6/16/2003 Aegypten / Kairo
Achmed
Ein Kindergeburtstag
(Harald und Renata) Auf dem grossen Talaat-Harb-Platz ist Sayeds "Jagdrevier", hier kommen, einem Nadeloehr gleich, die meisten Touristen durch. Und hier laeuft er ploetzlich neben uns. Er hatte uns zu einem Kindergeburtstag eingeladen, aber wir haben das schon vergessen. Wir nehmen gemeinsam ein Taxi, die Fahrt geht aus Kairo hinaus, vorbei an manchem Oldtimer, der hier am Strassenrand steht. Nicht so viele, wie in Damaskus, aber fuer Fans waere auch hier manches Schnaeppchen machbar. Fuer die Fahrt zahlt Sayed 10 Pfund- wir haben fuer solch eine Entfernung mehr als das Zweifache zu zahlen. Wir sind in einer der aermeren Vororte, hier wuerden wir alleine nie hinkommen oder herumlaufen. Ein Fluesschen schlaengelt sich durch fuenf Meter hohes Schilf, rotbraun, die Seitenstrasse besteht aus festgetretener Erde, Abfall liegt herum, Kinder spielen Ball und ein paar Maenner basteln an einem Auto. In einer kurzen, engen Seitengasse liegt der Hauszugang. Hier wohnt eine von Sayeds zwei Schwestern samt Familie. Ihr erstes Kind wird heute ein Jahr alt und der erste Geburtstag wird in Aegypten besonders gefeiert. Noch sind wir im 25-qm-Wohnzimmer zu sechst, aber nach und nach fuellt sich die gute Stube. Man reicht uns kalte Getraenke und herzhafte Reisroellchen in Weinblaettern. Das kleine Maedchen traegt ein rotes Kleidchen und muss fuer alle Kameras herhalten und jeder, der nun zahlreichen Gaeste traegt es herum, will ein "Bussi", wie Kuss sinnigerweise auch hier heisst. Am Ende sind alle Tanten, Onkel, Cousins, Grosseltern und die halbe Kindernachbarschaft versammelt, bis zu 40 Menschen draengeln sich in den Raum. Die Lautstaerke? Unglaublich! Dann, erst gegen 23 Uhr, gibt es drei verschiedene Kuchen auf bunten Papptellern fuer alle, eine herzfoermiger Kuchen mit kleinen Kerzchen, die ausgeblasen werden und -wen wunderts?- auch hier : "Happy Birthday to you". Viele der Nachbarkinder sind sehr arm, tragen keine Schuhe und nur zerschlissene Kleider und die Not steht in ihre Gesichter geschrieben. Immer wieder schauen wir auf Achmed, einen blinden Jungen, der sich eng an Saids Bruder Seite haelt. Wir fragen nach und erfahren folgende Geschichte: Achmeds Mutter ist bei einem Haushaltsunfall vor anderthalb Jahren ums Leben gekommen. Sie stand mit nackten Fuessen im Wasser, als sie ein Stromschlag aus einem defekten Kabel der Waschmaschine traf. Der Vater verliess kurz darauf seine sechs Kinder und ist heute wieder neu verheiratet, aber unauffindbar. In Folge des Verlustes bekam Achmed ein Fieber, das ihn schliesslich erblinden liess. Der aelteste Bruder ist jetzt 15 und steuert etwas Geld bei, auch andere Weiterverwandte helfen den Kindern. Angeblich gibt es staatlicherseits keine Hilfe. Ein Junge und ein Maedchen werden auf die wackelige Tischplatte gehievt und tanzen sehr gekonnt unter Einsatz ihrer zarten Hueften, mit sich windenden Haenden und routiniertemernstem Seitenblick. Genug des Touhuwabouhus, wir fahren zurueck. Wir nehmen einen Minibus, dass kostet nur 75 Piaster pro Person (ca.12 Cent). Was fuer ein brodelnder Kessel diese Stadt ist! Am Nilufer sitzen auf schmalen Gruenstreifen um Mitternacht die Familien und essen, Liebespaare schlendern umher, ohne sich zu beruehren, teilweise in Begleitung der Mutter des Maedchens. Die Werber fuer die Nilboote rufen und tausende Taxifahrer nehmen Fussgaenger aufs Korn- wer nicht schnell genug ist, hat selber Schuld. Und ueber einen Rempler mit dem Kotfluegel regt sich eh keiner auf. geschrieben am 19.6. in Kairo
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