12/7/2003 Aethiopien / 47 km hinter Gonder
Hip-Hop und Bananen
Kleine Strolche
(Harald und Renata) Um 7.30 Uhr habe ich mich mit Beyoum im Buero verabredet, weil ich vor unserer Abreise versuchen moechte, die Fotos der letzten Wochen auf CD zu brennen und diese dann den beiden Deutschen, Peter und Klaus aus Nuernberg, mitzugeben. Die beiden sind uns symphatisch, umso mehr, als sie meinten, sie haetten noch einiges an Geld in der Tasche, aber das wuerden sie nicht mit nach Deutschland nehmen- sprich: spenden, unter die Leute bringen. Aber das Buero hat kein Programm, um die Cds zu brennen und der Besitzer des Netcafes nebenan kommt zu spaet zur Arbeit. Als er endlich erscheint, faellt dreimal der Strom aus und jedes Mal fangen wir wieder von vorne an, die hunderte von Aufnahmen auf den Computer zu uebertragen. Um 9.30 sind Peter und Klaus schon abgefahren und auch Renata will schon vorfahren, weil wir sie eh einholen wuerden, meint sie. Mir ist nicht wohl dabei, sie alleine durch die kleinen Ortschaften radeln zu lassen. Ich laboriere am Ende bis 13.30 Uhr herum, um die Erfahrung reicher, dass die neuen Fotoaufnahmen dreimal mehr Speicherplatz benoetigen und deshalb gleich mehrere Cds gebrannt werden muessen. Ich verabschiede mich herzlich von Beyoum und seiner Frau, nachdem ich ihnen noch eine Empfehlung hinterlassen habe, die sie deutschen Kunden vorlegen koennen. Ralph und ich verlassen Gonder auf derselben Strasse, auf der wir in die Stadt gekommen sind und verlassen in Azzezo die so herrlich bequem zu befahrende Teerstrasse, die bis zum Flughafen fuehrt. Die Landstrasse ist so schlecht wie gewohnt, staendig schlafen mir von den harten Erschuetterungen die Finger ein. Die Strasse fuehrt durch gelbe, abgeerntete Maisfelder auf eine Ebene zu, die sich wie ein bunter Flickenteppich aus gelben, braunen und gruenen Feldern weit vor uns ausbreitet. Innerhalb kurzer Zeit sind wir auch wieder der Umgebung hervorragend farblich angepasst, Dank des Staubes, den die Autos aufwirbeln. Das allerorten unvermeidliche “You-you!” der Kinder und die ausgestreckten Haende (“Give! One Birr! Money!”) muessen wir stets ignorieren. Im Einzelfall mag das ohne innerlichen Substanzverlust gehen, aber in der Haeufung, wie sie uns auf den Raedern widerfaehrt, laugt man aus. Wegsehen, Nein-Sagen, Abwimmeln, Ignorieren, Sich-Verschliessen- wer kann das so einfach? Nach 42 km, die wir zuegig zuruecklegen, erreichen wir eine kleine Ortschaft und Jugendlich verkuenden uns gleich, dass Renata weiter vorne in einem Strassencafe sitzt (wenn man den Bretterverschlag mit Plastikplanen so nennen mag). In einem der winzigen Laeden habe ich Kekse Marke “Hip-Hop” gekauft und zusammen mit einem Kilo Bananen und Tee ergibt das eine gute Mahlzeit. Renata wartet bereits zwei Stunden auf uns und einer der oertlichen Platzhirsche hat sie ein ums andere Mal zum Tee eingeladen und besteht darauf, auch Ralph und mich einzuladen. Die ca. 40 Umstehenden werden somit Zeuge, wie einer der ihren Ferenschis einlaedt. Einen der Jungs habe ich wieder zur Fahrradwache eingeteilt und mit einer Gerte verteidigt der nun unsere Habe. Als wir den Ort verlassen wollen, haengt sich eine Traube Halbwuechsiger an uns, stichelt “You-you” und bettelt mehr zum Spass, bis die Atmosphaere wieder spuerbar angespannt wird, weil sie durch nichts abzuwimmeln sind, eine Mutprobensituation entsteht, in der sich einer der Jungs hervortun will und er reisst mir hinter dem Ruecken eine Wasserflasche vom Gepaeck, ich springe vom Rad, verfolge ihn, er laesst die Flasche fallen, aber ich laufe weiter, hole ihn ein und packe ihn mir, hebe ihn hoch wie ein Buendel, er schreit und zappelt und ich lege ihn auf den Boden und haue ihm mit dem Hut auf die Beine- alles ein riesiges Theater, aber er soll einen Schrecken bekommen. Aber kaum drehe ich mich um, feixt er frech weiter und alle Jungs lachen. Hier wird nur respektiert, wer haerter durchgreift, alles andere faellt unter die Katgorie “Weichei”. Renata wurde eine Ortschaft vorher bereits ueberfallen und um eine Flasche Wasser erleichtert, ein ca. 12-jaehriger versuchte eine Gepaecktasche abzureissen. Ca. 15 Knaben folgten ihr, sie holte sich im Spurt die Flasche zurueck, aber dann flog der erste Stein, die Situation eskalierte. Zum Glueck hielt ein LKW-Fahrer, beschuetzte sie mit einem Stock und geleitete sie 3 km im Schritttempo bis zum Café. (Renata berichtet: Ich fahre um 9.30 in Gonder los und erreiche bald Azezo, wo ich Wasser und Bananen kaufe. Unterwegs mache ich eine Pepsi-Pause und halte in einem Dorf an. Damit ich nicht belaestigt werde, setze ich mich in einen Vorgarten zu einer gruppe Frauen hin. Mir wird Tee angeboten und mit Zeichensprache versuche ich, den Frauen zu erklaeren, warum ich hier bin. Sie saeubern gerade Getreide. Was fuer ein Aufwand einen einzigen Sack zu bearbeiten! In speziellen Schalen wird der Samen durchgeschuettelt, mehrfach im Wind hochgeworfen und so die Spreu vom Samen getrennt und in der Sonne anschliessend getrocknet. Die Kinder spielen an meinen Haaren, sitzen mir sehr nahe, fast auf dem Schoss, haengen an meinen Lippen, jede Gestik wird genau beobchtet. Wenn ich zurueckgucke, verstecken sie ihre kleinen braunen Gesichter mit leuchtenden Augen in ihren schmutzigen Haendchen. Ab und zu kommt ein leises "You!". Ich fahre weiter, es wird schon 14 Uhr und Harald und Ralph sind nicht zu sehen. Im naechsten Dorf beschliesse ich, auf die beiden zu warten. Ich werde von Kindern und Jugendlichen begleitet, die mir hinterherlaufen und bei der ersten Gelegenheit die Wasserflasche vom Fahrrad ziehen. Dann fliegen auch ein paar Steine. Ein LKW-Fahrer kommt mir zu Hilfe. Nachdem er die Kids verjagt hat, faehrt er langsam vor, bereit jedesmal auszusteigen, wenn es noetig waere um mir zu helfen. Ich komme in einer kleinen Huette an, wo Tee serviert wird. Und wieder viele Kinder um mich herum. Ich scherze mit den Jugendlichen, die mich zu einem Tischtennisspiel auffordern. Dann zeige ich den Kindern ein Spiel, dass ich aus Polen kenne: Klassenspiel." Man wirft einen Stein in auf den Boden gemalte oder gekratzte Kaestchen und ueberspringt diese dann auf einem Bein. Vielleicht finden sie mehr Spass an dem Spiel, als am frechen Steinewerfen.) Wir verlassen lediglich den Ort bis in Sichtweite und schieben die Raeder dann rechts der Strasse in eine Wiese, neben einem Eukalyptuswaeldchen, dessen junge Baeume mit einem Dornenzweigring vor Frass geschuetzt sind. Hinter zwei Stapeln aus Grasbuendeln schlagen wir die Zelte auf, als zwei Hirtenjungen auftauchen. Einer signalisiert, dies sei sein Grund und Boden. Wir fragen um Erlaubnis und schenken ihm eine leere Wasserflasche, da hier Behaelter jeder Art sehr begehrt sind. Als alles Herumstehen keine weiteren Erloese verspricht, trollen sich die Zwei. Wir machen ein Lagerfeuer und kochen Nudeln mit Erbsensuppe. Heute haben wir 47 km geschafft und Ralph meint, er fuehle sich nach der anstrengenden Strecke wie nach 100 km Asphalt. geschrieben am 16.12. in Bahir Dahr
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