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Reisetagebuch

9/29/2003   Aegypten/ Lake Nasser

Wendekreis des Krebses

Einschiffung und Ueberfahrt

(Harald und Renata) Morgens packen wir unsere Sieben Sachen: Sechs Gepaecktaschen und einen Lenkerkoffer. Wir haben nochmal alles gewaschen, auch das Moskitonetz, aber das aegyptische Schmieroel laesst sich nicht entfernen, auch nicht aus den Hosen.

Im Touristenbuero raet Herr Hussein mir, nicht den Zug zum Staudamm zu nehmen, sondern mit dem Taxi zu fahren. Ein falscher Rat, wie sich herausstellt. Und er zeigt sich froh, dass wir den Versuch aufgegeben haben, auf dem Landweg in den Sudan einzureisen, denn das haetten schon viele stets vergeblich versucht. Mir faellt dieser Prinzipienbruch nicht leicht, aber diese wahrscheinlich groesste "Radfahrluecke" zu akzeptieren, ist eine reine Vernunfsentscheidung.

Ein letztes Fruehstueck in einem der Coffeeshops am Bahnhof, ein letzter Eintrag im Netcafe. Meinem notwendigen Zahnarztbesuch stand immer wieder etwas im Wege und jetzt reicht die Zeit nicht mehr. Hoffentlich lassen die Zahnschmerzen nach.

Dann faehrt das Taxi vor und wir beginnen die Reise Richtung Sueden mit einer Irrfahrt, obwohl der Fahrer erklaerte, er kenne den Weg zum Grossen Damm. Als Assuaner sollte er das auch. Aber er muss sich durchfragen, dann haelt uns die Polizei auf, weil wir kein Ueberfahrt-Ticket fuer den Damm haben. Schliesslich zahlen wir 30 Pfund, anstatt der 2, dir wir gezahlt haetten, waeren wir mit dem Zug gefahren. Na, herzlichen Glueckwunsch!

Am Kai versucht der Taxifahrer - altbekanntes Spiel - den Fahrpreis neu festzulegen, denn er habe ja soviel suchen muessen!

Dann gilt es mehrere fuer uns undurchsichtige Zahlungen zu entrichten, bei denen ich das deutliche Gefuehl habe, es handelt sich um Touristensonderzuschlaege, ein halboffizielles Korruptionsverteilungssystem. Nachzuweisen ist das nicht und zeitverzoegernde Schikanen wollen wir jetzt nicht riskieren.

Die Faehre soll zwischen 17 und 19 Uhr ablegen, man muss allerdings bis 14 Uhr “einchecken”. Unsere belgischen Freunde sind schon seit 8 Uhr hier in dem uns umgebenden Chaos: Taschen, Koffer, vor allem “Afrikanische Koffer”- umwickelte Kartons- stehen ueberall mitten im Weg, es gibt keine Hinweisschilder und keine erkennbaren Wartereihen. Ob am Eisstand, beim Brotverkauf, oder hier beim Zoll: eine klare Reihe zu bilden, scheint ausserhalb der Moeglichkeiten der Einheimischen. Jeder streckt mit langen Armen an den vorne Stehenden seinen Pass vorbei, draengelt sich von den Seiten heran und hat keinerlei Scham, jemanden, der bereits laenger wartet, einfach zu ueberrunden. Dazu kommt, dass es einigen Auserwaehlten aus unerfindlichen Gruenden gestattet ist, hinter die Schalter zu treten und dort den Beamten bestmoeglichst im Wege zu stehen und trotzdem (oder deswegen?) bevorzugt behandelt werden. Auch uns widerfaehrt diese seltsame Bevorzugung, gegen die niemand protestiert.

Heiss wird uns, als der Beamte keinen Ausreisestempel in Renatas Pass setzen will, weil sie in ihrem neuen Pass keinen Einreisestempel hat. Wir haben unsere alten Paesse “verloren”, weil wir, mit den israelischen Visas darin, nicht in den Sudan einreisen koennen (kennen wir schon aus Syrien). Renata hat ihren zweiten Pass aus Deutschland mitgebracht und nur das Visum darin und zum Grenzuebertritt den alten Pass benutzt, waehrend ich bei der deutschen Botschaft in Kairo einen neuen Pass bekommen habe. Letztlich muss Renata nun ihren Pass hervorholen und vor allen Leuten auf den Tresen legen. Allein der aegyptische Einreisevermerk verraet uns schon: "Grenzort Taba" steht da, d.h., wir sind offensichtlich von Elat, Israel gekommen. Wenn jetzt jemand darauf achtet und uns bei den sudanesichen Behoerden verpfeifen wuerde, koennten wir nicht einreisen. Aber es geht ganz schnell und erleichtert lassen wir uns von einem Traeger die schweren Raeder aufs Schiff tragen. Der Mann zeigt uns einen guten Platz auf dem Deck, im Schatten.

Auf dem Kai herrscht ebenfalls ein heilloses Durcheinander, weil jeder kommt und geht, wie er will und niemand als Verlademeister fungiert. Und mancher ist zu spaet, will aber schnell wieder weg. Dann wird ueber Kreuz verladen, jeder steht dem anderen im Weg, es ist nicht mitanzusehen. Man moechte lachen, ueber soviel Liebe zur Konfusion.

Es werden Unmengen von Kartons mit Nudeln, Tomatensosse, Cola, Fanta, Fruchtsaefte, Plastikgeschirr, Kekse, aber auch Plastikstuehle und Kuehlschraenke verladen- alles von Hand, weil es keinen Kran gibt, auch keine Paletten. Das Deck sieht abends um 20 Uhr, als wir endlich, nach ueber 12 Stunden Verladung, ablegen, aus wie eine Rumpelkammer. Meterhoch tuermt sich alles, an die Rettungsbotte zu kommen, waere nahezu unmoeglich, ein Sturm wuerde die Fracht von Deck wehen. Dazu kommt, das die meisten Lueftungsrohre und Notausgaenge zugestapelt sind. Unter Deck, wo wir reservierte Plaetze haben, halten wir uns keine zwei Minuten auf, denn hier gibt es mehr Kartons, als Passagiere und die liegen, statt zu sitzen.

Wir halten unseren Platz weitgehend kartonfrei, indem wir auch schon mal ein paar, die man zwischen unsere Reader stellt, einfach umsetzen. Entschiedenheit respektiert man ja hier.

Irgendwo seitlich am Schiff wird ein grosses Beiboot vertaeut, so dass der ganze 50-Meter-Kahn deutlich schief im Wasser liegt. Das Auto der Belgier und drei Jeeps sind dort verladen. Ohnehin metertief durch die zu schwere Fracht gesunken, macht der Pott den Eindruck eines Fliegenden Hollaenders, denn es ist jetzt dunkel, nur eine schmale Mondsichel und die Sterne und eine winzige Lampe neben dem Komandostand spenden Licht. Der Kahn brummt schwer durch die winzigen Wellen, die ein frischer Wind auf der Oberflaeche des Stausees formt. Wie kann der Kapitaen hier ueberhaupt die Richtung halten? Ein Sonar hat er nicht, das konnte ich sehen. Ab und zu wird ein grosser Scheinwerfer angemacht und dann tauchen braune Felsen im Licht auf, Berge, deren Spitzen, wie die von Eisbergen, unserer Titanic allzu gerne den Rumpf aufreissen wuerden.

In der “Mensa” treffen wir die Belgier und eine fuenfkoepfige Reisegruppe, denen die Jeeps gehoeren. Gegen Verzehrbons gibt es Fuhl, Brot, Kaese und Salat. Letzteren lasse alle am Tisch unberuehrt zurueckgehen. Man hat die gleichen Erfahrungen mit aegyptischem Salat gemacht, wie wir.

Aus einem Kofferradio erklingt sudanesische Musik, deutlich andere Klaenge, als die in Aegypten und Syrien. Keinerlei Anklaenge an westliche Disko-, Hip-Hop-, Rap- oder sonstige Mainstream-Musik. Dafuer Akkordeon, unbekannte Trommeln. Und eine Gruppe sudanesischer Maenner singt a-capella, nur einer klatscht den Takt. Das klingt schon mehr nach Afrika, wie wir uns das vorzustellen pflegen.

Die 5er-Jeep-Crew besteht aus einem Iren namens Podraig, sowie Jasper und Emma, zwei Englaendern und Sarah und Pieter, Suedafrikanern. Jasper und Emma reisen bis nach Kapstadt und wollen dort etwa im August 2004 sein- das ist ungefaehr auch unser Zeitplan. Die Gruppe ist durch Libyen gefahren und hat dort gute Erfahrungen gemacht. Es bestaetigt sich einmal mehr, dass gerade nicht touristisch orientierte Laender einen Besuch lohnen.

Wir schlafen auf unseren Matten auf Deck - Renata auf einer grossen Metallkiste und ich auf dem Boden. Es ist kuehler geworden, der Wind blaest kraeftig und wir benutzen die Schlafsaecke.

Irgendwann in der Nacht kreuzen wir auf dem groessten kuenstlichen See der Welt den Wendekreis des Krebses.

geschrieben am 10.10. in Dongola


 


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