10/3/2003 Sudan / bei Koscha
Spurensuche
Nubische Doerfer
(Harald und Renata) Wir packen im Zwielicht zusammen und schieben die Reader durch die Wueste, bis wir auf der anderen Seite des Berges die Strasse erreichen. Die Nicht-Strasse begruesst uns mit dem vollen Programm: Wellblech, Sand, dicke Steine, Loecher. Vor allem der vorne Fahrende muss sehr konzentriert sein, weil er eine gute Spur finden muss und der Weg sich jeden Meter aendert. Einmal nur nicht aufgepasst, auf einen spitzen Stein gefahren und die Reifen sind hinueber, oder die Felge verbogen. So umkurven wir die Steine, suchen den festen und zugleich moeglichst ebenen Untergrund. Die Wueste zeigt sich heute von ihrer schoenen Seite. Ein z.T. heftiger, kuehlender Rueckenwind erfrischt uns, ringsum schwarze Schieferberge, heller Sand, der teilweise fein wie Pulver ist. Ein paar Buesche und Akazien in alten Wadis, die entstanden, als das Klima vor tausenden von Jahren noch milder war und mehr Regen viel. Keine Menschenseele lebt hier, auch keine Beduinen. Gelegentlich unterbricht ein Taxi die Einsamkeit:”Kief fallak?” rufen sie (wie gehts?). Mit den schmalen Reifen koennen wir oft den Autospuren nicht folgen, weil wir tiefer versinken und uns die Kraft zu fruehzeitig ausgehen wuerde. Nach ein paar Kilometern passieren wir ein zweites Restaurant, dann erreichen wir das Dorf Akascha. Die Distanz nach Halfa soll 115 km betragen, tatsaechlich sind es etwa 135 km. Koscha liegt am Ende des Lake Nasser und der Nil zieht sich zu seinen Fuessen wie ein gruenes Band durch die braune Wueste. Die Haeuser sind intakte Lehmziegelbauten, mit Lehm geglaettet und verputzt. Auch die liebevolle Bemalung in Weiss, Grau, Gelb usw., sowie die farbenfroh lackierten Metalltueren und Fenster, weisen sie als nubisch aus. Nirgendwo Abfall, keinerlei Haufen alten Baumaterials- eine Augenweide, nach all dem Dreck in Aegypten und das ausgerechnet hier, abseits aller Touristenstroeme, in einem Dorf ohne Strom, Telefon und TV. Das Dorf ist wie ausgestroben, alle sind auf den Feldern unten am Fluss, oder in den Haeusern. Wir stellen die Raeder in den Schatten eines Vorbaus und halten Ausschau nach Menschen. Ein paar Kinder und ein junger Mann in weisser Gallabya winken uns zu. Der Mann spricht leidlich Englisch und laedt uns sogleich ins Haus ein, wo er frische, gezuckerte Datteln serviert und dann ein Fruehstueck aus hauchduennem Fladenbrot mit einer geeligen, gruenlichen Paste und Fuhl servieren laesst. In einem grossen Zinkbecher steht Nilwasser auf dem Tisch. Es gibt hier kein Geschaeft und somit auch kein gefiltertes Wasser, also greife ich zu. Das Wasser ist hellbraun, riecht und schmeckt so erdig, wie es aussieht. Aber es ist kalt und frisch und nachdem uns Akihide und andere Reisende erzaehlt haben, dass es trinkbar sei, machen wir uns weiter keine Sorgen. Ich frage nach Krokodilen, denn ein abgeschlagener Kopf eines solchen Reptils steckt ueber einem der Eingangspfeiler zum Haus. Ja, draussen auf der Insel im Fluss, sie sind nicht sehr gross, aber einmal hat eines des Tiere einen Mann ins Wasser gezogen und getoetet. Renata kann nicht mehr weiter und wartet hier auf die Crew, waehrend ich weiterfahre. Die naechste Ortschaft ist Koscha und der Weg fuehrt wieder durch die Wueste und ist noch schlimmer, als die vorherige Strecke. Unzaehlige dicke, scharfkantige Brocken, die einem die Maentel zerschneiden und die Felgen verbiegen koennen, muss ich umfahren. Es gibt neben der Strasse kaum Ausweichwege, die meisten sind zu sandig, immer wieder schiebe ich das Rad resigniert zurueck auf den Hauptweg. Tiefes Wellblech schuettelt mich und das Rad durch, pruegelt mich via Sattel, die Finger schlafen ein, die Handgelenke schmerzen. Bergabfahrten muss ich langsam machen, um alles unter Kontrolle zu halten und nicht zu heftig auf Hindernisse zu prallen. Schwung fuer den folgenden Anstieg zu holen, ist nicht moeglich. Am Nachmittag erreiche ich Koscha, ein kleines Dorf wie Akascha, ohne Strom und fliessendes Wasser. Aber hier stehen viele blitzsaubere Lehmhaeuser, akurat verputzt und komplett bemalt, vor den Hofmauern gibt es eine hohe Stufe, die eine schoene Sitzmoeglichkeit bietet, meist grau bemalt. Auch hier ist alles menschenleer und leise. Ein alter Mann winkt mir zu :”Faddal!” , ein “Welcome”, das gleichzeitig eine Einladung bedeutet, zu Tee, Essen, Rasten, Schlafen. Unter einem Baum halte ich an und bald treffen die Jeeps und der Citroen mit Renata ein. Die Bewohner haben eine grosse, bunte Kunststoffmatte ausgelegt, waehrend ich mich am kalten Wasser aus den Tonkruegen gelabt und den Kopf damit uebergossen habe. Was fuer eine Affenhitze! Die Truppe fuellt sich Nilwasser ab, dass in einem grossen Filter gereinigt und in Plastikflaschen umgefuellt wird. Man kauft Brot und alle sitzen im Schatten, umringt von zahlreichen Maennern und Kindern. Im Dorf gibt es eine aus Lehm gebaute, kleine Moschee, denn die meisten hier sind Moslems. Die Menschen sind unkompliziert, mit offenen Gesichtern und klarem, geradem Blick, neugierig, aber nicht aufdringlich, naehern sie sich uns. Es wird viel gelacht, aber man argwoehnt nicht, man werde ausgelacht. Fuer unsere Augen sind es huebsche Menschen, mit ebenmaessigen Zuegen, tiefbrauner Haut und Augen, schwarzen, gelockten Haaren, aber schmalen Nasen und Lippen. Ich frage die Maenner, ob ich hier schwimmen gehen kann, oder ob es Krokodile gibt. Man lacht und versichert, das waere kein Problem. Als ich zum Fluss hinuntergehe, folgen mir alle, auch die Autos, denn auch Loic und Geoffroy und Emma und Jasper und Pieter wollen ins Wasser. Einer der jungen Maenner und ich machen den Anfang. Das Ufer besteht aus dickem, festem tiefbraunem Schlamm, im Wasser wird der zu Morast und man muss sich bewegen, um nicht stecken zu bleiben. Der Seitenarm des Flusses ist hier nur 20 Meter breit, das Wasser fliesst so schnell und stark, dass man nicht dagegen anschwimmen kann. Ich wasche mich mit Seife, eine Erleichterung, den tagealten Schweiss loszuwerden. Durch einen schmalen Palmhain, in dem Ruinen von Lehmbauten stehen, gehen wir dann zurueck und fahren weiter. Ein paar Kilometer weiter haben die anderen bereits das Lager im Sand neben dem Fluss aufgebaut. Hier haben sich ein paar junge Nubier eingefunden, u.a. eine Dorfschoenheit, die vor allem Podraig und die Belgier bezaubert und zu einer Fotoflut fuehrt. Wir sind von einem alten Mann eingeladen worden, in seinem Haus Tee zu trinken, aber abends haben alle viel zu tun, brauchen Zeit um die Zelte auf den Wagendaechern aufzuschlagen, Kochtisch und Tische und Stuehle aufzustellen, zu kochen. Dann wird ringsum Tagebuch geschrieben. Podraig und Geoffroy haben Laptops dabei und schreiben vor, was dann im naechsten Netcafe versendet wird. Die Unterhaltung erstirbt dann, denn Emma, Sarah und ich schreiben von Hand. Mir kommen leise Zweifel, ob unsere Art zu reisen, wirklich optimal ist, wenn ich sehe, wieviel Zeit und Aufmerksamkeit Laptop und Internet verschlingen, anstatt wir uns unsere Erlebnisse erzaehlen und nicht auf dem Bildschirm verarbeiten. Aber eigentlich geht der Gruppe der Gespraechsstoff nicht aus, es wird viel gelacht und gealbert, vor allem Podraig traegt viel dazu bei. Er laesst “Toto-Africa” laufen, mein Musikwunsch des Abends. Wir erfahren, dass es unseren Reisefreunden in Aegypten genauso erging wie uns: sexuelle Belaestigungen bei den Frauen, Aufdringlichkeit, falsche Freundlichkeit, Luegen, Betruegereien. Alle sind froh, aus Aegypten heraus zu sein. Wir sind wieder die ersten, die schlafen gehen. Heute waren es 74 km. geschrieben am 11.10. in Dongola
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