5/30/2003 Aegypten / Kairo
Freitagspredigt
Wir treffen Hans und Alexandra, die gerade aus dem Sudan kommt und Seltsames zu berichten hat.
(Harald und Renata) In der Nacht weckt uns der "Mediziner" mit seinem aufmunternden Gesang um ca. 4 Uhr. Mal ueberhoeren wir das, mal nicht. Als wir durch die Strassen um den Midan Talab Harb-Platz streifen, spricht uns wegen des Hundes Hans an, ein Schweizer aus Lausanne, an seiner Seite Alexandra aus Warschau. Wir gehen in "unserem" Strassencafe Limone und Tee trinken und Alexandra erzaehlt von Sudan, aus dem sie gerade zurueckgekehrt ist. Sie hat dort zuletzt bei einem reichen Sheik (Scheich) gewohnt, wie auch andere Touristen. Alles kostenlos, jeden Tag ein ueppiges, gutes Buffet. Weil sie kein Fleisch ass, sprachen die oertlichen Damen des Hauses sie an und sie erklaerte, dass sie Vegetarierin sei. Auch dass musste sie erklaeren: Fleisch sei nicht so gesund, Tierschutz etc. erklaerte sie dann. Infolgedessen wurde sie von bewaffneten Maennern mitten in der Nacht aus dem Schlaf geholt, musste sich vor aller Augen ankleiden, wurde grob behandelt, angeschrien, hatte fuerchterliche Angst, wurde mit dem Auto nach Khartum verfrachtet und verliess das Land ueberstuerzt. Als Grund wurde ihr gesagt, sie sei Hinduistin (da sie kein Fleisch/Rindfleisch esse und Tiere/Kuehe schuetzen wolle) und habe die Frauen vom moslemischen Glauben abbringen wollen( durch ihre Argumentation, warum sie selbst kein Fleisch esse), damit sie Hinduisten wuerden. Alles Erklaeren, Beteuern nutzte nichts, niemand hoerte ihr zu und die tagelange Hoeflichkeit und Freundlichkeit des Sheiks war in Feindschaft umgeschlagen. Es ist Hoeren-Sagen, aber im Kern wohl wahr, denn diese junge Frau macht ueberhaupt nicht den Eindruck, glauebig oder gar bekehrerisch zu sein. Hier im Netcafe habe ich den jungen Suedsudanesen naeher kennengelernt. Baetaeli geht erst auf meine Gespraechsversuche ein, als ich ihm erzaehle, was ich vom Sudan weiss, vom Buergerkrieg und von der Sklaverei. Ja, bestaetigt er, in Khartum gibt es einen Sklavenmarkt, man sehe ihn nicht, aber er sei da. Hier werden nach internationalen Beobachtungen zwischen 8000 und 14000 Menschen jaehrlich als Sklaven verkauft. Sie landen u.a. auch bei Diplomatenfamilien und dadurch auch in Europa. Furore machte der Fall einer jungen versklavten Frau, die in London ihrem "Besitzer", dem Botschafter, entfliehen konnte. Dieser Fall ging durch die Weltpresse und daraufhin erging an alle diplomatischen Vertretungen des Sudan die Aufforderung, ihre Sklaven loszuwerden. Baetaeli ist aus dem Suedsudan geflohen, weil er eingezogen werden sollte. Nach drei Monaten Ausbildung schickt man die Jungs dann zurueck ins Buegerkriegsgebiet, wo sie dann gegen ihre eigenen Leute kaempfen muessen. Deshalb fluechten viele nach Aegypten, seitdem die Grenze wieder offen ist und halten sich hier illegal auf. Und deshalb zieht die Armee halbe Kinder ein, die noch nicht fliehen koennen, weil sie nicht selbstaendig genug sind, um im Ausland klarzukommen. Mit Hans und Alexandra gehen wir in eine Buecherei, weil wir eine Karte vom Sudan brauchen, leider ohne Erfolg. Aber deutsche Literatur gibt es und ich kaufe mir zwei Taschenbuecher. Hans hat mir 20 Pfund in die Hand gedrueckt, wir sollen dem Hund was Leckeres kaufen. Heute ist Freitag. Die Strassen sind in der Mittagszeit deutlich leerer, viele Geschaefte geschlossen. Beim grossen Freitagsgebet ueberbieten sich die Moscheen wieder an Lautstaerke. Aber die Megaphone sind noetig, denn in den Moscheen ist viel zu wenig Platz fuer all die Maenner, die daher auf gruenen Kunststoffmatten auf den Buergersteigen sitzen und dort beten und lauschen. Ich hoere mehrmals "Allmaenija"- Deutschland- und weiss, es geht wieder um Politik. Ca. eine halbe Stunde dauern die "Predigten" der Imame, dann folgt das Gebet, bei dem die Glauebigen auch stellenweise "Allah" zusammen rufen, wie bei den Christen das "Amen". Unter hunderten Maenner sehen wir aber nicht eine Frau, obwohl diese in der Moschee einen separaten, kleinen Raum haben, um getrennt von den Maennern zu beten. Der auffallend aggressive Ton der Predigten und die vielen Betmale, diese haesslichen braunen Narben auf den Stirnen vieler Maenner, werfen die Frage auf, warum dies ausgerechnet hier in Aegypten so ist. Vielleicht befindet sich die aegyptische Gesellschaft in einem Konflikt zwischen Faszination fuer westliche Lebensart und der eigenen Kultur, die so eng mit dem Islam verbunden ist. Aus dieser Bedraengungssituation entsteht dann moeglicherweise ein Diasporagefuehl, aus dem heraus man sich Sicherheit und Selbstgewissheit verschaffen will, indem man gegen die inneren Zweifel Aeusserlichkeiten setzt. Deutliches, Oberflaechliches, Sichtbares versus innere Undeutlichkeit. Und je unsicherer, desto aggressiver. geschrieben am 6.6. in Kairo
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