12/2/2003 Aethiopien / Azezo
Kleine Diebe
Wir erreichen das Hochland
(Harald und Renata) Als ich mich morgens am Waschbecken im Hof rasiere, kommt der dreiste junge Mann und will den Spiegel haben. Ich bin geneigt ihn zu fragen, ob ich mich noch kurz zu Ende rasieren koenne. Seine sinnlosen Kauderwelsch-Englischfragen beim Waschen zu beantworten, ist mir zu dumm und kaum habe ich ihn abgewimmelt, kommt der Manager und befragt mich und auch ihn muss ich darauf aufmerksam machen, dass ich mich gerne ungestoert erstmal zu Ende waschen moechte. Spaeter raesoniert er, Aethiopieer seien einfach so, wollten immer gerne reden und ich solle Verstaendnis haben usw. Trotz unterschiedlicher Kultur sind mir derart zudringliche Menschen noch nicht begegnet. Stark gewoehnungsbeduerftig auf jeden Fall. Der freche junge Mann wird vom Manager angewiesen, uns zu einem kleinen Restaurant zu geleiten, wo wir kleine, dreieckige fettgebackene Pastetentaschen, gefuellt mit scharfen Linsen essen. Die Strasse ist weiterhin schwierig zu befahren, mehr als einmal rutschen wir weg. Mein verbliebener linker Low-Rider hat sich geloest. Als ich in einer Teepause im Schatten einer Lehmhuette nachsehe, ist eine Schraube durchgebrochen, eine neue nicht zur Hand, so dass wieder mal die Tausendsassa Kabelbinder zum Einsatz kommen. Und wie unberechenbar das Schicksal ist: Obwohl ich ueber 11000 Kilometer nicht auf den Lowrider gefallen bin, stuerze ich nach nur 10 Minuten so, dass die Kabelbinder wieder abreissen. Hinter dem Ort stroemen gerade Schueler aus einer Schule. Ein junger Mann ist mit seinem Fahrrad auf dem Geroell gestuerzt und hat sich zahlreiche Gesichtswunden zugezogen, die er mit seinem schmutzigen Sweatshirt zu stillen versucht. Wie selbstverstaendlich heisst es:”Faranji! Come, help!”. Wir setzen den Mann auf die Abhangkante, untersuchen ihn, er hat keine schweren Verletzungen. Es wuerde u.U. Stunden dauern, bis aus Gonder eine Ambulanz hier waere. Wir holen den Erste-Hilfe-Pack aus Renatas Dreiecktasche, reinigen und desinfizieren die vielen blutenden Loecher, kleben Pflaster und legen einen Kopfverband an. Mehr koennen wir nicht tun. Es geht wieder bergab und wir halten wieder und wieder, so schoen ist das, was das Land da vor uns ausbreitet. Die aethiopische Hochebene, Sichtweite ueber 20,30 km, Berge, Wiesen, Felder, kleine Schluchten. Wolken schuetzen uns vor der Sonne, es ist angenehm kuehl. Hinter mir wird Renata mit einem Stein beworfen, aber es geht glimpflich ab. Aus den Feldern kommen die Hirtenjungen und kleinen Erntehelfer “Faranji” und “You!” schreiend zur Strasse gelaufen, wenn sie uns erblicken. Sie betteln, wollen stets unser Wasser. Wir werden sie kaum los, alle Freundlichkeit, alles Haendeschuetteln und “No!” und “O.K.?” hilft nichts. Am Ende werden sie vorsetzlich nervig, als ob sie herausfinden, -kitzeln wollten, was wir dann machen, wenn alles nichts hilft. Aber wir versuchen alles, eine Auseinandersetzung zu vermeiden, bitten aeltere Maenner um Hilfe. Irgendwo rechts von uns liegt auf 1830 m der legendaere Tanasee, Aethiopiens groesster See, vor uns, versteckt in den Huegeln, liegt Gonder, die alte Hauptstadt. Eine Gruppe der problematischsten Altersgruppe der 10-15 Jaehrigen hat sich an uns gehaengt und bergauf schiebend, koennen wir ihnen nicht entkommen. Begehrlich, ja gierig starren sie auf unsere Taschen, die Tachos und die Wasserflaschen. Nach 10 Minuten ist wieder mal alles gesagt und es faengt an, unangenehm zu werden. Hinter mir tuschelt es und ich sage zu Renata, dass etwas in der Luft liegt. Kaum gesagt, reisst mir einer eine der vollen Wasserflaschen von der Packtasche, ich lasse das Rad fallen und renne ihm nach, er laesst die Flasche fallen, als er sieht, dass er mir nicht entkommen kann und ich laufe ihm nicht nach. Das ist die Manier, vor der uns viele Reisende gewarnt hatten. In einem Dorf machen wir “Grosse Pause”. Auch hier sammeln sich gleich dutzende junger Leute und Kinder, um uns zu bestaunen. Ich “engagiere” einen Jungen als Guide, Beschuetzer, vornehmlich fuer die Raeder. In einem kleinen Restaurant gibt es Ruehreier (was sonst?) auf Injara, dem schaumigen, pfannekuchenartigen Teig aus Teff, einem im Hochland wachsenden Getreide. Nach einem Schai gehts weiter. Am Abend erreichen wir Azezo, einer Kleinstadt kurz vor Gonder, wo wir auf die Teerstrasse nach Gonder stossen. Das Fahrgefuehl ist fantastisch, lange vermisst. Hier koennen wir, ganz gierig danach, Bananen kaufen und Kekse. Es ist dunkel geworden und wir schwanken zwischen den Entschluessen nach Gonder weiterzufahren, dass angeblich auf einem Berg liegt, oder ein Taxi dorthin zu nehmen, oder hier in Azezo zu bleiben. Wir fahren weiter Richtung Gonder, fragen auf der Strasse einen jungen Mann nach der Entfernung nach Gonder und daraus ergibt sich ein nettes Gespraech und er geleitet uns zu einem Waisenhaus, wo wir unser Zelt auf einer Freiflaeche zwischen Wellblechhaeusern aufschlagen koennen. Der zustaendige Hausmeister ist Moslem, wie man an seinem Turban erkennen kann und schlaeft neben unseren Raedern, die wir zu ihm in seinen kleinen Verschlag gestellt haben. Heute sind wir 55 km gefahren. geschrieben am 6.12. in Gonder
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