11/1/2003 Sudan / Khartum
Sudan
Ausflug in die Geschichte
(Harald und Renata) Bei Sonnenaufgang bin ich oben zwischen den dunklen Pyramiden, weil sich jetzt die besten Bilder schiessen lassen. Sobald die Bauten ihrer aeusseren Schicht aus Granit beraubt waren, begann der Wind sein zerstoererisches Werk und schmirgelte mit dem Sand den weichen Sandstein zu runden, teilweise auch bizarren Formen. Wie schon in der Negev im Timna-Tal und in Petra und Wadi Rum in Jordanien, hat der Stein hier viele Farben. Die Pyramiden wurden ueber Grabkammern errichtet, ihnen standen kleine Tempel vor, mit drei Raeumen bei den Maennern und zweien bei den Frauen. Die Inschriften und Goetterdarstellungen verraten den aegyptischen Einfluss: Hyroglyphen, Kartuschen und die unverkennbaren Goetter Re, Amun, Osiris, Horus, Anubis usw. haben auch hier die Toten verlaesslich begruesst und ins Jenseits geleitet. Der Friedhof wurde ueber etwa 1000 Jahre benutzt. Die hier beigesetzten Vizekoenige der Pharaonen und lokalen Herrscher der Zeit des meroetischen Koenigreiches wurden in den Tempeln verehrt und wer es sich leisten konnte und ueber Einfluss verfuegte, liess sich nahe bei den groesseren Pyramiden beisetzen. Meroe bestand von etwa 600 v.C. bis 350 n.C., als es von den Abessiniern ueberrannt wurde. Auch die Roemer arrangierten sich mit dem Koenigreich Mero-e und beide Seiten betrachteten lange den 1. Katarakt, die Stromschnellen bei Assuan, als natuerliche Grenze. Erste Funde im Nordsudan belegen eine nubische Zivilisation lange vor Mero-e, sogar vor den Pharaonen (etwa 3300 v.C.) in Aegypten. Mero-e wurde von den Kuschiten gegruendet, dem einst im Osten (heute Eritrea-Aethiopien) gelegenen Koenigreich Kusch. Um Dongola entstanden eine Reihe kleiner, christlicher Koenigreiche. Im 14. Jh. erorberten die Mameluken den Sudan und etablierten im Norden den Islam. Im 16. Jh. entstand das maechtige, moslemische Reich Funi, dessen Hauptstadt Sannar in der Naehe des heutigen Khartum lag und eines der grossen, kulturellen Zentren der islamischen Welt wurde. 1821 eroberte der aegyptische Vizekoenig Mohammed Ali (an seinem Denkmal sind wir in Kairo oft vorbeigelaufen) den Nordsudan und oeffnete den Sueden fuer den Handel. Die Auswirkungen auf die dort ansaessigen, nichtislamischen Staemme waren verheerend: Sie wurden versklavt und durch Krankheiten reduziert. Die Briten wollten den Nil kontrollieren und der Expansion der Franzosen von Westen her, entgegenwirken und banden den Sueden in eine Ostafrikanische Union ein, die zudem eine weitere Missionierung nach sich zog. 1881 erklaerte sich der Nordsudanese Mohammed Achmed Ibn el-Saayed zum Machdi, zum Fuehrer der Moslems, der die Welt vom Boesen befreien soll. Nach vier Jahren Befreiungskrieg gegen Franzosen und Briten konnte er den brit. General und Kommandeur der verbuendeten aegyptischen Einheiten, Charles Gordon in Khartum schlagen- nach einem Jahr Belagerung und nur zwei Tage, bevor Entsatz brit. Truppen eintraf. 1898 wurde er von Lord Kitchener in Omdurman von brit. und aegyptischen Truppen geschlagen. Der Sudan wurde damit brit. Kolonie. 1956 wurde der Sudan unabhaengig, aber der Sueden verlangte Autonomie. Als man dies verweigerte, kam es zu einem blutigen, 16 Jahre dauernden Buergerkrieg. 1965 wurde der Ur-Urenkel des Machdi zum Praesidenten gewaehlt, aber auch diese Anknuepfung an eine glorreiche Vergangenheit brachte keine Stabilitaet. Bereits 1969 putschte Oberst Nimeiri und konnte sich, trotz zahlreicher Attentate und Putschversuche, 16 Jahre lang an der Macht halten. Er vereinbarte 1972 eine weitgehende Autonomie mit dem Sueden, erklaerte jedoch 1983 die Scharia, das moslemische Recht, fuer verbindlich fuer das ganze Land (mehr zur Scharia spaeter). Der Sudan wurde damit zu einer der wenigen islamistischen Staaten lt. Verfassung (neben Afghanistan, Yemen, Iran und Nigeria). Dieser Versuch, eine schwarz-afrikanische, animistische (naturreligioese), oder christliche Kultur zu islamisieren und zu arabisieren, fuehrte zu einem neuen Buergerkrieg. John Garang gruendete die Sudanese Peoples Liberation Movement (SPLM) und eine Armee (SPLA), die schnell die Kontrolle ueber den groessten Teil des Suedens uebernahm. Praesident Nimeiri wurde erneut vom Machdi-Enkel Sadiq abgeloest, aber auch diese zweite Praesidentschaft war erfolglos. 1989 putschte der General Omar Hassan Ahmad el-Bashir, der amtierende Praesident. Hinter ihm stand der maechtige Hassan el-Turabi, ein fundamentalistischer Fuehrer, Chef der Nationalen Islamischen Front (NIF). Als 1995 auf den aegyptischen Praesidenten Hosni Mubarak ein Attentat veruebt wurde, wurde der Sudan der Komplizenschaft beschuldigt. Dies kostete den Sudan alle regionalen Freunde. Im August 1998 schlugen hier in Nord-Khartum amerikanische Cruise Misles in eine Pharmafabrik ein. Unbewiesen ist bis heute die Begruendung der USA, dort seien Substanzen fuer chemische Waffen hergestellt worden und es haette Verbindungen zu Osama bin Laden und Saddam Husseins Regime gegeben. Mitttlerweile sitzen Amerikaner abends neben uns in der Eisdiele und die Botschaft ist wieder geoeffnet. 1999 schwenkte el-Bashir um: Es begannen Friedensverhandlungen mit dem Sueden, die diplomatischen Beziehungen mit den Nachbarstaaten wurden verbessert und im Dezember loeste el-Bashir das Parlament auf, aenderte die Verfassung und verhaengte einen dreimonatigen Ausnahmezustand ueber das Land. Er verhaengte 2001 einen Hausarrest fuer el-Turabi, den er beschuldigte, eine geheime Vereinbarung mit dem Sueden getroffen zu haben. Dieser Hausarrest wurde erst jetzt, am 13. Oktober aufgehoben. Im Zuge der ernsthaften Friedensverhandlungen wurden auch saemtliche politischen Gefangenen freigelassen. In Kenia wurden Anfang Oktober neue Verhandlungen zwischen der SPLA und der Regierung aufgenommen. Somit koennte der grauenvolle Buergerkrieg, der 1,9 Millionen (!) Tote forderte und in dessen Zuge Milionen Menschen zu Fluechtlingen wurden, endlich ein Ende finden. geschrieben am 15.11.in Khartum
|