6/6/2003 Aegypten / Kairo
Melonen vor der Moschee
Freitags in der City
(Harald und Renata) Es wird immer heisser, im Netcafe laufen uns Rinnsale von Schweiss am Koerper hinab. Heute ist Freitag, der Tag des Grossen Gebetes und der Predigt. Ueber Lautsprecher droehnen die Stimmen der Imame durch die Stadt, in keinem Winkel, in keiner Gasse entgeht man der Predigt. Die hier ansaessigen Christen muessen damit klarkommen, ihr Glaube sieht solche "Zwangspredigten" nicht vor. In vielen Geschaeften, Bueros, Taxis etc. laufen auch Radiosendungen oder Cassetten mit Gesaengen der besten Muezzine. So schoen das manchmal klingt- nach einiger Zeit wird es monoton und ohne den Inhalt zu verstehen und ohne Inbrunst wird es dann manchmal nervig. Ich mische mich unter die mittags auf der Strasse sitzenden und betenden Maenner, junge, alte, Polizisten. Viele tragen die "Betmale" auf der Stirn. Vor den Moscheen sammeln sich Pferdefuhrwerke und Eselskarren mit Melonen, Aprikosen, daneben stehen Fruchtsaftverkaeufer, die Strassen sind nahezu blockiert, aber niemand stoert sich daran. Wir wurden in den letzten Monaten mehrfach vor Aegypten gewarnt. Einerseits wegen der aktuellen Lage im Zuge des 2.Golfkrieges, andererseits aber auch wegen der islamistischen Terroranschlaege in den Neunziger Jahren. Aber wir haben hier einen Staat vorgefunden, der Touristen wie heilige Kuehe huetet. Trotz allerorten praesenter Glaeubigkeit fuehlen wir uns nicht belaestigt oder bedraengt. Die hiesigen gewaltbereiten Fundamentalisten gehoeren groesstenteils den Organsisationen "Dschihad"(Heiliger Krieg) und "Gama-a Islamija"(Islamische Gruppe) an. Die oftgenannte "Muslimbruderschaft", eine 1928 in Aegypten gegruendete religioes-soziale Bewegung, wird faelschlicherweise oft mit dem gewaltbereiten Fundamentalismus in Verbindung gebracht. Laut dem Koran, Sure 2, Vers 257, gibt es "keinen Zwang im Glauben". Aber die Frage, wann sich tiefreligioese Muslime in ihrer Lebensweise beeintraechtigt fuehlen duerfen, ist damit nicht beantwortet. Laut Islam gibt es keine Trennung von Staat und Glauben. Es gilt also einen Staat zu errichten, der auf der Scharia basiert, der islamischen Rechtsprechung. Dieses Experiment laeuft im Iran seit ueber 20 Jahren und dort zeigt sich auch die Wandlungsfaehigkeit eines solchen Staates. Diesen Experimenten sollte man gelassener begegnen. Wir haben unseren eigenen Terrorismus gehabt, in Amerika werden mehr Menschen hingerichtet, als im Iran. Wir alle erinnern uns an die Panikmache waehrend des Kalten Krieges, als "die Russen" uns angeblich erobern wollten. Und heute befuerchtet man einen Welteroberungszug des Islam? Der groesste Fehler, den wir machen koennten, waere der, uns in eine vermeintliche Verteidigungshaltung draengen zu lassen. Die gewaltbereiten Islamisten in Aegypten haben sich oeffentlich nahezu "entschuldigt" und die damaligen Anschlaege als Fehler eingestanden. Trotzdem ist alles voller Polizei, ueberall vor den Behoerden, Banken, Einkaufszentren, auf den Plaetzen und vor den Museen stehen junge Maenner mit altertuemlichen Schiessgewehren. Mancherorts sieht man auch kleine Panzerwagen, Betonstellungen und Metallschilde. Das Problem ist aber nicht nur der als bedraengend, ja bedrohlich empfundene westliche Lebensstil, sondern die Perpektivlosigkeit der Jugend. Es fehlt an Bildung und Arbeitsplaetzen. Die Bevoelkerung waechst rasch und staatliche Ueberschuesse, u.a. aus den Suezkanalgebuehren ,dem Oelhandel und dem Tourismus, werden von den anwachsenden Massen verbraucht. Die Arbeitslosenquote, die Inflation, sind Indikatoren fuer die Hoffnung auf eine bessere Welt im Rahmen eines Gottesstaates. Das erinnert mich an die Hoffnungen auf Gerechtigkeit und Gleichheit, die die westliche Jugend in den Kommunismus setzte. Der jetzigen Fuehrung um Praesident Mubarak wird Vetternwirtschaft und Korruption vorgeworfen. Geliebt wird dieser Praesident nicht, schon garnicht verehrt. Der Koran sieht Reichtum als Ausdruck goettlichen Wohlwollens an und der Reiche ist verpflichtet dem Armen zu geben- eigentlich nicht anders, als ein Sozialstaat. Vieles, was uns geweissagt wurde, ist nicht ansatzweise eingetroffen. Aengste haben mit Unwissen zu tun. Wir sind hier und haben keine Angst, weil wir hier sind. "Der Sieg ueber die Angst, das ist auch ein Gluecksgefuehl, in dem ich mir nahe bin." Reinhold Messner, ital.Bergsteiger, geb. 1944 geschrieben am 18.6. in Kairo
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