6/22/2003 Aegypten / Kairo
Auf den Spuren Nagib Mahfus und Edgar Alan Poes
Vor, in und ueber der Moschee
(Harald and Renata) Im vier Meter hoch vollgestapelten Lebensmittelladen an der Ecke (der fast die ganze Nacht geoeffnet hat) kaufen wir 250 ml-Packungen Milch fuer unseren Nescafe ein, den wir uns im Hotel selber kochen. Dazu Fruchtjoghurt von Nestle, franzoesischen Kiri-Kaese, mal einen Liter fast sirupartigen Guavesafts. Supermaerkte gibt es in ganz Kairo nicht, man kauft in den kleinen Laeden ein, die sowieso sehr billig sind. Uebrigens gibt es auch keinen einzigen Outdoor-Laden oder ein Fahrradgeschaeft, wie wir es kennen. Meist gibt es in unserem Hotel kein Glas fuer den Kaffee (Tassen schon gar nicht), oder es ist nur eines von den zwei vorhandenen Glaesern aufzufinden. Um das Gas anzuzuenden fehlt Feuer, auf der Toilette gibt es weder Seife noch Toilettepapier noch Klobuerste, im Zimmer wird nicht saubergemacht, es gibt keine Handtuecher und nur auf Anfrage neue Bettwaesche. Soweit zum Service. Der Preis fuers Doppelzimmer mit Klimaanlage betraegt aber auch nur umgerechnet 4,30 EU. Ich mache mich erneut zu Fuss ins Viertel El Gamaliya auf. In den engen Strassen und Gassen der Altstadt wuchs der Dichter Nagib Mahfus auf, der 1988 den Nobelpreis fuer Literatur bekam. In seinen Romanen beschreibt er das Leben in seiner Heimatstadt. Hier gibt es noch alte Holzhaeuser, wunderschoene Bauwerke voller Verzierungen, mit grossen Terrassen und Rundboegen. Mein Weg fuehrt durch die Gasse Bain El-Qasrain. Tiergespanne rumpeln vorbei, Vespas preschen haarstraeubend durch die Massen, klingelnd fahren Brothaendler auf ihren Fahrraedern mit Holzgittern voller kleiner Fladenbrote auf dem Kopf durch die Massen, wahre Jongleure. Alte Frauen sitzen auf Kisten und bieten Gemuese an, ueberall zischt und pfeift es, weil man auf sich und seine Waren aufmerksam machen moechte. Es ist heiss, die Luft staubig, laut, Gerueche von kleinen und kleinsten Restaurants haengen in der Luft, auch Urin und Abfaelle riecht man, ueberall streunen Katzen umher (keine Hunde, die sind selten und aengstlich), die Taxifahrer draengen sich hupend durch die Fussgaenger, die Saft- und Limonverkaeufer scheppern ihre Metalltellerchen und es ist ein Rufen und Schreien und Palavern, eine Synfonie des Lebenswillens. Ich bin an einem der alten Stadttore, dem Bab El-Futuh ("der Eroberungen"). Zwischen diesem und dem benachbarten Tor Bab En-Nasir ("des Sieges") liegt die El Hakim-Moschee. Dieser Kalif der Fatimiden stellte die Moschee fertig, deren Bau sein Vater begonnen hatte. Die Stadtmauer, groesstenteils aus Kalksteinbloecken pharaonischer Bauten errichtet, (wie die Reliefs und Hyroglyphen bezeugen) wurde Rueckwand der Moschee. Frueher war sie Gefaengnis fuer Kreuzritter und Pferdestall, nach einem Erdbeben im Jahre 1303 drohten die schlanken Minarette einzustuerzen und wurden massiv ummantelt. Die Ismailiten (kennen wir ja seit Syrien auch schon- eine der islamischen Glaubensrichtungen) renovierten den Bau 1979. Der kleine Marktplatz vor der Moschee wird gerade gesaeubert, als ich vorbeigehe; auf dem nassen Asphalt liegen noch Zwiebelschalen und Tomatenstuecke und es riecht nach Gemuese. Hinter dem palmenbestandenen Platz liegen kleine Gassen. In einer Nebengasse, in der sich die gegenueberliegenden Obergeschosse fast beruehren, steht ein frisch renoviertes Wohnhaus aus osmanischer Zeit. Um 1650 errichtet, wurde es 1992 bei einem Erdbeben schwer beschaedigt. Die gelben, verputzten Mauern , die dunkelbraunen, ueppig geschnitzten Holzbalkone, die schattigen Innenhoefe sind sehenswert. Vorbei an der Moschee El-Aqmar, erbaut 1125 vom gleichnamigen fatimidischen Wesir, vorbei an mehreren Moscheen, die alle z.Zt. renoviert werden und nur gegen dickes Backschisch betreten werden koennen und Namen von Sultanen, Wesiren, Kalifen und Emiren tragen, erreiche ich den Sultan El-Ghuri-Komplex. Direkt an einer stark befahrenen Strasse gelegen, ueber eine eisene Fussgaengerbruecke erreichbar, macht die Moschee einen renovierungsbeduerftigen Eindruck. Schoen sind in den Moscheen stets die Mihrabs, die Gebetsnischen- so auch hier: ueberreich verziert, aus verschiedenfarbigen Marmoren und Graniten erbaut, teils mit Gold belegt. Diesmal nehme ich das Angebot des wirklichen Hausmeisters an und erkaufe mir fuer kleines Geld die Besteigung des Minarettes, denn jetzt geht die Sonne unter und gleich wird der Muezzin singen. Beim Aufstieg innerhalb des engen Wendeltreppenhauses faellt mir die Geschichte von E.A.Poe ein, in der sich ein nicht schwindelfreier Mann seine Hoehenangst dadurch abtrainiert, dass er immer wieder einen hohen, wackligen Kirchenturm besteigt. Und wie in dieser erschreckenden Geschichte fuehrt mich der Weg jetzt nach draussen, auf eine Aussenbalustrade. Nur zwei Fuss ist der Umgang breit, ein wackliges, uraltes Holzgelaender dient als Begrenzung. Mit schweissnassen Haenden und zitternden Knien steige ich ueber die orangefarben gleissenden Scheinwerfer am Boden. Der Rundblick ist die Muehe wert: Da unten stehen doch zwei Kuehe auf dem Dach! Und die dazugehoerigen Eigentuemer winken mir lachend zu. Mein Blick verliert sich im Smog der Stadt, schweift vom Nilturm El-Borg zu den Pyramiden und den Hochhaeusern entlang des Flusses, ueber die Moscheen und die Zitadelle bis zur Gasse direkt unter meinem Standort. Und jetzt singt der Muezzin. Ich lasse mir Zeit. Als ich abwaerts steige, huscht ein Gecko an der Wand entlang- hat sich das Tierchen doch bis in diese Hoehe gehangelt und sein Auskommen gefunden! Ich gehe weiter zum angrenzenden Stadtviertel Bab El-Khalq, am alten Stadttor Bab es-Suweila vorbei. 1092 von den Fatimiden errichtet, hat es noch uralte, riesige, hoelzerne Torfluegel, die sichtbar seit langer Zeit nicht mehr geschlossen wurden, beschlagen mit hunderten verrosteter Naegel und Eisenbaendern. Die Fatimiden waren Schiiten, eine Glaubensrichtung des Islam, waehrend die Bevoelkerung seinerzeit aus Sunniten bestand (Sunna=Koranschriften). Hinter den dicken Mauern kapselten sich die Fatimiden von den Schiiten ab. Als Saladin (kennen wir ja schon!), ein Schiite, die Macht erlangte, wurden die Tore der "Heiligen Stadt" geoeffnet und das Viertel entwickelte sich zum wirtschaftlichen Zentrum Kairos. Auf das Stadttor setzte Sultan Muaiyad im 15. Jh. die Minarette seiner Hofmoschee. Das bronzene Tor kaufte er der Sultan-Hasan-Moschee ab (am Fusse der Zitadelle). Auch dieser Bau ist eine Oase: Heller Marmorboden und renovierter, heller Sandstein, flatternde Tauben, die einsetzende Kuehle und windige Frische des Abends schaffen eine wohltuende Atmosphaere. Unter den "gotischen" Spitzboegen ringsum schlafen ein paar Maenner in Galabijas und der Schuhannehmer und ein Guide wollen mir wieder einreden, ich muesse Eintritt zahlen. Bleibt man allzu freundlich, wird man sie nicht los. Danach ist es gut, dass man nicht versteht, was sie einem nachsagen. Am Abend sitzen wir bis tief in die Nacht mit unserem neuen Freund Sayed im Gassencafe, hier Coffeeshop genannt. geschrieben am 30.6. in Kairo
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