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Reisetagebuch

8/4/2003   Aegypten / Kairo

Fatmah und Achmed

Zwei Strassenkinder sind uns ans Herz gewachsen

(Harald und Renata) In unserem Hotelzimmer laeuft die ganze Nacht der Deckenventilator und trotzdem sind wir morgens schweissgebadet. Ich habe mir das pinkfarbene Mueckennetz uebers Bett gespannt, aber diese Plagegeister finden trotzdem immer eine Luecke. Allerdings hat sich entweder mein Koerper daran gewoehnt, oder meine Toleranz gegenueber dem Juckreiz ist gewachsen, denn nach weniger als einer Stunde juckt es nicht mehr und es gibt keinerlei Schwellungen. In Deutschland hatte ich oft eine ganze Woche Beulen.

Renata ist nach wie vor die zweite Wahl fuer die Viecher. Lieber fliegen sie sich tot an meinem Netz, als das sie Renata stechen. Zusaetzlich reibt sie sich mit einem Oel zur Abwehr ein und das deutsche Bayer-Produkt haelt, was es verspricht.

Angenehm wird es nach Sonnenuntergang. Es weht in Kairo staendig ein leichter Wind, einen Sturm haben wir noch nicht erlebt. Die Luftfeuchtigkeit ist seit Mai stark gestiegen und die Temperaturen liegen jetzt konstant zwischen 35 und 40 Grad. Nichts gegen Luxor und Assuan, wo das Thermometer dieser Tage auf 52 und 55 Grad anstieg. Auch das ist noch nichts gegen eine Wuestentiefebene in Nordwest-Kenia, die wir wahrscheinlich durchfahren werden: dort hat es schon Temperaturen bis 70 Grad gegeben! Das Durchfahren dieser Gegend um diese Jahreszeit ist schlichtweg unmoeglich.

Im Sudan und in Aethiopien regnet es jetzt heftig, bei hohen Temperaturen ist das die reinste Waschkueche und weder Zelt noch Kleidung wuerden da je trocknen. Abgesehen von den Moskitos, die schon beim ersten Stich Malaria uebertragen koennen.

Wegen des Wetters und unserer angespannten Reisekasse haben wir in den letzten Tagen intensiv mit einer grossen Hotelfirma verhandelt, die uns einen Vertrag als General Manager, bzw. Executiv Manager angeboten hat. Die Vier-Sterne-Anlage liegt auf der Sinai und die Aufgabe haette uns gereizt. Am Ende der Saison, im Oktober, haetten wir dann weiterfahren koennen- gerade die richtige Jahreszeit.

Aber einerseits wurmte uns, dass wir von dort aus nichts Spannendes ueber unsere Reise zu berichten haetten, andererseits wurde uns fuer die Verantwortung wenig Geld angeboten. Heute haben wir endgueltig enschieden und abgesagt. D.h., wir fahren weiter, trotz Hitze. Vielleicht fahren wir sehr langsam...

Unsere Digitalkamera ist im vergangenen Jahr mehrmals auf den Boden gefallen und hat das erstaunlich gut weggesteckt, aber jetzt hat sie doch einen Schaden und muss repariert werden. Wir wollen nochmal ins Aegyptische Museum und die Totenstadt besichtigen (was das ist, erzaehlen wir euch dann).

Stimmungsmaessig wollen wir jetzt auch aus Kairo raus. Renata ist voellig genervt, dass sie auf den Strassen staendig angefasst wird und das selbst, wenn ich daneben gehe. Die Kerle sehen genau, wann ich auf den Boden schaue oder in ein Schaufenster und greifen aus allen Positionen zu, z.B., wenn sie uns entgegenkommen, greift die hochpendelnde Hand von hinten ans Gesaess, oder von vorne zwischen die Beine, oder jemand schubst einen anderen gegen sie und der greift hin, als ob er sich halten muesse. Geschieht das aus einer Gruppe heraus, weiss ich meistens nicht, wen ich mir vornehmen soll. Ausserdem kommt gleich ein vielfaches "Sorry,sorry" und ein unschuldiger Blick. Renata und ich haben uns mehrfach schon solche Individuen vorgeknoepft, manchmal im Sprint, manchmal mit Hilfe von Passanten. Aber es ist einfach laestig und aergerlich, im einem Land voller Gebetmale, Schleier und auf den Strassen koranlesender Menschen derart ungeniert sexuell belaestigt zu werden.

Als Renata vor Tagen zwei Strassenkinder beim Schlafen auf dem Buergersteig fotografierte, wurde sie von einem aelteren Mann lautstark angegriffen, sie wolle Aegypten schlecht machen und Luegen verbreiten. Andere Passanten verteidigten sie zwar, aber es gab einen Auflauf. Seltsam verlogene Logik: Nicht die Tatsache, dass Kinder auf der Strasse schlafen muessen, ist schlecht, sondern dies zur Kenntnis zu bringen. Ein Foto als Luege anzuprangern, ist auch eine Sichtweise.

Die beiden Kinder sind Fatmah(7) und Achmed(11), dunkelbraune Haut und schwarze Kringellocken, tiefbraune Augen und stets schmutzig wie Strassenkatzen. Sie sehen wie Beduinen aus- vielleicht sind sies auch. Ihre Mutter wurde vom Vater verlassen, weil der eine andere Frau geheiratet hat. Die Mutter hat dann wieder geheiratet und der Stiefvater will die Kinder nicht zu Hause haben- irgendwie gibt es da auch noch eine ganze Floete anderer Kinder, von wem, ist nicht klar heraus zu finden.

Einmal pro Woche gehen die Beiden-angeblich- nach Hause, das weit ausserhalb des Zentrums liegt und wenn, dann am Freitag, dem Feiertag. Ansonsten leben sie auf der Strasse und finden sich zumeist abends in einem der Coffeeshops ein. Dort haben wir sie kennengelernt, weil sie uns anbettelten.

Nach und nach hat sich vorallem Fatmah mit Renata befreundet, waehrend Achmed sich stets zurueckhaelt. Wir bestellen den Beiden dann einen Limonensaft und etwas zu Essen und vor einer Woche haben wir sie komplett neu eingekleidet, sehr chic, ihnen endlich Schuhe gekauft und sie mehrfach gebadet. Ihr Haar war voller Laeuse und Renata hat in der Apotheke ein Mittel gekauft und die Koepfchen damit gewaschen.

Die Beiden haben noch andere Goenner und kommen so ueber die Runden. Fatmah kommt uns stets entgegen gelaufen, gruesst uns mit "Rinata" und "Haeri" und gibt uns die Hand, zieht uns zu sich runter und kuesst uns auf beide Wangen, Achmed gibt die Hand.

Nachts schlafen sie auf einem Stueck Pappe auf dem Boden im Coffeeshop, d.h. draussen, unter freiem Himmel. Dann springt eines der Frettchen an ihnen vorbei, um in einem Loch in der Mauer zu verschwinden. Seinetwegen und wegen der Katzen, gibt es wohl auch keine Ratten.

Achmed ist nicht so kontaktfreudig wie seine Schwester und kommt, auch aufgrund seines Alters, schlechter mit der Situation klar. Er ist stolz und schnell gekraenkt und sehr eigenwillig. Ist er, wie leider fast immer, schlechtgelaunt, schlaegt er Fatmah unentwegt. Die haut halbherzig zurueck und scheint ihm die grobe Pruegel nicht uebel zu nehmen. Manchmal umarmt Achmed Fatmah und nachts liegen sie oft Arm in Arm da.

Achmed ist auch aggressiv, weil er "schnueffelt", d.h. er kauft sich eine Kleberdose und steckt sie in eine Plastiktuete und inhaliert das Loesemittel, bis er glasig aus roten, geschwollenen, traenenden Augen schaut. Dann wird er noch zorniger und hat schon manchen Schlag von Gaesten einstecken muessen, weil er in seinem Zustand seine Schwester maltraetiert.

Geld geben wir wenig, weil wir denken, dass Achmed das fuer Kleber verwendet und/oder die Eltern das Geld den Kindern abnehmen. Auch andere Strassenkinder kommen da in Frage.

Die Beiden gehen nicht zur Schule, was auch eine Blamage fuer den Staat ist. Kein Sozialamt, keine Polizei, niemand kuemmert das Schicksal dieser Strassenkinder.

Die Uebernahme der geringen Schulgebuehr von jaehrlich etwa 10 EU ist nicht das Problem. Aber ohne die Zustimmung der Eltern, koennen wir aus eigener Initiative nicht taetig werden. Was die Kinder uns aber ueber die haeuslichen Verhaeltnisse erzaehlen-Alkohol, Gewalt u.ae.,- laesst da wenig Chancen. Selbst wenn wir die Kinder zur Schule braechten- sie waeren am naechsten Tag wieder auf der Strasse. Da wuerde nur ein Internat helfen. Das aber ist erstens teuer und loest zweitens das Problem auch nicht. denn ein Internat ist kein Gefaengnis und die Kinder kaemen nach Hause und auf die Strasse zurueck und der Kreislauf begaenne von vorne. Vorallem Achmed braucht schon einen Psychologen, um aus seiner Verschlossenheit und Wut und von der Droge loszukommen.

Wir sind nicht lange genug hier, um diese dauerhafte Verantwortung zu uebernehmen. Es tut uns leid, nicht mehr tun zu koennen.

Wir selbst haben hier in den Coffeeshops oft Kontakt zu Leuten gehabt, die nicht nur Schischa rauchen, sondern regelmaessig auch Haschisch und mindestens zwei Dealer sind hier staendig unterwegs. Der Handel laeuft relativ offen ab, genauso uebrigens wie die Prostitution.

Schaue ich hier im Netcafe beim Schreiben nach rechts, sehe ich Bataly Jackson, den jungen Mann, der hier jeden Tag im Netcafe arbeitet, aus dem Sudan. Ein feiner Kerl, der uns stets vor den Hustlern gewarnt hat, von denen uns vorgestern einer um viel Geld betruegen wollte.

Aber das ist eine andere Geschichte...

geschrieben am 4.8. in Kairo


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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