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Reisetagebuch

10/9/2003   Sudan / Dongola

Massju teacher!

Begruessungszeremonien

(Harald und Renata) Es war eine ruhige Nacht. Der Esel der beiden Bauern steht immer noch mit zusammengebundenen Beinen neben dem braunen Lehmbau. Die Felder ringsum sind karg, kein Vergleich zur aegyptischen Ueppigkeit.

Die Crew will um 10 Uhr aufbrechen. Ich sitze um 6 Uhr mit Loics Laptop auf den Knien auf einem der Campingstuehle, denn ich will noch einen Tagebucheintrag tippen. Leider ist die Batterie bald leer und das Ladegeraet unerreichbar in Podraigs Jeep eingeschlosssen.

Als Geoffroy spaeter mit mir zusammen CDs brennen will, haben wir technische Probleme. Obwohl wir jetzt schon seit ueber 14 Monaten daran laborieren, bekommen wir die Probleme mit der Bilduebertragung und -bearbeitung nicht in den Griff. Da sitzen wir in der Wueste am Laptop, anstatt uns noch mit unseren Reisebegleitern zu unterhalten und angemessen zu verabschieden. Am Ende geht alles hopp-hopp, wir vereinbaren mit Pieter und Sarah, dass sie uns per Telefon Auskunft ueber die Etappe bis nach Khartum geben und mit Emma und Jasper, dass wir uns in Kapstadt wiedersehen, ein herzlicher Haendedruck mit Podraig, gute Wuensche fuer die Belgier und dann fahren sie von dannen, eine Staubfahne hinter sich herziehend, auf die Teerstrasse, die sie in einem Tag nach Khartum fuehren soll, wozu wir etwa eine Woche bis 10 Tage brauchen werden. So viele Abschiede.

Nun sind wir allein mit den Bauern hier und es ist schon 11 Uhr, die Sonne sticht, bis Dongola sind es ueber 12 km und ein leichter Sandsturm macht die Fahrt mit den Raedern unmoeglich. Insgeheim hatten wir gehofft, dass uns einer aus der Crew nach Dongola zurueckfaehrt, aber alle wollten nur noch weg, weg aus aus Wueste, weg von den staubigen, sandigen Pisten, endlich in die Grossstadt. Wir halten nach einem LKW-Taxi Ausschau, aber hier kommt nur alle halbe Stunde ein Auto vorbei und am Mittag wird uns klar, dass wir zurueckradeln muessen.

Einer der Bauern laedt uns ein, auf den Pritschen Platz zu nehmen. Er rafft seine weisse Gallabya, hockt sich und macht uns aus Nilwasser und Brausepulver in einer Blechschuessel eine Limonade. Spaeter serviert er Fuhl mit Brot und gruenen Gurken. Er zeigt uns ein Englischlehrbuch und sagt uns die ersten Seiten auf. Weil ich ihm die Worte uebersetzen und die Aussprache korrigieren kann, nennt er mich "teacher"(Lehrer). Ansonsten heisse ich "Massju", was sich wohl vom Franzoesischen ableitet. Er bittet mich, ich solle mir seinen Vater ansehen, der krank sei. Ich sage ihm, ich sei kein Doktor, aber irgendwie glaubt er, ich koenne helfen und so gehen Renata und ich einen Eingang weiter und dort sitzt ein etwa 50-jaehriger, dickleibiger Mann, der mich erwartungsfroh ansieht. Nach den ueblichen Begruessungsfloskeln erklaert mir sein Sohn, der Vater habe Knieschmerzen und gehe am Stock. Als ich den Vater bitte aufzustehen und ein paar Meter zu gehen, ist das Problem offensichtlich: durch Veranlagung und sein enormes Uebergewicht hat er O-Beine bekommen und jetzt druecken die Oberschenkel die Kniegelenke extrem nach aussen. Schmerzende Aussenbaender und Wasser im Knie, evtl. Miniskusprobleme sind die Folge. Soll ichs arabisch machen und nette, hoffnungsfrohe Floskeln aufsagen , dass, was man hoeren will? Wir beschliessen, dem Mann die Wahrheit zu sagen: dass man das Wasser punktieren/absaugen kann, dass er in Khartum geroentgt werden sollte und weil ich alles auch mit Gesten erklaeren muss, versuche ich den beiden Maennern das Problem des Uebergewichtes darzustellen, atme tief ein und plustere die Backen, zeige mit den Haenden einen dicken Bauch (so sieht ein dicker Mann aus) und bin voellig verbluefft, geruehrt und peinlich beruehrt, dass der Mann mich nachmacht, die Backen aufblaeht und tief einatmet, weil er glaubt, ich haette ihm vorgemacht, was er nachzumachen habe zum Zwecke der Diagnose. Wieviel blindes Vertrauen mir da begegnet! Am Ende versteht der Mann, dass er viel abnehmen muesse- was er sehr wahrscheinlich nie tun wird, weil er garnicht weiss, wie und auch nicht, wovon er dick wird und sich niemand die Muehe machen wird, es ihm zu erklaeren. In der Stadt koennte er im Rollstuhl fahren, aber auf dem Land wird er, nach ein paar Jahren auf Kruecken, nur noch sitzen und liegen.

Wir fahren nachmittags nach Dongola zurueck, am Flughafen vorbei, 13 km, mit heissem Seitenwind und finden im Zentrum ein kleines Hotel namens "Lord". Mit 5 EU ist es ueberteuert, aber es gibt keine Alternative. Abends essen wir Fuhl, heute mit etwas geriebenem Kaese als Garnitur, dazu gibt es die hiesige Teevariante mit Schafs- oder Ziegenmilch. Die Maenner bestimmen das Strassenbild, oft Hand in Hand, Arm in Arm mit Ihresgleichen, mit fantasievoll geschlungenen Turbanen, die wenigen Frauen in bunten Tuechern, bis auf seltene Ausnahmen jedoch unverschleiert. Wer sich zum Essen oder Tschai hinsetzt, nicht mehr arbeitet, ist sehr gepflegt, akkurate Haarschnitte und saubere Gallabyas fallen uns auf. Ueber die schmale Hauptstrasse klappern Eselgespanne mit einraedrigen Karren und indische Dreiradrikschas, schwarze Zweitakter, mit Lenkerstangen, statt -raedern.

Bei der Begruessung geben sich die Maenner mehrmals die Hand, beruehren sich mit der rechten Hand an der Schulter, umarmen sich. Dann werden lange Begruessungsformeln aufgesagt, wobei man zu Boden blickt, als sei einem dieses Ritual peinlich. Es leitet sich aus dem Koran ab, wonach Mohammed empfohlen hat, man solle eine Begruessung stets mit einer noch freundlicheren entgegnen.

Die Fahrraeder sind hier mit Spiegeln und bunten Plastikfahnen ausstaffiert, mit Dauerklingeln faehrt mancher auf und ab, stolz auf sein Gefaehrt.

Wir begegnen zwei Slowaken, die mit Bus und Bahn unterwegs sind und der Eine namens Ivan, hat schon zwei Buecher ueber Aethiopien geschrieben und weiss Interessantes zu berichten. Auch er sagt, dass wir von Suedaethiopien aus, ab Moyale, nicht mehr mit den Raedern weiterkommen, weil es dort oft Ueberfaelle somalischer Banden gaebe und tote Touristen seien kein Einzelfall. Na, herzlichen Glueckwunsch! Da werden wir wohl umplanen muessen.

Im Hotelzimmer ist es zu heiss und deshalb schlafen wir draussen auf zwei Metallpritschen.

geschrieben am 2.11. in Khartum


 

 


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