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Reisetagebuch

12/1/2003   Aethiopien / Aykel

Youyou

Kleiner Zwischenfall

(Harald und Renata) Leider hat unser Zelt unter einem Zweig eines grossen Laubbaumes gestanden, was wir im Dunkeln nicht bemerkt haben. Und die vielen Voegel haben uns ein paar Gruesse aufs Zelt gemalt, so dass ich erstmal mit Reinigungsarbeiten beschaeftigt bin. Dabei faellt mein Blick ueber die Wiese auf eine Gruppe Frauen, die ganz ungeniert nebeneinander im Gras hocken, offensichtlich um gemuetlich Morgentoilette zu machen. Sie lassen sich nicht stoeren und erst nach einer Viertelstunde ist die Sache erledigt. Um uns herum sammeln sich Maenner und Frauen, die uns begaffen wollen und das kann ich morgens schon garnicht leiden, weshalb ich deutlich werde und die Leute trollen sich widerwillig. Auch Maru ist zur Stelle, natuerlich nur um zu helfen, wie gestern abend, als er und sein Kumpel alles ganz genau mitverfolgten und in jede Taschen schauten und sich erst nach deutlichem Abschied zurueckzogen. Ich sage ihm, wir braeuchten keine Assistenz und man saehe sich beim Fruehstueck.

Das findet in der Morgensonne an der Strasse statt. Hier steht das Wrack eines schwer verunfallten LKW, unter dem sich ein Hund schlafen gelegt hat, muede vom naechtlichen Heulen und Bellen.

Ausser Taschentuechern, Toilettpapier und ein paar Trockenkeksen gibt es nichts zu kaufen. Im hintersten Eck des Laedchens gibt es aber Kondome- auch dies ein Unding im Sudan. Hier, in einem Land mit hoher Aids-Rate ein Muss. Auch Geschlechtskrankheiten, Pilzerkrankungen und Hepathitis werden durch Geschlechtsverkehr uebertragen.

Gynnt liegt in einer Senke und direkt hinter dem Ort geht es bergauf und so bleibt das den ganzen Tag. Drei Blauaffen kreuzen die Strasse, offensichtlich an Menschen gewoehnt. In den ersten Strahlen der Sonne waermen sich Eidechsen neben dem Strassengraben, ueberall zwitschern Voegel, kraechzen Raben, kreisen Schwarzstoerche, Bussarde, Falken, rote Finken picken an den winzigen Baumfruechten.

Je hoeher wir kommen, desto schoener der Blick auf das gewundene Tal, desto weiter der Ausblick auf die vor uns liegenden Berge.

Wir werden immer wieder angebettelt, meist geht es um unser Wasser Marke “Highland”, ein aethiopisches Produkt. Oder man moechte Kleidung, etwas zu essen, Medikamente gegen Malaria, Geld. Wie man uns um Wasser fragen kann, angesichts der offensichtlichen Situation, dass wir bergauf in der Hitze selbst nur noch 2 Liter fuer 2 Personen haben, ist unklar und nur mit Ignoranz oder Egoismus zu erklaeren. Es gibt hier Wasser, aber die meisten, die hier unterwegs sind, haben keine Behaelter fuer Wasser bei sich. Und man fragt uns auch, obwohl es 100 Meter weiter Wasser gibt, was uns veraergert. Es heisst meist einfach: “You!” und man streckt die Hand aus, oder “Give!”, beides wie ein Kommando. Das Wort “Please!”(Bitte) scheint es nicht zu geben. Geben wird hier gefordert, wie selbstverstaendlich. Und die Scham, sich als Bettler zu outen, haben viele nicht. Manche verfolgen uns foermlich, fallen laestig, sind aufdringlich, man muss deutlich werden. Als ein Mann mit zwei Lasteseln uns um Wasser anbettelt, wird Renata wuetend, weil er schliesslich wenigstens die Esel mit Wasser bepacken koennte, wenn er schon nur einen unnoetigen, dicken Stecken statt einer Flasche tragen will.

Das staendige “You!” klingt wie ein Fingerstich in die Rippen, man fuehlt sich angeklagt, aufgefordert, es klingt ueberhaupt nicht freundlich.

Wieder ein LKW-Wrack an der Strasse, sogar mit guten Reifen, die niemand abmontiert. Und alles ist gruen und wir wundern uns, warum es bei soviel Kuehen und Ziegen keine Milch, kein Joghurt, keine Buttermilch, nicht mal Kaese gibt. Und warum gibt es keine Konserven, die doch fuer die Hirten und LKW-Fahrer ideal waeren?

Fast am Gipfel treffen wir auf eine endlos scheinende Kolonne von Schuelern in hellbraunen Uniformen. Manche meinen, es sei nicht nuetzlich, sich fotografieren zu lassen, aber die meisten lieben es. Schliesslich ist es einfach nur eine Art etwas Zeit miteinander zu verbringen, sich ein bisschen zu unterhalten, etwas miteinander zu lachen und die Hemmungen abzubauen: “Wir haben heute zwei Deutsche Fahrradfahrer getroffen, die waren lustig und nett…” Das ist doch schon was, oder?

Nahe dem Bergkamm sehen wir eine graue Agame, ca. 40 cm lang, mit leuchtend blauen Fuessen, Kehle und Unterseite und auf der Strasse kommt uns eine trabende Herde Eselchen entgegen, 60 eilig trippelnde Tiere mit schwarzen Halsstreifen, wie Zebras.

Von hier oben haben wir einen atemberaubenden Blick ueber das Vorgebirge und den Berg, von dessen Fuss wir heute morgen gestartet sind. Hier oben ist es angenehm kuehl, Wolken sind aufgezogen, ein erfrischender Wind trocknet den Schweiss.

Nach 20 km bergauf Schieben erreichen wir um 14.30 Uhr auf dem Kamm, ca. 2300 m ueber NN den Ort Sarawa, einen Militaerposten. Hier stehen einige Lehm-Holz-Huetten mit glaenzenden Wellblechdaechern, die den heftigen Regenfaellen besser gewachsen sind. Frauen bieten Tee und Essen an. Wir lassen uns von einer Frau Ruehreier (was sonst?) braten, bekommen ein paar Bratkartoffel und Brot. Alles zu einem fairen Preis und mit einer netten Unterhaltung und wir wollen gerade ein Trinkgeld geben, als die Frau die ganze Pose schmeisst und um eine Limonade bettelt, die sie ja selbst verkauft. Schade. Wir geben trotzdem einen Birr extra.

Ueber die Strasse werden fette Zebukuehe getrieben, fuer den Fleischmarkt im Sudan bestimmt.

Dann gehts weiter und nach weiteren 8 km erreichen wir Aykel. Die holprige Dorfstrasse, sandig, staubig, voller Abfall und hunderter Maenner, die herumlaufen, herumhaengen, offensichtlich ohne Beschaeftigung, weshalb sich sogleich alles auf die zwei Faranjis stuerzt.

Ein Englischlehrer in den Dreissigern weist uns zu einem kleinen Restaurant, wo es Pasta geben soll. Im winzigen Gastraum haengt eine Menuekarte und bei Nachfrage nach den Speisen (die Preise sind lesbar, weil in Aethiopien arabische Zahlen verwendet werden) verstehe ich, dass der Wirt nicht moechte, dass der Lehrer mir vorliest, weil er von mir hoehere Preise nehmen will. Es soll Pasta mit allem Gewuenschten geben, auch mit Ei und ich bestelle zwei Portionen. Als Preis wird der hoechste auf der Karte angegeben, womit ich gerechnet habe. Nach 15 Minuten wird eine kleine Pfanne mit Ruehrei gebracht. Als ich in die Kueche gehe, um zu fragen, wann denn die Nudeln dazu kaemen, heisst es, Nudeln gaebe es keine. Aha!? Netter Trick, kennen wir schon. Wenn der Auslaender einen Preis kennt, heisst es einfach, dass gaebe es im Moment eben nicht und man bringt etwas, dessen Preis nicht bekannt und/oder vereinbart wurde. Deshalb frage ich nach. “Don’t worry, this eggs are only 2 Birr!” Wir essen also und bestellen eine zweite Portion, die wir dann noch einmal bestellen muessen, weil man angeblich nicht verstanden hat, dass wir bestellt hatten und statt einem Getraenk gibt es zwei (wahlweise umgekehrt), statt Cola einfach Limonade, alles kein grosses Problem, aber ein dummes Spiel. Am Ende heisst es:”20 Birr”. Richtig waeren jedoch 12 Birr. Der Trick? Nun, die Eier kosten nicht 2 sondern 3 Birr- das Stueck! In der Pfanne seien jeweils 2 Eier…Das Spiel ist uns zu dumm und wir legen zur Guete 14 Birr auf den Tisch und wollen die Reader von der Terrasse schieben, aber der Wirt haelt Renatas Rad fest. Wir sind umringt von gut 100 Maennern, die uns dichtgedraengt jeden Bissen vom Mund geschaut haben und die jetzt gespannt sehen wollen, wie das Ganze ausgeht. Ich werde energisch, dann laut, versuche uns Platz zu machen und der Wirt ist offensichtlich eher bereit sich mit mir zu pruegeln, als uns gehen zu lassen. Wir rufen nach Polizei, Renata hat Angst, weil die Maenner sie koerperlich einzwaengen, aber eine Ordnungsmacht ist nicht zu sehen.

Der Englischlehrer, der die Richtigkeit unserer Angaben bestaetigen koennte, hat sich verdrueckt, ein anderer Mann schaltet sich ein. Was er mit dem Wirt bespricht, verstehen wir nicht, aber er ist offensichtlich nicht bereit, dem Betrueger klarzumachen, wie unsinnig sein Verhalten ist. Deshalb versuche ich nach 10 Minuten Streit dem ein Ende zu machen und erhoehe mein Angebot auf 16 Birr. Der Wirt nimmt das Geld, macht sich aber auf Aethiopisch lautstark ueber mich lustig, um sein Gesicht zu wahren, worauf ich in Deutsch lautstark antworte und so tue, als ob ich einen tollen Witz ueber ihn reisse und am Ende klatsche und alle lachen ueber ihn und klopfen mir auf die Schulter und so haben auch wir einen guten Abgang. Aber jetzt reicht es uns auch und wir wollen den Ort verlassen, aber ein aelterer Mann leitet uns zu seinem Hotel nebenan, angeblich das beste am Ort.

Wir schieben die Raeder auf den Hof, ringsum sind Zimmer, die vielen jungen Frauen in engen Kleidern, manche kaugummikauend und frech grinsend, legen nahe, dass es sich auch um ein Bordell handelt. Der Hotelbesitzer bietet uns fuer 2 Dollar einen Aufenthaltsraum mit einem Bett an, voller Polstersessel. Gegen weiteres Entgeld koennen wir duschen. Auch hier spottet die Toilette jeder Beschreibung. Bei der Registrierung rueckt mir ein junger Mann kaugummikauend und grinsend auf die Pelle, alles aufdringlich und anstrengend und ich muss mich zusammenreissen, nicht die Nerven zu verlieren und ihn nicht einfach wegzuschubsen von mir, was alles sinnlos waere, weil eh niemand Englisch spricht und wenn auch, mir niemand zuhoeren wuerde.

An unserem Kopfende ist eine Doppeltuere, unverschlossen, die in eine Kneipe fuehrt und von dort versucht man, zu uns ins Zimmer zu gelangen, aber der Manager hat einen Polstersessel dagegengelehnt- abschliessen laesst sich die Tuere nicht. Dahinter wummert aethiopische Musik, reggayaehnlich, nicht uebel, aber wir wollen schlafen.

Uns flattert ein riesiger, graugemusterter Nachtfalter ins Zimmer, das gleiche Insekt, wie wir es schon in Jugoslawien gesehen haben.

geschrieben am 5.12. in Gonder


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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