12/10/2003 Aethiopien / Bahir Dahr
Remmi-Demmi
Ankunft in der Provinzhauptstadt / Ein Vogelparadies am See
(Harald und Renata) Heute haben wir nur noch einen halben Tagesritt bis nach Bahir Dahr vor uns, der letzten groesseren Stadt vor Addis Abeba. Am Morgen ist es kuehl, aber wolkenlos-sonnig. Die Feuchtigkeit der Nacht bindet noch den Staub auf der Strasse und steigt als Nebel auf. Schon vor Sonnenaufgang laufen Maedchen und Frauen mit auf den Ruecken geschnallten, schweren und grossen Tonkruegen auf der Strasse entlang, andere tragen bistrotisch-grosse Schalen mit gestapeltem, trockenem Kuhmist auf dem Kopf, der verbrannt oder als lehmiger Putz benutzt werden kann. Die Muetter tragen die Kleinkinder in Tuechern auf dem Ruecken, aus denen nur noch die Koepfchen herausschauen. Auch Saecke, Koerbe und Buendel von Feuerholz werden auf dem Kopf balanciert. Die Maenner tragen die Tulla und die Verantwortung. Wir sehen Bahir Dahr schon 2 km vor uns am Tanasee liegen, als Ralphs Hinterreifen mit einem Knall platzt. Damit war zwar zu rechnen, weil sich der Mantel seit Tagen nach und nach aufloeste, aber so kurz vor dem Ziel ist das natuerlich aergerlich. Am Strassenrand tauscht Ralph den Mantel aus, staendig eingestaubt von den vorbeifahrenden Autos, denn die Feuchtigkeit der Nacht ist unter der grellen, heissen Sonne mittlerweile getrocknet. Im Schatten eines Betonschildes sitzt neben uns eine Mutter, die krank ist und uns um Hilfe bittet, aber sie hat kein Fieber, also keine Malaria. Was sollen wir da tun? Dann erreichen wir den Blauen Nil, der genau hier aus dem Tanasee fliesst. Weiter im Westen soll der Blaue Nil, hier Abay genannt, den Tanasee speisen. Da aber mindestens fuenf Zufluesse zum Tanasee existieren, ist die Annahme, der Abay sei der Blaue Nil, eine eher exzentrische, vielleicht der Versuch, den Nil damit zum laengsten Fluss der Welt zu hochzurechnen. Angenehm ist, dass die in einer Ebene gelegene Stadt voller Teerstrassen ist und das erklaert, warum es hier so viele, ausschliesslich chinesische, Fahrraeder gibt. Sogleich heftet sich ein Guide an unsere Fersen, bzw. Raeder. Er geleitet uns durch die z.T. auch lehmig-steinigen Gassen voller grober Holzhuetten und –verschlaege. Im ersten Hotel nimmt man keinerlei Notiz von uns, es gibt kein “Hello” oder Wellcome und man uebersieht uns foermlich. Der Besitzer trinkt seinen Kaffee ruhig weiter, niemand beantwortet unsere Fragen. Auch gut, gehen wir halt wieder. Nebenan sieht es nicht annehmbar aus, im naechsten Hotel wird ein ueberzogener Preis verlangt. Das dritte Hotel ist toll, aber zu teuer. Schliesslich waehlen wir das “Haddas”, stellen die Raeder ab, duschen und machen uns dann auf, um die beiden Deutschen aus Gonder zu finden, Peter und Klaus aus Nuernberg, denen wir noch die neugebrannten CDs mit in die Heimat geben wollen. Sie wollten eigentlich im Ghion-Hotel gastieren, aber dort sind sie nicht- wie sollen wir sie jetzt finden? Aber das Hotel ist schoen- vielmehr sein grosser Garten voller riesiger Feigenbaeume, zwitschernder Voegel, direkt am Tanasee gelegen. 50 Meter vor dem Ufer sitzen ein paar Dutzend weisser Pelikane auf einem winzigen Felseneiland- die ersten, die wir sehen, laesst man den einsamen Pelikan in Suez mal ausser Acht. Hier lernen wir Gertrud aus Muenster kennen, eine alleinerziehende Mutter und Gestalttherapeutin, 55, die ein paar Wochen Urlaub in Aethiopien machen moechte. Ueber unseren Koepfen sitzen dutzende Geier und hellgruene Unzertrennliche (eine kleine Papageienart) streiten sich lautstark, ueber dem See kreist ein Weisskopfseeadler und zwischen den Tischen huepfen zahlreiche Blaustare umher, die in der Sonne metallisch schimmern. Ein herrliches Plaetzchen, aber die Preise fuer die Zimmer koennen wir uns nicht leisten. Nach einem guten Abendessen mit reichlich Salat (haben wir den vermisst!) gehen wir zum Hotel zurueck. Spaet am Abend schreit eine Frau im Hotel gegenueber auf, Glas splitter. Als ich vor die Tuere trete sehe ich eine Etage tiefer einen grossen Mann Ende Zwanzig ueber eine am Boden sitzende zierliche Frau gebeugt, die offensichtlich aus dem Zimmer geflohen ist und schuetzend die Arme ueber den Kopf haelt. Der Mann schreit sie an und schlaegt sie und ich bruelle ihn an, damit aufzuhoeren, worauf er richtig eklig wird, ausfallend, mir droht. Renata macht mich darauf aufmerksam, das man in seinem offenstehenden Zimmer auf dem Boden alles voller Blut sehen kann. So beschaeftige ich den Mann mit Wortgeplaenkel weiter, damit die Frau aufstehen kann und er aufhoert, sie zu schlagen. Dann gehe ich nach unten, die Hotelangestellten und Gaeste haben Angst, dass ich ins andere Hotel hinuebergehe, halten mich fest. Ich verlange, man solle die Polizei rufen. Alles um mich herum gafft zwar, aber niemand ruehrt sich. Schliesslich taucht die Polizei doch auf und geht mit mir und Ralph zum Nachbarhotel. Dort wurde in aller Eile der Boden gewischt, das Glas entfernt und der Mann hat die Frau gruendlich eingeschuechtert. Jedenfalls redet nur er, klopft den Polizisten auf die Schultern, fasst sie hier und dort an, fuehrt das grosse Wort. Ich verlange, man solle nicht den Taeter, sondern das Opfer fragen, was der Polizei scheinbar garnicht eingefallen waere. Aber die junge Frau murmelt nur auf amharisch, voellig veraengstigt. Schliesslich zieht der Tross wieder ab und auf der Strasse erklaert man uns, das sei eben so, wir sollten uns abregen: “This is our culture”, heisst es- na, herzlichen Glueckwunsch dazu. Die Zimmer sind sauber, wenn auch kahl wie Zellen. Und die halbe Nacht ist hier Remmi-demmi. geschrieben am 16.12. in Bahir Dahr
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