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Reisetagebuch

10/14/2003   Sudan / zwischen El Khandaq und El Goled Bahri

In der Schule

Besichtigung der Stadt El Khandaq und einer Schule

(Harald und Renata) In der Nacht weht der Wind auf dem Huegel heftig und der Durchzug zwingt uns unter die Schlafsaecke. Es ist Mitte Oktober und vielleicht kuehlt es ja tatsaechlich ab.

Nabil und sein Gast haben sich in der Nacht ins Haus zurueckgezogen, weil es ihnen draussen zu kalt war. Der Lehrer, der echte Schlangenlederschuhe traegt, erneuert seine Einladung und bricht auf, Nabil sitzt draussen vor seinem Haus und sieht sich den Sonnenaufgang an, als wir auf der Bildflaeche erscheinen. Nabil und ich sprechen ueber England, Deutschland, Europa und seine Heimat, ueber die Unterschiede und Gemeinsamkeiten und die Zukunft in einer immer kleiner werdenden Welt, in der man mit dem Fahrrad von Europa nach Sudan faehrt und in der man mit Satelitenfernsehen viele Meinungen und Informationen einholen kann. Wir sind uns einig, dass es grosser Toleranz und Bedachtheit bedarf, um die Probleme, die sich aus den unterschiedlichen Kulturen und Religionen ergeben, zu meistern. Nabil, als Wanderer zwischen den Welten, lebt in diesem Spannungsfeld und ist sich sicher, dass er hier im Sudan leben will, trotz des Luxus, den er in England geniesst. Er betet fuenfmal taeglich, aber er zitiert auch einen weitgereisten, beruehmten islamischen Geistlichen, der gesagt hat: "Ich ging nach Europa und fand Islam, aber keine Muslime. Ich ging nach Arabien und fand Muslime, aber keinen Islam." Man sollte dieses Zitat nicht ueberbewerten, aber es zeigt, dass die Ziele der beiden groessten Weltreligionen garnicht weit voneinander entfernt liegen.

Wir verabschieden uns von Nabil und fahren auf der Sandstrasse durch die Doerfer weiter bis nach El Khandaq, wo uns der Lehrer auf der Strasse abfaengt und uns in die Schule einlaedt. Wir sind die Attraktion des Tages fuer Schueler und Belegschaft, besuchen zwei der drei Klassen, in denen links die Jungs und rechts die Maedchen hinter alten Tischen sitzen, vor sich eine Tafel und es sieht ungefaehr so aus, wie dereinst in meinem KLassenzimmer 1964 in Krefeld, wenn man mal die Kopftuecher der Maedchen und die Gallabyas der Jungs und Lehrer vergisst. Die uns vorgefuehrten Lehrmethoden sind die Erklaerung fuer z.B. die desolaten Englischkenntnisse der Schueler. Nach vier bis sechs Jahren Englisch koennen die Schueler durchweg nichts anderes, als das aufsagen, was sie im ersten Jahr gelernt haben. Beim Eintreten des Lehrers stehen alle auf, im Chor wird die Begruessung erwidert: "Good morning teacher!"- was erklaert, weshalb uns zu jeder Tageszeit ein "Good morning" entboten wird. Die Schueler zeigen auf und schnippen mit den Fingern, grad so, wie wir das gemacht haben. Werden sie "drangenommen", stehen sie auf. Es ist ein mechanisches Lernen, aus immer wieder gleich gestellten und beantworteten Fragen, was zur Folge hat, dass eine Frage nur dann verstanden wird, wenn sie exact so, wie im Lehrbuch geschrieben, gestellt wird. Variiert man nur etwas, wird man nicht mehr verstanden.

Zum Unterrichtsstoff gehoert hier selbstverstaendlich auch das Studium des Koran und der Arabischunterricht wird ebenfalls anhand dieses Buches durchgefuehrt. Daneben wird Mathematik, Geografie, Kunst und Sport unterrichtet, letzterer beschraenkt sich allerdings auf leichte Gymnastik.

Ich versuche den Kindern etwas von der europaeischen Idee zu erzaehlen, aber in den Gesichtern sehe ich, dass ich ebensogut vom Mond erzaehlen koennte, weil unsere Fremdheit und die ungewoehnliche Situation die Kinder voellig gefangen nimmt. Also laecheln, freundlich sein, Fotos (die wir den Kindern zu deren Freude gleich zeigen), dann Abgang. Renata wird noch von den Lehrerinnen, deren eine verschleiert ist, interviewt, waehrend mich der Direktor und die Kollegen befragen. Von Deutschland weiss man, dass es dort sehr kalt und sehr reich ist. Und wie immer kennen die Jungs und Maenner die Fussballer, Oliver Kahn, Franz Beckenbauer, Rudi Voeller, Ballack. Manchmal lobt man die Autos, vorallem Mercedes, man weiss von Berlin und Bonn, manchmal von Muenchen oder Frankfurt. Irgendwer sagt dann immer mal wieder "Hitler", der Oestereicher ist einfach nicht totzukriegen.

In der Pause lassen wir einen der Knaben Renatas Fahrrad fahren- was sonst koennen wir anbieten?

Dann besichtigen wir mit dem Lehrer das Dorf, dass einst eine grosse Stadt wie Dongola war, aber aus dem viele Menschen nach Khartum abgewandert sind, weshalb der halbe Ort verfallen ist, eine Geisterstadt mit eingefallenen Daechern.

Der Ort wird von einer alten, stark verfallenen Festung ueberragt, die vornehmlich aus Lehmziegeln errichtet wurde. Hier weiss niemand mehr, wer die Burg einst baute und wer sie zerstoerte.

Im Fluss vor dem Ort lag eine grosse Insel, auf der Felder angelegt waren und Vieh weidete. Waehrend der letzten drei Jahre hat das Hochwasser die Insel nahezu voellig abgetragen. Den Hoechststand der diesjaehrigen Flut kann man noch gut am Ufer erkennen. Hier wuchs der Lehrer auf und auch das Haus der Eltern ist leer und verfaellt.

Im Haus des Lehrers essen wir und schlafen etwas, wobei wir immer noch leichte Scham empfinden, uns bei Besuchen zur Mittagszeit sogleich auf die fremden Betten zu legen, aber hier ist das selbstverstaendlich und gehoert zur Gastfreundschaft.

Am Nachmittag gehts weiter entlang des Gruenguertels am Nil, obwohl wir eine Einladung zu einer Feier der Familie mit traditioneller Musik haben. Aber sonst kommen wir ja garnimmer vom Fleck!

Bald muessen wir einen Lagerplatz suchen, den wir in den Feldern, zwischen Palmen finden, waehrend ein Bussard schreiend ueber unseren Koepfen kreist.

Der Bauern und jede Menge Helfershelfer kommen herbei, ein grosses Hallo!, neugierig, freundlich, aber nicht aufdringlich. Man bringt uns eine grosse, blaue Plane, damit wir das Zelt bequem aufstellen koennen und laesst uns allein.

Als es dunkel geworden ist, gehen wir mit den Kopflampen 50 Meter durch den Palmenhain zu einer Dieselmotorpumpe, die aus einem 10 Meter tiefen, trichterfoermigen Loch sauberes, nach Schwefel riechendes Grundwasser in die weitverzweigten, kleinen Lehmkanaele pumpt. Unter dem armdicken Strahl koennen wir eine herrliche Dusche nehmen. Hier quakt ein Frosch und am Zelt krabbeln wieder die dicken, schwarzen Kaefer umher und es raschelt laut, wenn sie dabei ueber die Plane flitzen.

geschrieben am 5.11. in Khartum


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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