11/10/2003 Sudan / Khartum
Adams Rippen
Innenansichten
(Harald und Renata) Wir leben in Christians Haus weitgehend abgeschottet von der Umwelt: Drei Meter hohe Mauern, oben mit Stacheldraht bewehrt, stets verschlossene Stahltore, die Fenster alle vergittert. In manchen Haeusern der Gegend sind die Klingeln abgestellt, Grundstuecke sind mit Ueberwachungskameras ausgestattet, von Hunden und Sicherheitsdiensten geschuetzt. Dies, obwohl wir uns hier wirklich sicher fuehlen, ganz anders, als z.B. in Aegypten oder in der Tuerkei. Von Kriminalitaet bekommen wir wenig mit. Uns als Auslaendern begegnet man ausgesprochen hoeflich, freundlich. Renata wurde bislang nur einmal, direkt vor Christians Haus, von einem Jugendlichen angefasst. Wer hier im Stadtteil Riad, oder den anderen, besseren Vierteln lebt, bekommt nur wenig vom Leben "da draussen" mit. Wer in den teuren Geschaeften westliche Waren kaufen kann, einen Satelitendecoder fuers Fernsehen hat und ein klimatisiertes Auto faehrt, der wirkt in 99 % des Landes wie ein Fremdkoerper. Hier im Norden des Landes vergisst man sowieso leicht, dass dies ein Buergerkriegsstaat ist. Auch wir verfallen der Verfuehrung der Bequemlichkeit, denn : Wem hilft es, wenn ich es mir nicht gutgehen lasse? Wir sind nicht fuer alles Elend verantwortlich. Und was koennen wir Einzelne schon aendern? Auf die Politik haben wir doch keinen Einfluss. Diese Gedanken sind uns wohl vertraut und sie sind so richtig, wie sie falsch sind. Wer sich als ersten Berg den Mount Everest vornimmt, wird nie bergsteigen. Es geht nicht darum, DIE Loesung zu haben, es geht um kleine Schritte. Das Abschotten der Wohlhabenden schliesst die Armen aus. Denen begegnen wir vor dem teuren Supermarkt, vor der Eisdiele, wo das Eis soviel kostet, wie viele an zwei Tagen verdienen. Es sind Muetter mit kleinen Kindern, oder Kinder, die uns Blech- und Plastikschuessel hinhalten: "Fluss!" (Geld) Wir geben Muenzgeld, z.B. 25 Dinare, etwa 8 Cent. "Schukran" (Danke) sagen die Wenigsten, weil das Spenden, man koennte richtigerweise "Teilen" sagen, eine der fuenf elementaren Pflichten des glaeubigen Muslims ist. Wir fordern die Kinder trotzdem auf, sich zu bedanken. Aber wir haben auch erlebt, wie Europaeer aggressiv auf die bettelnden Kinder reagieren. Wann geben und wann nicht und wieviel? Wir sind nicht mit Saecken voller Geld gekommen. Fuer uns ist es eine Selbstverstaendlichkeit zu geben, was moeglich ist und wir waegen stets ab. Ein Junge von etwa 12 Jahren klingelt am Tor, signalisiert, er habe Hunger. Wir laden ihn ein, er sitzt mit uns am Tisch, isst und trinkt und wir versorgen eine offene Wunde an seinem Fuss, fordern ihn auf, morgen zur neuerlichen Behandlung wiederzukommen (was er nicht macht). Vor der Baeckerei geben wir einem Bettler statt Geld ein Brot. Das ist unser Rahmen, in dem wir geben koennen. Und wir wissen, dass es in Aethiopien noch viel schlimmer ist. Vom Sueden des Landes, wo eine ganze Generation im Krieg aufgewachsen ist, erfahren wir hier nichts. Waere nicht die internationale Presse, wuesste man nicht, mit welchen Mitteln dort Krieg gefuehrt wird. Da wurden Doerfer mit Hubschraubern beschossen, Huetten niedergebrannt und nach Vertreibung der Bewohner die Doerfer vermint. Armee und Milizen schreckten auch vor der Ermordung von Zivilisten, Kindern nicht zurueck. So geschehen z.B. im letzten Jahr in der Region Upper Nile, an der Grenze zu Aethiopien etwa 500 km suedlich von Wad Medani. Im Sudan sind eine Menge Hilfsorganisationen taetig, u.a. Miserior, der Evangelische Entwicklungsdienst, die Deutsche Caritas, Brot fuer die Welt und die Gesellschaft fuer bedrohte Voelker. Als wir von Wadi Halfa kommend, die sandigen, staubigen Pisten entlangschoben, habe ich oft diese Regierung verflucht, die in diesem armen Land zwar die eigene Bevoelkerung massakriert, aber nicht mal ein paar Strassen fuer sie baut. Es gibt z.Zt. nur etwa 3000 km Teerstrassen- weniger, als das Berliner Strassennetz umfasst. Und das in Afrikas groesstem Staat. Pro Kopf verdient ein Sudanese durchschnittlich zwischen 200 und 350 Dollar im Jahr, ein Deutscher 23560. Dazu kommt der Nutzen aus dem oeffentlichen Leben, den Schulen, Krankenhaeusern usw. Ein offenes Geheimnis ist die Tatsache, dass es im Sudan einen regen Sklavenhandel gibt. Auch Khartum ist ein "Umschlagplatz" und internationale Schaetzungen sprechen von 8 bis 15 Tausend Sklaven, die jaehrlich im Sudan "gehandelt" werden. Man darf sich diesen "Markt" allerdings nicht wie einen Marktplatz vorstellen, wo Peitschen geschwungen werden. Trotzdem handelt es sich um Sklaven, die ohne Bezahlung, ohne persoenliche Papiere, zu allem und jedem angehalten werden. Sie werden geschlagen, misshandelt, weiterverkauft und exportiert, z.B. nach Saudi Arabien. Wie ist das moeglich, wie kann dies im 21. Jahrhundert vertreten werden? Der Koran erwaehnt den Sklaven mehrfach, z.B. in Sure 23, Verse 1 bis 6: "Wahrlich erfolgreich sind die Galeubigen, die in ihren Gebeten voller Demut sind und die sich von allem leeren Gerede fernhalten, die die Zakach (Armengabe) entrichten und ihre Schamteile bewahren, ausser gegenueber ihren Gattinnen, oder denen, die sie von Rechts wegen besitzen (gemeint sind Sklaven) ; denn dann sind sie nicht zu tadeln." (Woraus auch hervorgeht, dass sich der Koran im Wort nur an die Maenner richtet!) Folglich auch Sure 24, Vers 32: "…und die guten unter euren Sklaven, maennliche wie weibliche." Oder Sure 24, Vers 33: …"Und zwingt eure Sklavinnen nicht zur Prostitution, wenn sie ein ehrbares Leben fuehren wollen."…Aber auch Sure 3,Vers 35: "…; und seid gut zu den Eltern, zu den Verwandten, den Waisen, den Armen, dem Nachbarn, sei er verwandt, oder aus der Fremde, dem Begleiter an der Seite, dem Sohn des Weges (das sind wir auf unseren Raedern z.B.!), und zu dem Sklaven, den ihr von Rechts wegen besitzt."… Sudans Wirklichkeit ist mehr als wir sehen, aber manches ist offensichtlich. Auf den Strassen Khartums sehen wir Polio-Krueppel (Kinderlaehmung), mit duerren Gliedern, auf Kruecken, die diesen Namen nicht verdienen. Und Leprakranke. Wer aus den Kanaelen abseits des Nils trinkt, kann sich mit Thyphus infizieren, wer darin badet mit Bilharziose (toedliche Wurmerkrankung), wer von einem Hund gebissen wird, kann an der Tollwut sterben, wer von Muecken gestochen wird, erkrankt-oder stirbt- an Malaria. Dies ist Afrika und alle einfachen Ratschlaege prallen davon ab. Sudan ist ein fundamentalistischer Staat, aber wer sich Sudan als Heimat der Verschleierten vorstellt, irrt gewaltig. Die findet man in Saudi Arabien, im Iran und in Afghanistan. Vielleicht hat die bunte, vielfaeltige Lebensfreude des Suedens sich da heilsam mit der selbstbewussten, gelassenen nubischen Haltung des Nordens gepaart. Jedenfalls sehen wir keine Schleier, sondern bunt-gemusterte, grosse Tuecher in leuchtenden Farben und die Frauen treten oft sehr selbstbewusst in der Oeffentlichkeit auf. Trotzdem bietet der Koran Spielraum genug fuer Machos (wie die Bibel auch), z.B. in Sure 2, Vers 227: …"Und ihnen (den Frauen) stehen die gleichen Rechte zu, wie sie (die Maenner) zur guetigen Ausuebung ueber sie haben. Doch die Maenner stehen eine Stufe ueber ihnen"… In Vers 35 der gleichen Sure: "Die Maenner stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermoegen hingeben. Darum sind tugendhafte Frauen die Gehorsamen und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit Allahs Hilfe bewahren. Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr fuerchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, sucht gegen sie keine Ausreden…" Vergessen wird leicht, dass die Bibel ebenfalls einen Unterschied zu Gunsten der Maenner macht, z.B. im 1.Buch Moses,3,16: "…dein Verlangen soll nach deinem Manne sein und er soll dein Herr sein." Und in Epheser, 5,22f: "Die Weiber seien untertan ihren Maennern als dem Herrn. Denn der Mann ist des Weibes Haupt…Aber wie nun die Gemeinde ist Christo untertan, also auch die Weiber ihren Maennern in allen Dingen." Und in Korinther 7,4: "Das Weib ist ihres Leibes nicht maechtig, sondern der Mann." In 11,3: "…der Mann aber ist des Weibes Haupt." Es ist ergo, was man daraus macht. Ich halte es lieber mit dem "Wiener Musen Almanach" von 1782, demzufolge Adam bei Anblick Evas zu Gott sagt: "Kannst Du so schoene Sachen, aus meinen Rippen machen, so nimm, so nimm doch nur noch mehr, nimm alle meine Rippen, Herr!" geschrieben am 20.11. in Wad Medani
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