9/30/2003 Aegypten / Lake Nasser
Ueber Aegypten
Ueberlegungen und Fakten
(Harald und Renata) Das “Thema Aegypten” laesst sich nach fuenf Monaten Aufenthalt nicht abschliessen, ohne den Versuch einer Zusammenfassung. Aegypten war und ist der Nil und der Nil ist Aegypten. Aegypten ist auch der Suezkanal, mit seiner umstrittenen Geschichte und weltweiten Bedeutung. Aber es ist auch ein Experiment, denn hier prallen westliche Ideale, Wertvorstellungen, Einfluesse auf tiefen, religioesen Widerspruch. Tourismus ist Die Einnahmequelle des Landes, angekurbelt bereits vor 200 Jahren durch die Pyramiden, Tempel und Graeber der antiken Zeit. Der Tourismus wird vom Staat mit aller Macht geschuetzt, aber von der Bevoelkerung nicht innerlich wirklich akzeptiert. Die Einnahmen sind willkommen, aber die unwillkuerlichen Nebenerscheinungen eines Massentourismus bleiben ein Problem. Da gaebe es eine Menge zu tun, um nur die schlimmsten Folgen abzufedern. Es fehlt an Bildung und Selbstreflexion. Ein Beispiel zu letzterem ist ein Artikel einer in Englisch erscheinenden Tageszeitung in Kairo, The Egyptian Gazett, vom 7.9.2003. Hier wird ernsthaft kritisiert, dass lt. letzten Statistiken 18177 Auslaender Jobs von Aegyptern uebernommen haben- bei einer Bevoelkerung von 65 Mill.!. Wann hatten wir zuletzt so wenige Fremdarbeiter und wurde damals schon so offen fremdenfeindlich argumentiert? Zudem, schreibt der Verfasser Amr Emam, wuerden diese Auslaender den Touristen gegenueber nicht alle Vorteile Aegyptens herausstellen, sondern das Land unfair kritisieren und die Touristen floegen mit unvorteilhaften Eindruecken nach Hause. Dieser Unfaehigkeit, den Problemen des Landes ehrlich ins Auge zu sehen, sind wir oft begegnet. Man sucht die Schuld stets im Aussen, es sind die Feinde, die Auslaender, die Andersglaeubigen, grosse Verschwoerungen, dunkle Plaene, die Aegypten ins Unglueck stuerzen. So wird es auch in der Zukunft wenig Aenderung, Toleranz und Verstaendnis geben. Wir jedenfalls sind skeptisch, ob es eine mittelfristige Verschmelzung unserer Wertvorstellungen mit denen in Aegypten geben kann. Ob es eine dauerhafte Ruhe im Land geben wird, ist eine ebenso offene Frage. Wir Touristen muessen uns fragen, ob wir uns im Land angemessen verhalten und sollten diskuttieren, wie wir uns den Problemen, die unsere Besuche mit sich bringen, gegenueber stellen. Besucht man waehrend einer Rundreise die meisten Sehenswuerdigkeiten des Landes, so kostet das etwa 100 Euro an Eintrittsgeldern. Aber man lernt so gut wie nichts ueber das Land, denn man ahnt als Tourist oft nicht einmal, was im Lande vor sich geht. So bilden die Individualreisenden eine eigene Gruppe, deren Berichte mit denen der Flugreisenden oft nicht vereinbar ist. Groessten Einfluss auf Aegyptens Geschichte hat der Lake Nasser, der durch den Bau des neuen Staudamms in den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden ist. Er hat eine Laenge von 510 km(!) und ist zwischen 5 und 35 km breit. Nachdem der See 1996 mit 157 Milliarden Kubikmetern uebervoll gelaufen war (viel Wasser im Lake Nasser!), versucht man nun bei Toschka (s. unsere Fahrt nach Abu Simbel) mittels eines Kanals Wasser in die Wueste zu leiten. An den Ufern des Sees leben Krokodile bis zu fuenf Metern Laenge, Schlangen, wie die Hornviper, aber auch Fuechse und Gazellen. Der See ist fuer seinen Fischreichtum und die riesigen Nilbarsche beruehmt. Hier wurden schon 100-kg-Burschen geangelt. Der Staudamm selbst ist 110 m hoch- leider haben wir ihn nicht von der trockenen Seite her gesehen. Bei seinem Bau starben ueber 450 Menschen. Aber allein seine Planung loeste einen Krieg aus, denn die Weltbank, die USA und England zogen 1956 ihre Finanzzusagen aus diplomatischen Gruenden ploetzlich zurueck, worauf der Praesident Aegyptens, General Nasser, den Suezkanal verstaatlichte, d.h. die Einnahmen aus den Passagegeldern fuer den Staudammbau verwenden wollte. Dies fuehrte, nach heftigen Kaempfen u.a. um Port Said, zu einem Einmarsch Englands, Frankreichs und Israels in die Kanalregion. Dann trennten die Vereinten Nationen die Front und die Sowjetunion gab eine Finanzzusage fuer den Dammbau. Infolge des vollstaendig regulierten Nilzuflusses vergroesserte sich die bewaesserte Kulturflaeche Aegyptens um etwa 30 %, aus der hydroelektrischen Station des Damms gewinnt der Staat doppelt so viel Strom, wie er benoetigt und der Grundwasserspiegel der Sahara hat sich bis Algerien angehoben. Die zerstoererischen Auswirkungen der jaehrlichen Nilhochwaesser sind seitdem ausgeblieben, aber die salzhaltige Erde wird auch nicht mehr abgeschwemmt und die natuerliche Duengung ist ausgeblieben. Jetzt wird mit kuenstlichen Duengern ein Ausgleich versucht. An der Muendung des Flusses im Mittelmeer sind riesige Bestaende von Krebsen und Fischen ausgestorben und die neugebauten Kanaele, die wir ueberall gesehen (und darin gebadet haben), sind mit dem gefaehrlichen Bilharziose-Parasiten befallen. Infolge des steigenden Wassers mussten ueber hunderte von Uferkilometern Bauten der grossen Geschichte des Landes gerettet werden. Es wurde gegraben, fotografiert, kartografiert und weggeschafft. Ein Wettlauf mit der Fertigstellung und dem anrueckenden Wasser. Die UN und viele Staaten schickten Teams von Archaeologen, viele von ihnen sahen Bauten von Weltruhm zum letzten Mal, bevor sie versanken. Abermillionen Dollars wurden in die Hoehersetzung von 10 Tempeln investiert, wie z.B. in Abu Simbel, vier Tempel wurden zerlegt und den Staaten ueberlassen, die die Rettung und Dokumentation der uebrigen Tempel finanziert hatten. Die Nubier waren die Hauptleidtragenden des Baus. Ca. 100000 mussten in 50 Jahren umziehen, verloren Heimat, Haus und Grund und Kultur, weil die Kinder als Aegypter aufwuchsen. 50000 leben alleine in Kom Ombo, viele in Assuan. Jetzt setzt allerdings eine Wiederbelebungswelle der nubischen Kultur in Aegypten ein. geschrieben am 10.10. in Dongola 30.9. Sudan/Wadi Halfa Dorf am Ende der Welt Ankunft im Sudan Loic und Geoffroy, die beiden Belgier, sind in der Nacht aufs Deck gekommen. Mit Loic philosophiere ich stundenlang ueber Sinn und Unsinn der Weltpolitik. Der Schiffsmotor brummt unter den Warenmassen gedaempft, um 6.50 geht die Sonne auf, ein kleiner Vogel hat den Weg vom Seeufer auf die Reling des Schiffes gefunden, leise rauschen die Bugwellen und mein erster Blick ueber die uns umgebenden Kartons Richtung Wueste faellt auf den von der UN hierher und hoeher gesetzten Tempel von Ed Dakke. Somit sind wir erst 160 km suedlich von Assuan. Die Ufer sind meist nur 2-3 km entfernt, roetlich-beige Sandduenen laufen schraeg ins Wasser, Sandsteinkegel mit schwarzen Basaltkappen werfen lange Schatten ueber die Ebenen, ab und an sind ein paar Buesche, sehr selten Baeume am Ufer zu sehen. Alles schlaeft noch, auch drei Japaner, die unter einem der Rettungsboote Platz gefunden haben. Heute erreichen wir Halfa- wann, weiss keiner so genau. In den stinkenden, nassen, verrosteten “Bathrooms” mag ich mich nur zwei Minuten aufhalten, lieber verzichte ich auf Waschen und Zahnpflege. Am Nachmittag passieren wir den Felsentempel von Abu Simbel in etwa 2 km Entfernung und es wird fleissig fotografiert. Die Fahrt dauert laenger als geplant, weil das Schiff Motorprobleme hat. Es ist ein deutsches Produkt, aber die Werftarbeiter wuerden die Haende ueber dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie ihr Schiff in diesem traurigen Zustand sehen wuerden. Schliesslich wird das Beischiff geloest und schippert der Faehre langsam hinterher und die Autobesitzer sehen ihre Vehikel in der Ferne entschwinden. Loic zeigt uns die von uns so begehrte Strassenkarte von Michelin, Massstab 1:4000000. Sie weist eine Asphaltstrasse ab Dongola aus, was im Widerspruch zu Akihides Angaben steht (dem japanischen Radfahrer vom Sinai), der von 600 km unbefestigter Strasse sprach. Das waere eine Erleichterung! Wir erreichen den Hafen von Halfa gegen 20 Uhr, d.h., wir waren 24 Stunden unterwegs. Und es dauert noch 2,5 Stunden, bis wir das Schiff verlassen koennen. Jeder schiebt und drueckt sich zur Bordwand und wir mit den Raedern mittendrin Am Kai warten wir mit der englischen Crew und den Belgiern, bis deren Autos eintreffen und abgeladen werden. Dazu organisieren sich die Maenner selbst Rampen aus Holz und Metall. Aber das Auto der Belgier steht, was fuer ein Pech, vor einer Metallbarriere und das Schiff wird sicher nicht wieder bewegt. Die Kaiarbeiter, nicht faul, loesen das Problem kurzerhand, indem sie die Barriere einfach gewaltsam auf den Boden biegen. Zahlreiche Schraubenstuempfe bezeugen, dass die meisten Barrieren hier am Kai bereits das gleiche Schicksal ereilt hat. Dann muessen wir uns durch den Registrierungsparcour und die Zolllabyrinthe arbeiten und landen am Ende vor der Zollhalle, wo eine Schar wuselnder Menschen ihre Habe auf Pick-Ups und in Kleintransporter laedt. Unsere Autoreisenden muessen im Zollgelaende ueber Nacht bleiben, weil die Autos nicht mehr abgefertigt werden. Wo sind die Hotels? Man zeigt vage ins Dunkel, in dem die Taxis entschwinden. Kein Mond hilft uns, wenigstens die Strasse zu erkennen. Mit den Stirnlampen irren wir ueber eine breite Ebene, rechts und links fahren die Autos vorbei, immer wieder stecken wir im Sand fest, denn eine Strasse gibt es nicht und im schwachen Schein der Lampen laesst sich weicher von festem Grund nicht unterscheiden. Ratlos stehen wir mehrmals im Dustern und beginnen zu ahnen, dass wir erst jetzt in Afrika abgekommen sind. Wir fahren einfach drauflos, dort entlang, wo Reifenspuren einen Weg vorzugeben scheinen. Wir landen vor einem Coffeeshop, wo die drei Japaner gerade einen Imbiss verschlingen. Hier stehen ein paar Lehmhaeuser mit Palmwedeldaechern, darunter bunte Plastikstuehle. Kalte Getraenke sind nicht zu erhalten, trotz Dunkelheit muessen es um die 30 Grad warm sein. Die sudanesischen Maenner tragen fast ausnahmslos weisse Gallabyas und Turbane, einige schicke Kaeppis aus Leinen und die Frauen angenehm bunte, riesige Schals, die sie als Kleider um den Koerper gewunden tragen. Aus einem Lautsprecher klingt Musik, eine Mischung aus arabischen und afrikanischen Klaengen mit Akkordeon. Die Maenner gaffen Renata nicht an und niemand stoert uns staendig mit einem Fragenstakkato von “Welcome, whats your name, where you from, whats your nationality?, etc. Wir setzen uns zu den Japanern, junge Burschen, die auf Weltreise sind und von Halfa nach Khartum mit dem Zug fahren. Von Petra und Richard aus Nuweiba haben wir 600 sud. Dinare, die etwa den Wert von 2 Euro haben. Damit koennen wir gekochte Kartoffeln in einer wuerzigen Oelsosse und Wasser kaufen. Als ich nach letzterem suche, lande ich im Frauenabteil des Restaurants und werde sogleich hinausdirigiert, obwohl hier ein Mann und im Maennerbereich zwei Frauen sitzen. Die Japaner haben bereits versucht,ein Zimmer in den drei Hotels des Weilers zu bekommen. Aber sie sind belegt, oder schmutzig und wir sind sowieso nicht scharf auf dreckige Betten und Aborte in heissen Zimmern. Lieber schlafen wir im Zelt draussen, mit frischem Wind um die Nase. Also suchen wir einen Zeltplatz 200 m um die Ecke, wo mehrere Autowracks stehen und reichlich Abfall und Kot jeglicher Herkunft herumliegen. In Halfa ist der Strom ausgefallen und es ist stockdunkel. An einem sauberen Plaetzchen bauen wir nur das Innenzelt auf und machen Katzentoilette: Haende, Gesicht, Zaehne, Schluss! Dann krabbeln wir in unser Haus und binnen Minuten sind wir eingeschlafen. geschrieben am 11.10. in Dongola
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