11/30/2003 Aethiopien / Gynnt
Tella und Maru
Ein erstes Bier, ein Bad, ein naechtliches Konzert
(Harald und Renata) In der Nacht ist die Luft aus Renatas Matratze entwichen und einen Reparaturset gibt es dafuer nicht. Was jetzt? Das Loch muss allerdings winzig sein. Wir haben wieder mal den Fehler gemacht, zu wenig Waschwasser unterwegs aufzunehmen und muessen uns nun mit dem teuren, kostbaren Flaschenwasser behelfen. Nach 14 km ist`s Zeit fuers Fruehstueck. Im naechsten Ort will man uns zuviel Geld fuer ein Ruehrei berechnen, so dass wir verzichten. Gehen wir zum naechsten Restaurant, ist gleich ein junger Mann zur Stelle, der auf Amharisch, der hier gebraeuchlichen Sprache, den dortigen Wirt ueber den einzuhaltenden Preis informiert. Das veraergert uns, ist aber nicht zu verhindern. Eine Gruppe offensichtlich leicht angetrunkener junger Maenner laedt uns ein, ein Bier mit ihnen zu trinken. Alkohol war im Sudan offiziell nicht zu bekommen, weil laut dem islamischen Gesetz verboten. In Aethiopien gibt es jedoch mehrere Brauereien, die z.T. gutes Bier brauen. Wir trinken helles “Dashen”, ein einem Pils aehnliches Bier mit 4,5 % Alkohol. Auf nuechternen Magen hat das eine durchschlagende Wirkung, denn wir werden nach kurzem ausgesprochen muede und faul. Jetzt erstmal Essen! Spaghetti mit Oel und Zwiebeln und Brot, ein paar Kekse danach und schwupps! sind zwei Stunden vergangen. Jetzt scheint die Sonne schon wieder kraeftig und es ist heiss. Wir koennen Wasser kaufen, aber es ist viel zu teuer und so lassen wir uns Brunnenwasser geben und entkeimen es mit “Mircropur”-Tabletten, kleinen Pillchen, eine pro Liter, die nach zwei Stunden voll wirksam sind. Hinter dem Dorf durchzieht ein tiefer Graben die Ebene, darin ein Bach, der ein kleines Becken huefthoch mit Wasser fuellt. Hier waschen die Frauen des Dorfes die Waesche und hier baden die Kinder. Ich nehme ein Bad in dem kalten Wasser, ein paar Schwimmzuege lassen sich machen- herrlich erfrischend, trotz leichter Waschpulverreste im Wasser. Die Gefahr der Bilharziose ist mir im Moment voellig schnuppe. An meinen Zehen saugen kleine Fische Hautreste ab und kleine Froesche springen wie lebende Flummis durcheinander und die Kinder lachen und weiter unten stehen Kuehe im Wasser und ein Mann waescht dort sein Auto und ich wundere mich einmal mehr: wo, um alles in der Welt, bin ich hier gelandet? Mit dem Fahrrad nach Aethiopien gefahren, kann das wahr sein? So weit weg von allem, was mir vertraut ist, was mir etwas bedeutete und trotzdem fuehle ich mich wohl und ich schaue rueber zu Renata, die mit einer Traube Kindern spricht und ja! Es ist wahr, wir sind hier, in Aethiopien, in Afrika, in dem Land, dass mir in meiner Kindheit als Hunger- und Katastrophenland bekannt war. “Iss die Apfelkitsche mit, iss dein Brot auf, mache deinen Teller leer, denke an die armen Kinder in Afrika, die nichts zu essen haben” hatte mir meine Mutter stets gesagt. Und das war vornehmlich hier, wo wir jetzt sind. Wir waschen eine Garnitur Waesche und fahren weiter, mein Hemd trocknet auf dem Koerper. Zwei 4x4 halten an, Englaender, die fragen, ob alles o.k.sei. Ja, danke. Sie haben Ralph in Gonder gesehen, gestern. Bis wir da sind, ist er bestimmt weg. Holzhacker laufen entlang der Strasse. Ihre Beile sehen aus, wie aus einem anderen Jahrhundert, aus einem geschmiedeten Stueck Eisen um den Holzschaft gebogen. Unter einem Baum sitzt eine Frau und bietet Tella an, ein waessriges Gaergetraenk mit rauchigem Geschmack, wirklich keine Koestlichkeit. Renata trinkt tapfer, als ich ansetzen will, entdecke ich eine dicke Fliege im Gebraeu, den Rest des Drecks ignoriere auch ich. Aber nein, schoenen Dank, nicht nachschenken… Wir schieben mal wieder. Sportliche Fahrer schaffen das sicher auch fahrend, aber Renata meint, dass der Unterschied zwischen gefahrenen 8 km/h und geschobenen 5 km/h die Muehe nicht lohnt. Wir erreichen nach einer Tageskilometerleistung von 38 km Gynnt. Renata ist voellig am Ende, nichts geht mehr. Der kleine Weiler reiht sich beidseits der Strasse und die durchfahrenden Autos verstauben die Haeuser staendig. Vor den Haeusern zeigen leere Buechsen und Tabletts an Pfloecken an, wo Tee und Essen angeboten wird. Beim Essen (Ruehreier, was sonst?) schauen wir auf den ungewoehnlichen Berg, der den Ort ueberragt und der uns den ganzen Tag das ferne Ziel vorgab. Der Gipfel mag 800 Meter hoch ragen. Ein junger Mann namens Maru spricht etwas Englisch und bietet uns an, hinter der Haeuserreihe unser Zelt aufzuschlagen. Eine Besichtigung mit der Taschenlampe ergibt, dass das Terrain annehmbar ist. Maru ist 20 Jahre alt und faehrt einen Traktor mit Anhaenger, den er gerade selber repariert. Die ca. 2000 Dollar, die er fuer den Kauf seinerzeit brauchte, hat ihm sein Vater gegeben, der einen kleinen Laden in Metemma an der Grenze hat, wo Maru auch aufgewachsen ist. Dort moechte er mal in einem eigenen Haus mit einer Familie wohnen. Er befaehrt die Strecke zwischen Gonder und Metemma, mag Fussball und kennt Oliver Kahn (der wohl bekannteste Deutsche z.Zt.). Er hat zwei Geschwister, seine Mutter ist 37, sein Vater 40 Jahre alt, er ist 10 Jahre zur Schule gegangen und gehoert somit nicht zu den 64 % Analphabeten im Land (bei Frauen alleine sind es 75 % Analphabeten!). Er raucht Zigaretten, ein Luxus, den er sich als Fahrer erlauben kann. In der Nacht stimmen die Hunde des Ortes ein Heulkonzert an, wie wir es zuletzt in den Bergen vor Jerusalem von den Schakalen gehoert haben. geschrieben am 5.12. in Gonder
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