12/6/2003 Aethiopien / Gonder
Besuch im Bezirkskrankenhaus
Gute Gruende
(Harald und Renata) Wir haben unsere Waesche fuer kleines Geld von einer Angestellten der Pension waschen lassen, die dafuer, mangels einer Waschmaschine, eine grosse Plastikschuessel benutzt und muehsam auf dem Hofboden die vor Schmutz starrenden Hemden und Hosen walkt. Nachteilig dabei ist, dass hier die Waschpulver viel aggressiver sind, als bei uns und die Kleidungsstuecke nicht richtig ausgespuelt werden, was wiederum zur Folge hat, dass sich juckende Hautausschlaege ueberall dort einstellen, wo sich durch den Schweiss die Enzymrueckstaende aus der Kleidung loesen und staendig die Haut beruehren, z.B. am Hosenbund. Im Stadtkern von Gonder gibt es, aehnlich wie in Aegypten, neben den Autotaxis und Minibussen, auch Pferdefuehrwerke, hier “Gari” genannt. Die Pferde sehen nicht misshandelter als in Aegypten aus (aber auch nicht besser), jedoch weitaus schmutziger. Dies gilt auch fuer die vielen Esel und wenigen Maultiere. Auch hier werden Hunde und Katzen staendig verjagt, oft getreten und mit Steinen beworfen, auch hier sehen wir Hunde mit gebrochenen Gliedern. Selbst Hundebesitzer, die unterwegs in Begleitung eines offensichtlich anhaenglichen Hundes sind, besitzen ein mir unverstaendliches Unvermoegen, aus der Koerpersprache des Tieres dessen Gemuetszustand abzulesen, weshalb ich staendig vor deren Bissigkeit gewarnt werde. Niemals hat mich allerdings ein Hund ueberrascht, indem er nach mir geschnappt haette. Auch das Unaufhoerliche Pruegeln der Lasttiere unterwegs erscheint mir voellig ueberfluessig. Ich bin kein Kutscher, aber es ist deutlich zu sehen, dass die vielen Hiebe die Tiere keinen Deut schneller laufen lassen, sondern sie vielmehr irritieren, so dass wir mehr als einmal beobachten konnten, dass z.B. Esel in alle Richtungen laufen wollen, weil sie nicht begreifen, warum sie dauernd von rechts und links geschlagen werden. Hier wird, gesellschaftlich legitimiert, auch viel Aggression an der hilflosen Kreatur abgebaut, scheint mir. Die hiesigen Fuhrwerke sind mit den schwarzen Kutschen in Aegypten nicht zu vergleichen: Kleine, runde, abgefahrene Autoreifen an den Enden voellig schiefer Achsen, das Gestell aus grob behauenem Eukalyptusholz zusammengebunden, oft Sitzstangen statt Sitzen, Plastikseile, Lumpen zum Abpolstern, das Geschirr aus Metallresten zurechtgebogen, die Augenklappen aus Blechtafeln oder Gummireifenlappen. Die Behausungen auf dem Land nennen sich “Tukuls”, Rundhuetten aus krummen, bis armdicken Holzstangen, die auf Lehmboeden stehen, das Dach aus Schilf. Die Flechtwaende werden grob mit Lehm ausgefacht, Moebel gibt es kaum: ein paar niedrige Schemel und Baenke mit Geflechtsitzen aus Plastikseilen oder Hautstreifen, meist nicht mal ein Bett, denn man schlaeft auf Haeuten auf der Erde, die ganze Familie dicht an dicht gedraengt. Diese Tukuls werden dann oft zu Compounds, kleinen, unregelmaessig-kreisfoermigen Anordnungen mit gemeinsamem Innenhof zusammengefasst. Hier laufen Huehner, Katzen, Hunde, Esel, Ziegen, Schafe umher. In Gonder reihen sich verschlagartige Primitivunterkuenfte aneinander, denen jede Aesthetik abgeht, die die Compounds noch haben, die sich in Material, Farbe und Form geradezu in die Landschaft integrieren. Selbst die glaenzenden Zinkwellblechdaecher haben ihren Reiz, aber in den Slums um den Stadtkern Gonders gibt es oft nur Plastikplanen, Moebel fehlen voellig. Und die aermsten der Armen schlafen auf Steinen Die Zahl der Bettler, der Alten und Gebrechlichen, fuer die keine Familie mehr sorgt, der Waisen, der Krueppel und Blinden geht in die Hunderte. Jeden Tag spenden wir den Aermsten, aber es ist eine staendige, seelische Qual, nicht mehr tun zu koennen, ohne sein Leben auf den Kopf zu stellen. Das leise, jammernde Bitten eines Kindes zurueckzuweisen oder zu ignorieren, kratzt an unseren Nerven und mehr als einmal haben sich Renatas und meine Blicke getroffen und wir mussten schlucken. Mehr als einmal hat sich einer von uns beiden ploetzlich, veraergert ueber sich selbst, aus der abwehrenden Lethargie gerissen und ist zurueck, oder ueber eine Strasse gegangen und hat einem Beduerftigen Geld oder etwas zu Essen gegeben. Mit jedem Tag waechst unsere Bewunderung fuer Herrn Boehm, der es in diesem harten Land ueber 22 Jahre ausgehalten, gelebt hat, ohne die Nerven zu verlieren, angesichts der Groesse der Aufgabe. Die Krankenschwester der Privatklinik, die als einziger Mensch in Gonder zahnaerztlich taetig ist, kann mir nicht recht helfen, denn es gibt keinen Bohrer. Ueblicherweise wird nur gezogen, wenn ein Zahn Probleme macht. Fuer teure Fuellungen, oder gar Zahnersatz, gibt es kein Geld. Am Nachmittag besuchen wir alle gemeinsam mit dem Bruder Seyoums, dem frischgebackenen Arzt, das oertliche Krankenhaus. Die Klinik liegt an der Hauptstrasse ortsauswaerts Richtung Westen. Schon die Notaufnahme, ein Rechteck aus Wellblech und Holzstangen, innen dunkle Kabinen mit verrosteten Metallliegen, laesst ahnen, was uns erwartet. In der Orthopaedie stehen in zwei Saealen die Betten dicht beieinander. Eine Privatsphaere, z.B. fuer die Notdurft, sei es nur durch Paravents, gibt es nicht. Zwischen den Betten sitzen oder stehen die Angehoerigen. Die Patienten kommen aus weitem Umkreis, insgesamt gibt der Arzt das Einzugsgebiet mit einer Millionen Menschen an (fuer die es nicht einen einzigen Dentalbohrer gibt!). Eine alte Frau hat sich eine Woche lang trotz schwerer Verletzung, zu Fuss durch die Berge bis hierher gekaempft. Jenseits der Hauptstrasse von Metemma nach Bahir Dahr, gibt es fast keine Nebenstrecken, sondern lediglich Wege und Pfade, die staendig steil bergauf und –ab fuehren. Wir sehen insgesamt fuenf Schussverletzungen auf etwa 120 Patienten. Einem Mann von 28 Jahren wurden beide Oberschenkel durchschossen. Dabei zersplittern die Knochen natuerlich, so dass eine komplette Heilung schwierig waere. Ich frage nach dem Tathergang. Der Mann ist Busbegleiter, also derjenige, der bei offener Tuere den Leuten zuruft, wohin dieser Bus faehrt und ob noch Passagiere aufgenommen werden koennen und der auch das Geld kassiert und dem Fahrer Signal zum Halten gibt, wenn ein Fahrgast aus- oder einsteigen will. Der Fahrer des Busses hatte sein Vehikel unerlaubt ueberladen, was im Wiederholungsfall zum Entzug der Fahrerlaubnis fuehren kann. Als er sich in einer Polizeikontrollstelle durchschleichen wollte, haben die Polizisten auf den Wagen geschossen und drei Menschen verletzt. Die anderen Maenner jeden Alters geben an, von sog. Schiftas, Banditen ueberfallen worden zu sein. Es gibt sie also hier und sie schiessen auch, selbst wenn man unterstellt, dass sich vielleicht der eine oder andere, selbst mit einem Gewehr bewaffnete Hirte, ein Feuergefecht mit einem verhassten Nachbarn liefert, dies aber hier nicht eingestehen will. Die Schiftas schiessen auf die Beine und machen die Maenner damit endgueltig lebenslang zu Krueppeln, weil hier kein Geld fuer eine ordentliche Bruchheilung vorhanden ist. D.h., dass jeder Bein- oder Armbruch lediglich mit Eisenstuecken als Gewichten, an Plastikschnueren ueber die Bettkante gehaengt, gestreckt wird, weil die Muskeln nach dem Komplettbruch die Knochen ja uebereinanderziehen. Die Streckung ist nicht vollstaendig, weil die Knochen NEBENEINANDER verheilen muessen, denn eine Nagelung ueber Metallplatten gibt es nicht- auch dafuer gibt es keine Zeit, kein Geld. Die somit verdickten, entstellenden Brueche verkuerzen die Glieder um mehr als fuenf Zentimeter, somit stellen sich Rueckgratverkruemmungen, Muskelverzerrungen etc. ein. In jedem Fall ist ein solcher Mann nahezu erwerbsunfaehig. Ein Mann hat einen zerschmetterten Kiefer, weil er sich mit seiner Tulla, dem Hirtenstab, einen Kampf geliefert hat. In der Abteilung fuer innere Erkrankungen gibt es zahlreiche Faelle von Darmverschlingungen und –verschluessen, die vornehmlich durch Fehlernaehrung bedingt sind. Die Patienten kommen fast ausnahmslos zu spaet ins Krankenhaus- dies gilt im Uebrigen fuer alle Krankheitsbilder. Dies einerseits, weil sie kaum die Herden, die Familie alleine lassen koennen, andererseits keine Transportmoeglichkeit haben, weil selbst das wenige Geld fuer eine Busfahrt fehlt, zudem, weil man zunaechst den oertlichen Heiler aufsucht, der viel billiger ist, als das Krankenhaus. Die Regierung versucht diese Heiler dazu zu bewegen, schwierige Faelle gleich ins Krankenhaus zu verweisen, indem sie solche Uberweisungen finanziell belohnt. Aber die Heiler stellen sich damit natuerlich auch vor Ort bloss. Eine Frau hat Brustkrebs, ist ebenfalls zu spaet ins Krankenhaus gegangen. Sie holt ihre tumorige Brust hervor, aus der ein blau-schwarzes Karzinom gewachsen ist. Der junge Arzt erklaert, sie sei voller Metastasen. Ihre Brust werde amputiert, die zahlreichen Lymphome aber bleiben unbehandelt. Da eine Chemotherapie fuer die Frau (und die Staatskasse) zu teuer sind, wars das dann. Heisst, nur wer sich privat eine Therapie leisten, hat bessere Ueberlebenschancen. Diese Frau hier vor uns muss also in ein paar Monaten sterben. Es gibt zahlreiche Malaria-, sowie verschieden gelagerte Faelle der Spaetfolgen von Tuberkulose und in jedem Saal wird gehustet. Trotzdem tragen Aerzte und Pflegepersonal keinen Mundschutz. Ich gebe vielen Patienten die Hand, wir wechseln ein paar Brocken Amharisch. Jeder holt eilfertig seine Roentgenbilder unter dem Kopfkissen hervor, um mich diese ansehen zu lassen. Mehrere Patienten halten den Daumen hoch, um uns zu zeigen, wie gut sie es finden, dass wir hier sind. Manche laecheln, die meisten lassen sich fotografieren. In der Pediatrie liegen etwa 60 Kinder, neben den Betten sitzen stets die Muetter. Wuerde man ihnen dies nicht erlauben, braechten sie ihre Kinder garnicht erst. An einem Bett verweilt Renata laengere Zeit. Ein Kind von etwa 2 Jahren wurde von der Mutter ausschliesslich gestillt, so dass diese Mangelernaehrung das Kind nach und nach foermlich aushungerte. Nun liegt da ein im Gesicht greisenhaft verzerrtes Wuermchen vor uns, mit einem grossen Kopf und Bauch, aber schlaffen Gliedern und grossen Augen, die uns anschauen, wie schon in einer anderen Welt, ergeben, lethargisch, traurig. Spaetestens bei diesem Anblick und dem von Ausschlaegen uebersaeten Koerper eines weiteren Kindes im Nebenbett ist es um Renatas Fassung geschehen. Auch in mir kommen starke Gefuehle hoch: Traurigkeit, auch Wut ueber die Dummheit oder Ignoranz der Mutter, und einmal mehr auch ueber eine Regierung, die zwar 200 Millionen Dollar jedes Jahr fuer einen sinnlosen Buergerkrieg verschleudert und damit Waffen kauft, die noch mehr Leid ueber die eigene Bevoelkerung bringen und dabei gleichzeitig weder Krankenhaeuser baut, noch Strassen, ueber die die Kranken dorthin kaemen. Verbrecher, allesamt. Der junge Arzt besitzt genug Einfuehlungsvermoegen um meiner Bitte um Abbruch des Besuches zu folgen. Mit weinenden Besuchern ist niemandem gedient. Draussen holen wir erstmal tief Luft, Ralph schaut mich mit durchdringendem Blick an und der Arzt sagt, er habe uns die schlimmsten Faelle nicht gezeigt. Wir bedanken uns bei dem jungen Mann, dem deutlich anzumerken war, wie sehr ihn vor allem verzweifelt, dass die Patienten in 80 % der Faelle zu spaet ins Krankenhaus kommen. Und hier weiss jeder Arzt, was alles getan werden koennte, waere nur genug Geld da. Am Abend gehen wir mit zwei Deutschen in ein ausgefallenes Lokal. Hier laufen eine Hausente und ein Huhn zwischen den Fuessen herum, hier gibt es neben den verschiedenen Indscheras (saeuerlichen Pfannkuchen) auch Honigwein und Bier. Es gelingt uns, so abgelenkt, die Bilder dieses Tages ruhen zu lassen. geschrieben am 16.12. in Bahir Dahr
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