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Reisetagebuch

12/9/2003   Aethiopien / vor Bahir Dahr

Gaehner Gattung Einzahn

In der Provinz sind wir die Stars

(Harald und Renata) Als wir morgens unsere Sachen packen, sind wieder ein paar Neugierige zur Stelle. Sie stellen sich einfach in zwei, drei Meter Abstand vor uns hin und gucken, tuscheln, lachen, ab und zu versucht einer unsere Reaktion zu bekommen, indem er “You!” sagt, oder “Mister”. Wenn man dann fragt: ”Yes?”, kichern sie nur. Wir sind die weissen “Mohren” aus dem Abendland, fuer sie selten gesehene Menschen, von denen man sehr wenig wirklich weiss, ausser, dass sie reich sind und es immer eilig haben.

Die im Morgendunst vorbeilaufenden Maenner und Frauen tragen weisse Schemmas, Baumwolltuecher, die hauchduenn gewebt sind, jedoch in mehreren Lagen uebereinander eine warme Umhuellung ergeben. Jetzt, am kalten Morgen, schlagen sich auch die Maenner diese Decken ueber den Kopf und halten sich einen Zipfel vor Mund und Nase. Die Raender der Schemas sind bunt eingefasst. Wenn jemand beerdigt wird, dreht man die bunten Baender nach innen.

Im naechsten Dorf sehen wir vier Maenner, die einen Toten auf einer Holzbahre auf den Schultern tragen. Die Leiche ist komplett in ihre Schemma gehuellt. Die Traeger rufen uns “Ferensch!” und “You!” und “Hello Mister!” zu und lachen. Die Toten werden beerdigt, nicht verbrannt.

Wir suchen ein Restaurant und setzen uns vor dem Haus auf Stuehle, die man uns bereitwillig nach draussen bringt. So haben wir die Raeder im Blick. Wie immer entsteht ein Auflauf aus vornehmlich halbwuechsigen Jungs, aber auch erwachsenen Maennern.

Wir bestellen Brot und Ruehrei (was sonst?) und zerdrueckte, weisse Bohnen, die mit Berberee, einer Paprikapaste, recht scharf gewuerzt und mit Brotstuecken aus der Schale gegessen werden. Dazu gibt es Cola und Schai, schwarzen Tee mit zuviel Zucker.

Unter den Zuschauern ist ein Junge von etwa 12-15 Jahren, der auf allen Vieren laufen muss, weil Polio seine Muskeln zerstoert hat. Ueberall sehen wir diese armen Menschen, die sich meist auf Knien und Haenden bewegen. Einer drehte sich, um vorwaerts zu kommen, wie ein Kreisel eiernd um die eigene Achse, an den Haenden Gummistuecke, die Knie ungeschuetzt.

Man will wieder mal zuviel Geld von uns. Als Low-Budget-Reisende koennen wir uns aber die Grosszuegigkeit der Drei-Wochen-Touristen nicht leisten und ich muss wieder mal freundlich, aber bestimmt verhandeln, was auch hier Belustigung hervorruft. Wir zahlen stets mehr als Einheimische, aber alles muss im Rahmen bleiben.

Wir sind jetzt ganz in der Naehe des Tanasees. Dieser See ist der groesste Binnensee Aethiopiens und legendaer. Nach verschiedenen Angaben ist er maximal 14 Meter tief, wir haben auch gelesen 72 m. Er ist Lebensraum fuer viele Fischarten, von denen mehrere endemisch sind, d.h. weltweit nur hier vorkommen. Durch Ueberfischung ist der Bestand einiger dieser Arten stark gefaehrdet.

Wir durchfahren eine sumpfige Ebene, in dessen Graslandschaft Kuhreiher, Schwarzstoerche und Graureiher stehen und erreichen Werota, eine kleine Stadt, die vor allem durch eine grosse Anzahl von Bussen und den Markt, sowie viele Restaurants gekennzeichnet ist. Hier zweigt die Strasse nach Djibouti im Nordosten ab, ueber die man auch Lalibela und Addis Abeba erreicht.

In einem kleinen Laden gibt es frisches Papaya-Mus, eiskalt, koestlich. Um die Ecke sitzen wir dann eine gute Stunde auf der Terrasse eines kleinen Cafes, wo wir Trockenkuchen und Macciato, Milchkaffee trinken. Und auch hier gibt es reichlich Zuschauer, die uns von allen Seiten beobachten. Aeltere Maenner versuchen immer wieder mal, die Menge aufzuloesen, indem sie einen Stock schwingen oder Steine auf die Beine werfen, aber meist ohne langanhaltenden Erfolg.

Wir hatten gehofft heute Bahir Dahr zu erreichen, aber jetzt wird klar, dass die schlechten Strassenverhaeltnisse dies unmoeglich machen. In einem kleinen Weiler aus mehreren Compounds trinken wir Tee. Wieder wird uns hier ein Kind zum Mitnehmen angeboten. Die Frauen tragen alle die stammestypischen, olivfarbenen, weiten Gewaender mit bunten, oft rotten Kanteneinfassungen. Die Frauen tragen ihre Haare offen, im Ausschnitt grosse Metallkreuze, auf der Stirn taetowierte Kreuze. Sie holen Wasser, tragen Kruege und Lebensmittel. Die Maenner tragen ihre Tulla, den Hirten- und

Kampfstab. Sie gehen voraus, die Frauen etwa 3 Meter hinter ihnen.

Im naechsten grossen Dorf laufen die Kinder schon vom Ortseingang an neben uns her, fast hysterisch schreien sie stakkatoartig “You,You,you!” Ralph hat sich mittlerweile ebenfalls einen Stock zugelegt, den wir neben die hinteren Gepaecktaschen gesteckt haben. Ich ziehe den Stock heraus, weil ich Schlussmann bin, Renata zwischen uns. Immer wieder muss ich mich umsehen, den Knaben in die Augen und dann halten sie etwas Abstand, bevor sie erneut den Gepaeckstaender festhalten oder mich anschieben-beides auf dem rutschigen Boden nicht ungefaehrlich. In Gonder haben wir von einem deutschen Radfahrer gehoert, der den Steinewerfern entkommen wollte, auf dem Geroell stuerzte und sich den Arm brach und weiter mit Steinen beworfen wurde.

Mein etwa 150 cm langer, stabiler Stock verschafft mir etwas mehr Respekt und wir erreichen die Ortsmitte, als Ralph ganz trocken meint, ich solle mich doch mal umdrehen. Einen Moment lang sticht mir leichte Panik in den Magen, denn aus der Schule hinter uns stroemen etwa 300-400 Kinder, die, kaum haben sie uns erblickt, wie eine Woge die Strasse herunterlaufen, ein Riesengeheul anstimmend aus “Ferensch” und “You!” . Dann grinsen wir beide uns an- bloss nicht Bange machen lassen!- und steuern in aller Gelassenheit weiter durch den Ort zum naechsten Restaurant. Es ist bereits fuenf Uhr und wir wollen uns hier fuer die Nacht im Zelt nochmals mit Lebensmitteln eindecken. Auf dem Herweg hat uns ein junger Mann auf seinem chinesischen Rad empfohlen, in der Polizeistation zu uebernachten, weil es hier Schiftas geben soll. Und am Himmel sind dunkle Gewitterwolken aufgezogen. Mein Schrebergarten-Wettergefuehl sagt mir, dass wir nur noch wenig Zeit haben und es besser waere, in der Polizeistation zu bleiben, aber Renata mag dort nicht bleiben.

Um uns herum stehen etwa 200 Menschen, als wir nochmals Sprite und Mirinda, einen Fanta-Ersatz trinken. Niemand behelligt uns, aber es ist das erste Mal im Leben, dass mir Kinder etwas Angst eingefloesst haben. Ohne irgendetwas zu leisten, stehen wir hier wie deutsche Superstars im Mittelpunkt des Interesses, nur weil wir Fremde, Ferenschis sind, weiss, blond, teure Raeder und seltsame Taschen haben, uns viel kaufen koennen, eine fremde Sprache sprechen und uns so seltsam benehmen.

Wir verlassen den Ort und dann fliegt doch noch ein Stein, aber wir bitten Erwachsene um Hilfe und die halten die Kinder zurueck; zudem geht es leicht bergab, so dass wir davonfahren koennen.

Kaum sind wir dem Ort entflohen, blitzt und donnert es und es beginnt ein kalter Regen, vor dem wir in eine winzige Huette aus Eukalyptuspfloecken und einem Wellblechdach fluechten. Zwei Hirten sitzen hier auf Maisstroh, in ihre Decken gehuellt. Der Wind blaest den Regen schraeg hinein, so dass wir im aussersten Winkel hocken, ich gegen die Kaelte in unsere neue Decke aus Gonder gehuellt, weil ich keine warme Jacke mehr habe.

In einer Regenpause gehen die Hirten nach Hause, zwei neue erscheinen. Der eine ist alt und traegt ein Gewehr und als wir das Zelt aufschlagen, bietet er sich als Wachmann gegen die Schiftas an, gegen Entgeld natuerlich. Er sitzt mit seinem jungen Begleiter draussen, wir machen gemeinsam ein Feuer mit dem Maisstroh, wobei sich die Hirten unerwartet ungeschickt anstellen. Wir kochen uns Nudeln, teilen unser Brot mit den Beiden und schenken ihnen kostbare Kekse, hier “Biskuit” genannt.

Ralph hat sich in den kleinen, zugigen Verschlag einfach im Schlafsack auf die Maisblaetter gelegt. Aber es beginnt wieder zu regnen und die Hirten kommen in den Verschlag, vor allem der Alte, der nur noch einen grossen, gelben Zahn hat, redet in einem fort, gaehnt ausgiebig und laut (was haben wir gelacht!), ist auch durch Ralphs Unmut nicht zum Schweigen zu bringen.

Am fruehen Morgen geht das Geplapper weiter, den Maennern fehlt da jedes Feingefuehl fuer die mueden Ferenschis. Ralph motzt, ich auch, schliesslich springt Renata wuetend auf, rupft das vereinbarte “Bewachungsentgeld” (die beiden haben die ganze Nacht geschlafen wie wir) aus der Tasche, drueckt den Stoerenfrieden die Scheine in die Hand und macht ihnen klar, sie sollten jetzt gehen. Aber die haben keine Lust, so frueh durch die feuchte Kaelte zu laufen und hocken sich draussen wieder hin. Also stehe ich auf und mache auf “energisch”, dass ist unmissverstaendlich und so trollen sie sich. Wir verabschieden uns mit Handschlag und freundlich- so schnell bringt diese Hochlaender nichts in Rage.

geschrieben am 16.12. in Bahir Dahr


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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