10/7/2003 Sudan / 5 km vor Argo
Sind so wunderbare Haende...
Radlermeditation, ein Pharao ruht seit Jahrtausenden, Dantes Staubinferno in Kerma
(Harald und Renata) Sanft wecke ich Renata, als das Mondlicht schwaecher leuchtet als der Horizont im Osten. Im Halbdunkel vollziehen wir unsere Morgenroutine: Schlafsaecke zum Lueften ueber das Innenzelt legen, ebenso die Kopfkissen und die Nachtwaesche, Luftmatratzen ans Zelt lehnen, Zaehne putzen und Gesicht waschen. Das geht fast wortlos vonstatten, zudem wollen wir die anderen, deren Wagenburg nur ein paar Meter weiter steht, nicht wecken. Loic und Geoffroy schlafen unter Moskitonetzen auf Aluminiumliegen im Windschatten der Jeeps, die anderen in den Zeltaufbauten auf den Wagendaechern. Wir rollen sodann die Schlafsaecke zusammen, dann die Luftmatratzen, packen sorgfaeltig die Taschen, damit z.B. die CDs nicht zerbrechen, oder die Spiegelreflexkamera nicht irrtuemlich mit herausgezogen wird, wenn wir etwas schnell brauchen. Dann ziehen wir die beiden Steckstangen aus Aluminium, die ueber Kreuz das Zelt spannen, aus den Kunststoffclipsen und drehen das Innenzelt auf Links, um auch die Ecken zu saeubern, wobei so manches Mal naechtliche Besucher herausfallen. Wir falten das Zelt zusammen, zuletzt die Folien, die das Zelt notduerftig vom Boden trennen. Zum Schluss haengen wir die Taschen an die Raeder, verstauen die diversen Plastikflaschen mit Wasser, haengen die Huete um, ich ziehe meine Handschuhe an und dann gehts los. Es ist jetzt 6.50 Uhr, die Sonne geht gerade auf. Nach ein paar Kilometern erreichen wir ueber eine sehr sandige Strasse das naechste kleine Dorf . Hier gibt es einen kleinen Brunnen mit Seilzug und eine alte Frau mueht sich, einen Eimer hochzuziehen, so dass ich ihr zur Hand gehe. Ich kann das Wasser im Loch sehen, es sind nur ein paar Meter bis zum Grundwasser, Uferfiltrat des Nils. Aber als wir unsere Flaschen nachfuellen wollen, ruft ein aelterer Herr “No!” und signalisiert, dass das Wasser nicht zum Trinken geeignet sei und laesst uns aus seinem Haus klares, kuehles Wasser bringen. Eine Matte wird gleich ausgebreitet, Tschai serviert und als wir fragen, wo wir Brot kaufen koennen, gibt es dickes Spritzgebaeck mit Anisgeschmack, von dem ich mich nach einer Viertelstunde ( schnell noch einen Keks mampfend hinter die Backenzaehne geschoben, kauend) nur schwer loesen kann. Man gibt uns noch Datteln mit auf den Weg und ploetzlich haelt eine aeltere Frau eine abgeschliffene, sichtbar alte Medaille in der Hand, die man im Nilschlamm gefunden hat. Medaille deshalb, weil die Bronzemuenze eine dicke Oese hat, an der man ein Band oder eine Kette befestigen kann und weil man einen Schwimmer zu erkennen glaubt. Ob das Fundstueck ein paar Jahrzehnte oder Jahrtausende alt ist, koennen wir nicht feststellen. Also sagen wir “Nein” zum Kaufangebot und fahren los. Aber nach ein paar hundert Metern juckt es uns doch, vielleicht koennen wir fuer einen guenstigen Preis etwas wirklich Altes aus roemischer oder griechischer Zeit erstehen? Wir fahren zurueck und handeln etwa 10 Euro als Preis aus, stellen dann aber fest, dass wir soviel Geld garnicht mehr besitzen. Also erneuter Aufbruch und jetzt steht die Sonne schon hoeher und wir setzen die Sonnenbrillen auf und ich schiebe den Hut auf die linke Kopfseite, um auch den Hals zu schuetzen. 15 km weit fuehrt uns der Sandweg, der die einzige Strassenverbindung des sudanesichen Nordens entlang des Nils darstellt, durch die Wueste, eine Abkuerzung, die hinter einer kleinen Bergkette verlaeuft. Landschaftlich sehr schoen, reizvoll, aber jetzt brennt die Sonne so, dass die Hemden heiss werden, die Haut glueht, der Schweiss laeuft in Baechen am Koerper herab, quillt von der Stirn. Wo, um Himmels Willen, ist Schatten? Wir trinken alle 10 Minuten, literweise. Durchhalten! Kein Baum zu sehen, kein grosser Busch, kein Felsueberhang. Der Weg ist sandig, dann steinig. Der Schweiss trocknet im Stoff so schnell, wie er aus der Haut hervortritt, die Hemden werden ganz steif davon. Wie heiss der Stoff ist! Wieso haben wir die Sonne ploetzlich rechts von uns? Wir fahren Richtung Norden! Wie kann das, da wir doch aus dem Norden kommen und Richtung Sueden wollen? Haben wir uns verfahren, obwohl es nur einen Weg gibt? Kopf heben, Junge, es gibt auch noch eine schoene Landschaft zu sehen, denke ich. Renata hat etwas gesagt, nur was? Ich bin zu muede, zu kurzatmig, um aufzuschliessen, woher hat sie heute die Kraft? Achtung! Ein Sandloch, wo ist Renatas Spur? Da, Mist, zu spaet, eisern spannen sich die Unterarmmuskeln, im Stehen trete ich durch den Sand, trotzdem knickt das Vorderrad weg. Absteigen. Schieben. Aufsteigen. Antreten. Schalten, schalten, da ein dicker, spitzer Brocken, Mensch! Pass doch auf, da vorne ists noch aerger, Kopf hoch, umschauen, wie ists drueben in der anderen Reifenspur? Wo kann ich rueberziehen? Ein Ruck, o.k., weiter, es geht abwaerts. Bremsen! Nur nicht zu hart auf einen dieser Schiefersteine rasseln, jetzt nur keine Panne, bitte -und wieder fester treten, Slalomfahren durch grosse Steine, dann ein Sandfeld, Renata schiebt schon vor mir, ich hoere sie schimpfen, der Lenkerkoffer macht das Anheben des Lenkers schwer, ihr Rad rutscht weg, wo ist Schatten? Wo ist nur Schatten? Als ich auf den Tacho schaue, sind wir schon 20 Minuten auf dieser Ebene, ohne Windhauch und fahren in die falsche Himmelsrichtung. Die Schoenheit der Landschaft ist mir jetzt herzlich egal, aber das kleine Betonhaeuschen mit Schaltkasten von Alcatel ist ein Segen. Wir retten uns in seinen Schlagschatten, setzen uns auf das Fundament und essen Thunfisch und Orangen und das letzte Brot und trinken und wollen nicht mehr in diesen Brutkasten da vor uns, nein, bitte nicht mehr… Aber es hilft nicht, wir raffen uns auf und rumpeln uns weiter, um uns rote Huegel mit schwarzen Schiefersplittern belegt, roter Sand, auf der Strasse liegen runde, schwarze Steinmurmeln, die manchmal mit einem lautem “Feng!” seitlich unter den Reifen hervorspritzen. Unsere weissen Hemden sind vom anhaftenden Staub rosa geworden, die Aermel steif wie Brokat vom Stirnabwischen. Wieder verfalle ich in diese eigentuemliche Meditation, bei der ich nur noch meinen Lenker, Haende und das Wegstueck drei, vier Meter vor mir sehe und die Gedanken abwandern, wenn es der Untergrund erlaubt. Dann faellt mir auf, wie wunderbar meine Augen konstruiert sind, dass die Augenbrauen den Stirnschweiss aufhalten und dank des schraegen Wuchses seitlich zur Schlaefe leiten und was zuviel ist, fangen die Wimpern auf, alles so sinnvoll gewachsen, und von der Wimper faellt der Schweisstropfen dann auf die Wange, oder bleibt, wie unpraktisch dagegen!, an der Innenseite der Sonnenbrille haengen. Und meine Haende, wie alles ohne mich zu funktionieren scheint, ohne Gedanken, ohne gedachte Kommandos, halten sie, zehn Finger geben mir Halt, helfen sich gegenseitig meinen Oberkoerper zu stuetzen, lenken, schalten, greifen um, wie zwei unabhaengige Werkzeuge, ich bewundere meine Haende, diese zergliederten Enden meiner Arme, den Daumen braucht man am dringensten, die beiden Staerksten halten die Lenkerstange alleine gegen den Rest der Truppe, da ist die Schnittnarbe, ein Relikt eines Unfalls, bei dem ich mir fast die Sehnen zerschnitten haette, wann war das und…Was ruft da Renata? Als ich den Kopf hebe, sehe ich es: Der Nil! Halleluja, der Nil! Wasser, Schatten, Menschen, Essen. So aehnlich muss es seit Jahrtausenden den Menschen hier ergangen sein, die sich durch die Wueste kaempften und fuer die der Fluss Sicherheit bedeutete und Orientierung. Und auch wir sind erleichtert, denn wir haben uns nicht verirrt. Mir wird klar, dass ich Angst hatte, dass mich sekundenlang Panikgefuehle befielen, mich Angststachel in den Magen stachen, da, hinter mir in der Wueste und nur noch eiserne Ratio half, das Wissen um vorhandenes Wasser und nahe Hilfe. Hier steht ein schmaler Guertel aus Palmen, erstrecken sich kleine Felder. Trotzdem ist im naechsten Weiler kein Obst zu kaufen. Bunte Taxis fahren staubwirbelnd vorbei, die Esel wiehern klagend, Frauen mit bunten Tuechern tragen Wasser und Pakete auf den Koepfen. Eine bringt uns Tee, als wir im Schatten einer Wasserstelle mit zwei Tonamphoren ausruhen. Ihr Mann arbeitet in Abu Dabi, Vereinigte Arabische Emirate, sie traegt ihren Sohn auf dem Arm, dann laeuft das Kerlchen barfuss durch den Sand, scheinbar ohne Schmerzen, wir koennen es nicht fassen, denn der Sand glueht selbst durch die Schuhsohlen. Dann fahren die Jeeps unserer Crew vor, grosses Hallo! Und alle setzen sich zu uns, es gibt Tee fuer alle, Brote werden ausgepackt, Thunfisch, Marmelade draufgestrichen. Aus braunen Nilschlammwasser und organgem Brausepulver mixen wir einen Nil-beside-the-rocks und dann stauben unsere Off-Road-Internationals wieder davon (bis spaeter am Nil!) und wir ruhen uns noch aus, bis die groesste Hitze verflogen ist. Nur wenige Kilometer weiter treffen wir wieder auf die Truppe und Podraig kuendigt uns eine Sensation an, nur wenige Menschen haetten das wohl vorher gesehen. Wir stackseln ueber ein kleines, graues Granitplateau und stehen staunend vor einer fast vollendeten Statue eines Pharaos, die, samt Sockel vor uns liegt, ueberlebensgross, das Gesicht zerbrochen, aber Rock und Glieder wunderbar gearbeitet, wie gestern verlassen und doch wohl mindestens seit 2000 Jahren hier, vielleicht auch laenger. Und an anderer Stelle sehen wir Kartuschen, diese in Stein geschlagenen Ausweise der Herrscher und Maechtigen. Es beruehrt uns, diesen Arbeitsplatz so vorzufinden, wie ihn die Meister der Bildhauerei vor so langer Zeit verlassen haben, hier, etwa 20 km noerdlich von Argo. Pieter findet Feuersteinstuecke, offensichtlich von Menschenhand bearbeitet, was bedeutet, dass diese Stelle seit der Steinzeit ein Steinbruch war. Wir brechen als erste auf, waehrend Podraig wie ein aufgeregter Junge noch durch die Felsen klettert, ganz emsiger Entdecker. Wir hatten vereinbart, nur noch 10, maximal 15 km weiter zu fahren, denn die Sonne steht schon tief. Tatsaechlich werden es, am Ende endlose, 20 km. Wir erreichen Kerma, eine grosse, ueberfuellte Reihensiedlung, Kilometer um Kilometer zieht sich das, Wasseramphoren gibt es ueberall, Laeden, kalte Cola, aber nur tiefer Sand, Staub. Wir schieben wieder mal, es nimmt kein Ende und wo, zum Teufel, bleiben unsere Jeepisten? Kerma ist hinter dem oertlichen Markt noch schlimmer, nur noch ein nebelarbtiges Staubinferno, was fuer eine Qual fuer die Menschen hier. Die Jeeps holen uns ein, aber hier koennen wir kein Lager aufschlagen. Wir laden unser Gepaeck auf und so sollte es leichter gehen, aber der Sand wird zu Lehmstaub, 30 cm tief, ein Desaster. Schon in tiefer Dunkelheit erreicht unsere gemischte Einheit ein Feld, viel Auswahl haben wir jetzt nicht. Die grossen LKWs, die den Staub durchpfluegen, wirbeln riesige Staubwolken auf, die wie Rauchfahnen ueber die Felder wehen. Wir gehen tiefer ins Feld hinein, unter, hinter eine Palmenstaude. Dort bauen wir auf und duschen, naja, giessen Wasser aus Flaschen ueber uns. Herrlich. Im Lager haben die beiden Belgier Bratkartoffeln mit suessen Feigen zubereitet und gleich danach ruft uns unser Haus zu sich. Pieter sagt, heute waren es wieder 53 Grad. geschrieben am 29.9. in Khartum
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