetzt ist sogar ein Hotel in Planung, man sucht Geldgeber. Und mein alter Professor fuer Gestaltung von der Fachhochschule in Duesseldorf, Herr Wagner, ist hier beteiligt. So klein ist die Welt!

Wir beschliessen zu bleiben und beziehen im Gaestehaus Quartier. Dieses Gebaeude stammt aus der britischen Besatzungszeit, wurde etwa 1925 erbaut und jetzt liebevoll restauriert.

Wir koennen umsonst im Haus bleiben, als Gegenleistung putzen wir Sandsturmstaub in allen Zimmern.

Waehrend des Abendbrotes quiekt es leise im Wohnraum von Ernst - hier leben drei sandfarbene Geckos als Haustiere und halten die Zimmer insektenfrei.

Beim Abendbrot kommen zwei junge Daeninnen vorbei, die dem ratlosen Ernst ein leeres Marmeladenglas unter die Nase halten, drinnen ein allen unbekanntes, totgetretenes Krabbeltier. Ich kann sie aber beruhigen, denn es ist eine grosse Walzenspinne, ockergelb, schnell, bissig, wenn man sie festzuhalten versucht, aber voellig giftfrei.

Ernst erzaehlt von den zahlreichen Schwierigkeiten, die sie ueberwinden mussten. Und bei allem sind die Beiden gluecklich und optimistisch und energiegeladen.

Die nur wenige Einwohner umfassende Siedlung Ir Ovot verdankt ihre Existenz einer "goettlichen Eingebung" eines Juden, seines Zeichens Rabbi, der an Christus als den tatsaechlichen Sohn Gottes glaubte- unter Juden bestenfalls ein Kuriosum, schlimmstenfalls ein Sakrileg. Und dieser Mann glaubte an die Existenz einer Quelle unter der Erde und liess wochenlang Bohrungen machen, bis man aufgab. Aber er behauptete beharrlich, es muesse dort unten Wasser geben und buchstaeblich auf die letzte Minute (!) vor dem Abbruch stiess man in 1200 Metern Tiefe auf eine Wasserader, deren Wasser nicht trinkbar, aber heilkraeftig ist. Ernst nennt das ein Wunder und jetzt haben er und Dorothee regelmaessig Kurgaeste, die im ueber 30-Grad-warmen Wasser baden.

Ich schaue mir spaeter noch einen englischen Dokumentarfilm ueber die ersten Filmaufnahmen an, die man von den befreiten KZs (Konzentrationslagern) in Deutschland, Oesterreich, Polen usw. gemacht hat. Auch Mauthausen ist dabei und Auschwitz. Die Bilder sind starker Tobak und loesen in mir Gefuehle von Entsetzen und Trauer, aber auch Scham aus, denn es waren Landsleute, die Generation meiner Grosseltern, die dafuer verantwortlich war. Es braucht kein Irak, um das Entsetzliche zu finden. Und vielleicht ist die ehrliche Aufarbeitung dieser Geschehnisse etwas, was uns Deutschen heute ermoeglicht, mehr Verstaendniss fuer Andersdenkende zu haben.

Morgen kommen Gaeste her und wir muessen umziehen.

Geschrieben am 9.4. in Tamra / Ir Ovot


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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