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Reisetagebuch

9/15/2003   Aegypten / Idfu

Grosskampftag

Auf einer Nebenstrecke und ohne Polizeischutz durch die tiefe Provinz: Unser schlimmster Tag in Aegypten.

(Harald und Renata) In der Nacht nutzten uns auch Papiertaschentuchstoepsel in den Ohren nichts: Zwei der Schiffe, auch das an unserem Kopfende, legten wieder ab, Hunde verbellten sich, die Hochzeit tobte und neben dem Zelt schwapten die Wellen der vorbeifahrenden Schiffe auf den Kai. Und ich war staendig "auf der Wacht" um mein Weib zu beschuetzen, oder so. Jedenfalls schreckte mich alles auf und so sind wir beide am Morgen wie geraedert. Der Sonnenaufgang versoehnt uns etwas und um sieben Uhr brechen wir auf.

Wir bleiben auf der linken Nilseite und die Polizei legt heute keinen Wert auf Begleitschutz. Die schmale Teerstrasse fuehrt gewunden durch die Felder und die Morgenstimmung ist herrlich. Alle sind noch etwas leiser, langsamer, die Luft ist noch nicht verstaubt.

Dann stossen wir auf eine groessere Strasse, an der wir in einem Coffeeshop fruehstuecken. Als wir abfahren, fragen wir, wo wir den Abfall lassen koennen. Ein junger Mann nimmt den kleinen Plastikbeutel, ueberquert die Strasse und wirft den Abfall in den Kanal zwischen Strasse und Dorf.

Es sind nur 53 km bis zum heutigen Etappenziel Idfu, aber bei mir macht sich eine Erkaeltung breit und die Beine sind muede.

Irgendwo hier steht noch eine Minipyramide von 18 Metern im Quadrat, "El Kula" genannt. Aber wir muessen nicht alles sehen, fahren weiter. Wir sind gutgelaunt, gruessen freundlich und staendig, winken. Aber ohne Polizeischutz werden wir weniger zurueckgegruesst, eine Ahnung, die wir schon hatten, als wir manchmal die Seitenblicke der Gruessenden auf die Polizei sahen.

Und oft klingt ein "Hallo" garnicht froehlich, sondern wie eine trotzige Herausforderung. Wir blicken in finstere Gesichter, muerrische Mienen. Die Knaben und Jugendlichen schlendern uns provozierend in den Weg, hinter unserem Ruecken erklingen ueble Sprueche und Gelaechter.

Wir passieren etwa 10 km vor Idfu einen der ueblichen Polizeikontrollpunkte, werden aber binnen Minuten "freigelassen", koennen ohne Begleitschutz weiterfahren.

Dann wendet sich das Blatt fuer uns, ein Albtraum auf den restlichen Kilometern beginnt.

Zunaechst bettelt mich, wie schon hundertfach zuvor, ein Knabe an: "Money, money!" fordert er. Wuerden wir stets Geld verteilen, saehe das aus, wie die Prinzengarde beim Kamellewerfen. Und wie wuerdelos fuer beide Seiten, denn hier auf dem Land leidet keiner Hunger, hat jeder Obdach, Kleidung und Nachbarn.

Ich fahre also an dem Knaben vorbei, wobei er mir auf den Ruecken schlaegt. Ich renne ihm nach, aber er laeuft durch das Innere der Wohnhaeuser davon.

Dann ueberholen wir einen Eselskarren, auf dem ein etwa 6-jaehriger auf einem Stapel Zuckerrohr sitzt und uns das schlimmste Schimpfwort entgegenruft. Sein Vater sagt ihm nur, er solle vorsichtig sein, vielleicht spraechen wir ja Arabisch. In der Tat haben wir uns, in den jetzt ueber sieben Monaten im arabischen Sprachraum, einige Kenntnisse zugelegt. Heute waere mir lieber, ich wuerde nichts verstehen.

Dann kommt uns ein laechelnder junger Mann auf seinem Fahrrad entgegen, kreuzt die Fahrbahn und faehrt direkt auf Renata zu, die links versetzt, vor mir faehrt. Renata muss ausweichen, um nicht gerammt zu werden! Ich drehe um und verfolge den Mann, der sich nach ein paar hundert Metern in den hohen Zuckerrohrfeldern in Sicherheit wiegt, sonst haette ich ihn kaum eingeholt, samt meinem Gepaeck. Ich schubse ihn ins Feld, falle selbst vom Rad, als der Vorderreifen im weichen Sand des Feldrandes abwaerts rutscht, halte aber den Gepaecktraeger des Mannes fest. Es entwickelt sich ein Handgemenge, der Mann schreit aengstlich, obwohl er groesser ist als ich. Ich schlage ihn nicht, sondern lasse ihn gehen, werfe aber seine Sandalen ins Feld. Kurz durchzuckt mich die Idee, sein Rad zusammenzufalten, aber das verwerfe ich, denn Renata ist nicht verletzt.

Lohn der Aktion: Ein grosser Riss in der Lowridertasche, eine Beule am Schienenbein und ich sehe aus, wie nach einem Tag Feldarbeit.

Die Aktion hat an der Hauptstrasse einen Auflauf verursacht, aber nur zwei Maenner sagen "Sorry" zu uns. Hoffentlich merkt man sich fuer zukuenftige Touristen, dass die sich manchmal wehren.

Dann, nur einen Kilometer weiter, steht wieder ein freundlich laechelnder, junger Kerl am Strassenrand. Als Renata ihn passiert, greift er ihr blitzschnell unter ihrem Arm hindurch an die Brust. Wir bremsen sofort, ich renne dem etwa 18-jaehrigen hinterher, hole ihn ein, er wirft sich vor Angst schreiend zu Boden, tritt mir vor meine Beule am Schienenbein (Sterne, als waers Nacht!). Ich muss mich zwingen, ihm eine saftige Ohrfeige zu verpassen, weil er auf dem Boden liegt, sich unterwirft. Aber Renata ist ausser sich, ich fuehre mir vor Augen , was er falsch-laechelnd getan hat und lange kraeftig zu, dann lasse ich ihn gehen. Es ist nicht moeglich, ihn so lange festzuhalten, bis in diesen Winkel Polizei kommt. Und um uns herum laufen wieder Maenner zusammen.

Renata wirft dem Kerl zwei Steine hinterher, ihr Muetchen ist nicht gekuehlt.

Wir fahren weiter. Auf einer Mauer sitzt ein Junge von ca. 17 Jahren, dahinter luemmeln sich ein halbes Dutzend Burschen. Der Junge belegt Renata mit einem Schimpfwort, ich halte an, stelle ihn zur Rede, er spuckt vor mir aus, ich werfe ihn von der Mauer, packe ihn und schreie mir meine Wut und Entruestung auf Deutsch vom Herzen: Was, zum Teufel, glaubt ihr eigentlich, sind wir? Eure Buettel, Dreschbeutel? Niemand steht uns zur Seite.

Dann halten wir an, um Wasser zu trinken. Mehrere Jungs sitzen da herum und es fliegen Steine in unsere Richtung, worauf wir sie auseinanderjagen und dann ihre Kleidungstuecke, die herumliegen, ins Wasser werfen. Hier eilen uns jedoch zwei Maenner zu Hilfe, werfen selbst Steine und machen den Jungs Vorhaltungen, entschuldigen sich.

Wir sind nur noch etwa 5 km vor Idfu, passieren die Ortschaft El Kihl Gharb. Vier Jungs sehen uns kommen, bauen sich als Spalier mit Stoecken und langen Latten bewaffnet, auf der Strasse auf. Wie schon in Jordanien, habe ich mich mit einer Rute bewaffnet und lasse sie kreisen, ohne zuzuschlagen, worauf sie ausweichen, hinter uns herlachen. Wann kommt endlich Idfu, warum gibt es keine Polizei? Nur durch, ankommen.

Als wir schliesslich Idfu erreichen, sind wir erschoepft, voellig entnervt, gereizt. Wir haben aufgehoert zu gruessen, wir glauben die Freundlichkeit nicht mehr. Hier sind wir ganz und garnicht willkommen, nicht persoenlich, nicht als Deutsche oder Radfahrer, sondern als "Westler", als "Inglese"(Englaender), wie wir sie rufen hoeren, manchmal auch "Amerikan". Es ist, was wir verkoerpern, den Lebensstil, es ist, was wir bringen, ungebeten, neben unserem Geld.

Es gibt nur ein Hotel in Idfu, dass "Al Madina", wir haben keine Wahl. Es ist klein, schmutzig und etwas ueberteuert. Aber der Besitzer, Herr Taha, ist ein freundlicher, alter Herr, der uns herzlich willkommen heisst.

Wir besuchen den besterhaltenen Tempel Aegyptens hier in der Stadt. Er ist dem Gott Horus geweiht und vor seinem Eingangspilon steht noch ein Granitfalke mit Krone. Grimmig schaut er drein, ganz so, wie wir uns fuehlen.

Der Tempel wurde von den ptolomaeischen Pharaonen zwischen 237 und 57 v.C. errichtet. Hier werden vor allem Horus und seine Goettergemahlin Hathor und ihr Sohn Harsomtus dargestellt. Weitgehend unbeschadet hat der 36 Meter hohe, komplett ueberdachte Bau die ueber 2000 Jahre ueberstanden. In seinen dunklen Kammern steht sogar eine Barkensaenfte, in deren Innerem wohl eine Horusstatue getragen wurde.

Aber uns ist trotz des schoenen, beeindruckenden Bauwerks, nicht mehr nach Kultur. Wir wollen alleine sein.

geschrieben am 19.9. in Assuan


 

 

 

 

 

 

 

 

 


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