5/27/2003 Aegypten / Kairo
Misr / Masr
Die Zeit vom 25. bis 27. / Heisse Tage in der Hauptstadt
(Harald und Renata) Mir kommt Kairo nicht menschenueberfuellter vor als Damaskus, Renata schon. So unterschiedlich sind Wahrnehmungen. Um den Talaat-Harb-Square herum erinnert vieles an den Al-Marschae-Square in Damaskus: Der Verkehr, das Chaos, der Laerm, die vielen Menschen, Lokale und Geschaefte. Es ist heiss hier- an manchen Tagen steigt die Temperatur in der Stadt auf etwa 40 Grad. Abertausende von brummenden, elektrisch betriebenen Klimaanlagen und Ventilatoren sorgen dann auch schon mal fuer einen Stromausfall, der mir dann einen Eintrag ruiniert, weil die Daten verlorengehen. Wenn wir durch die Strassen gehen, zischelt, pfeifft und schnalzt es aus den Muendern der Maenner staendig. Hauptsaechlich ist der Hund gemeint, aber auch Renata wird so versteckt angemacht. Trotzdem kann sie abends, bis in die Nacht hinein, alleine gehen. Vielleicht wegen Kari, vielleicht auch, weil sie sich mit einem Paaerchen trifft, das sie kennengelernt hat, waehrend ich im Kino war. Er ist Deutscher, sie Aegypterin. Und stets wird man angesprochen- von Bettlerinnen, Kindern die schnell ein weinerliches Gesicht aufsetzen, wenn sie die Hand ausstrecken und signalisieren, sie haetten Hunger. Wir geben dann ein Stueck Kuchen, den wirklich armen Leuten, die z.T. verkrueppelt sind, auch Geld. Man mag es nicht glauben, aber noch im vergangenen Jahrhundert gab es den Beruf des Krueppelmachers in Kairo. Sein Broterwerb bestand aus der delikaten Aufgabe, seinen Kunden, die erfolgreichere Bettler werden wollten, zu einer Verkrueppelung zu verhelfen, indem er Augen ausstach, Amputationen durchfuehrte, Narben schnitt u.ae. Die so Gezeichneten nahmen viel mehr Geld ein, als die nicht Behinderten. Es stimmt uns traurig, wenn wir z.B. alte Maenner sehen, die schwerste Karren ziehen, in zerfetzten Kleidern, mit Plastiklatschen durch den allgegenwaertigen Strassendreck laufen, ohne in ihrem Leben eine Aussicht auf auch nur einen einzigen sauberen, ruhigen, sorgenfreien Tag zu haben, auf einen Altersruhestand. Sie haben mehr und haerter gearbeitet, als unsereins, sie altern frueher. Und wenn wir Kinder sehen, die arbeiten muessen, Abend fuer Abend, ja bis spaet in die Nacht hinein auf den Gehsteigen auf dem schmutzigen Pflaster hocken und Papiertaschentuecher verkaufen, manchmal schlafen sie ein und man moechte sie auf den Arm nehmen und nach Hause tragen und ins weisse Laken legen: Mach dir keine Sorgen! sagen. Wer es sich hier leisten kann, andere fuer sich arbeiten zu lassen, tut dies sofort. Einerseits schafft das viele Arbeitsplaetze, denn jeder Miniladen hat so gleich zwei, drei Handlanger beschaeftigt. Andererseits ist es fuer unsere Vorstellungen vom sozialen Miteinander ungewohnt, wie schamlos sich der Chef, der Reiche, der Maechtige vom Untergebenen, Armen, Machtlosen bedienen und umwieseln laesst. Wir erfragen in einem Reisebuero nach den Kosten fuer Karis "Heim"-Flug. Atemberaubend, was allein die Transportbox kostet, die man nicht leihen kann, somdern (angeblich?) kaufen muss. Was macht man hernach mit derselben? Ein Kinobesuch ist hier eine Erfahrung der besonderen Art. Mangels anderen Angebotes schauen wir uns einen Gruselfilm an. Das Kinos heutzutage eher einem Restaurant voller popkornmampfender Verhungernder gleicht, voller klirrend-rollender Flaschen und plastikknisternder, strohhalmschluerfender Imbisslingen, kennen wir ja bestens aus Deutschland. Das aber niemand, wirklich keiner, sein Handy abschaltet, es demnach staendig klingelt, floetet, trillert und melodeit, das lautstark mitten im Film telefoniert wird, ausgedehnt und wichtigtuerisch, das geklatscht, gelacht und munter geschwatzt wird, wie in einem Strassenkaffee, so dass an Verstehen der englischsprachigen Texte nicht zu denken ist, - all das ist neu fuer uns und extrem gewoehnungsbeduerftig. Das in der Vorstellung ab 22 Uhr, in einem Film, der selbst fuer erwachsene Maenner an Schrecken kaum zu ueberbieten ist, Kinder jeden Alters sitzen, zeigt, dass Erziehung hier ganz anders verstanden wird. Der Nachspann wird garnicht gezeigt. Geschaetzte 5 % der Maenner haben auf der Stirn braunrunzlige Male. Beim Beten schlagen oder pressen sie ihren Kopf so hart und haeufig auf den Boden, das Beulen entstehen und die Narben zeigen, dass diese dann manchmal auch aufplatzen. So koennen die Maenner in aller Oeffentlichkeit ihre religioese Inbrunst zur Schau tragen. Freitags sitzen tausende Maenner auf den Strassen vor den Moscheen, weil diese innen voellig ueberfuellt sind und hoeren sich dort, ueber Lautsprecher, die Predigten der Geistlichen an. Auch ohne die Inhalte zu verstehen, moegen wir diese meist geschriehenen oder geschimpften Tiraden nicht. Was verstehen diese Imame von Weltpolitik, von Wirtschaftspolitik, Umweltschutz, Menschenrechten? Was steht am Ende dieser jahrelangen Indoktrination, dieser eingeengten Sicht? Uns sagt man z.B., dass ein schwarzer Hund (oder eine schwarze Katze) der Teufel sei. Kein Witz! Und dann koenne der Blick dieses Teufels moeglicherweise schaden, Unglueck bringen, weshalb man ihn sich am besten mit einem Steinwurf vom Leibe halte. Nicht jede Aktion ist so begruendet, aber die Haltung basiert auf solch abstrusen Vorstellungen, auf Unverstaendnis, Ekel, Angst, religioes motivierter Ablehnung. Misr ist anders- sorry: Aegypten. Misr, wahlweise auch Masr, heisst dieser Staat im Arabischen, urspruenglich ein Wort fuer zivilisiertes gebiet oder Grossstadt. Die europaeische Landesbezeichnung leitet sich vom griechischen "Aegyptos" ab. Solche Sprachverwirrung ist nicht weiter verwunderlich, lautet doch auch der Name unserer Heimat z.B. im Arabischen "Allmanja" (Allemannen), im Englischen "Germany" (Germanen) und wir selbst nennen uns eben "Deutschland" (Teutonen). Morgen gehen wir zur Botschaft, um die Empfehlung fuer die sudanesichen Visa zu bekommen. geschrieben am 30.5. in Kairo
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