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Reisetagebuch

12/19/2003   Aethiopien / Bahir Dahr

Tesfanesh

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(Harald) Ich treffe mich mit dem Guide namens Mike um 7.45 vor dem Hotelgelaende, der Insel der Seligen, der Fluchtburg vor Armut und Krueppeln, Bettlern und Waisen, von denen die Strassen bevoelkert sind. Das Elend hat hier keinen Zutritt.

Zuerst besuchen wir Tesfanesh, die etwas besser aussieht, schleppend spricht und uns in einer stillen Minute sagt, dass der junge Labormitarbeiter das betreuende Maedchen aufgefordert hat, mich zu beluegen und mehr Geld zu verlangen, um sich den Ueberhang selbst einzustecken. Schade, netter Junge eigentlich. Aber hier sei selbst den Aerzten nicht zu trauen, sagt Mike.

Sarah, das Maedchen mit der Geschwulst, die still im Bettchen sitzt, ihr Vater neben ihr, denn die Mutter ist kurz nach ihrer Geburt gestorben. Auch sie tapfer, ohne Traenen, ohne Jammern. Sie atmet gut, aber die Geschwulst eitert. Ich nehme ein Rezept mit. Fuer die Mutter mit dem Baby habe ich Brandsalbe gekauft.

Mike sieht die Schuhe der Frau, die ich gestern auf die Liege gelegt habe und fragt nach. Sie ist heute nacht gestorben, laesst vier Kinder zurueck, der Vater ist bereits vor 7 Jahren gestorben.

Im Vorbeigehen besuche ich andere Patienten, weil ihnen jede Aufmerksamkeit gut tut, sie ablenkt. Der Ferensch, der Weisse, ist immer interessant, man verfolgt jede meiner Aktionen mit grossem Interesse. Ich rede hoeflich und aufmerksam mit dem Personal, auch wenn mich die Zustaende hier empoeren. Nur so bekomme ich hier und da etwas sofort erledigt, besorgt, Auskuenfte und auch mal einen Arzt zu sehen.

Emuye, der Wonneproppen mit dem verbrannten Arm, laechelt mich an- Sonne in meinem Herzen! Sie hat die Pillen genommen, aber man hat keine frischen Laken gebracht. Sie fragt nach neuer Kleidung. Die Krankengymnastik wird von einer Matrone ohne rechtes Gefuehl gemacht, schmerzhaft, muss aber sein.

Die Medikamente sind bei dem Labormitarbeiter gelagert, damit sie niemand stiehlt.

Mike erzaehlt mir die Geschichte seiner Mutter. Er brachte sie in dieses Krankenhaus, sie wartete den ganzen Tag auf Testergebnisse und die Aerzte und am Abend war sie tot. Mike fallen die Besuche hier sichtlich schwer.

Am Abend kommen wir wieder. Tesfanesh hat sich die Kanuele herausgezogen, angeblich weil sie schmerzt. Sie fiebert schweissnass, Muecken sitzen auf ihr, sie atmet noch schwerer, denn es ist kalt draussen, dass vertragen die entzuendeten Lungen nicht. Ich sage ihr, dass sie sterben wird, wenn sie die Kanuele nochmals herausreisst, weil die Schwestern nicht noch einmal kommen. Aber sie ist wie benommen. Vielleicht will sie nicht mehr.

Ich beschliesse mein Moskitonetz zu holen und die Nacht ueber bei ihr zu bleiben und zu wachen, weil das junge Betreuungsmaedchen mit den Nerven am Ende ist- sie hat selber Aids.

Der Junge aus dem Labor hat eine Schwester besorgt, die im Dunkeln Tesfaneshs Venen nicht finden kann. Meine Kopflampe aus Petah Tiqwa (Israel) ist zu schwach, ein nicht zu behebender, technischer Dauereffekt. Die zweite Leuchte wurde mir zugeschickt- leider mit blauer Lampe, statt weisser. Also muss Tesfanesh ins Neonlicht um die Ecke getragen werden, weil die Liege keine Rollen hat. Es gibt keine Atemmasken, nirgendwo, weder in den Apotheken, noch im Krankenhaus. Es muss auch so gehen.

Wir legen Tesfanesh ins Licht, aber die Anstrengung hat die nur hauchenden, mit Wasser gefuellten Lungen angestrengt, Tesfanesh roechelt, schaut mich angstvoll an. Die Lungen muessten abgesaugt werden, seit Tagen. Aber dazu gibt es keine Moeglichkeit. Die Schwester sticht wieder und wieder in den Arm, ein Patient haelt ihren Kopf zur Seite, damit sich keiner ansteckt.

Um 18.57 Uhr stirbt Tesfanesh Sisay. Ich kann ihre angstgeweiteten Augen nicht schliessen, ziehe das schmutzige, gruene Laken ueber den ausgemergelten Koerper und ihr eingefallenes Gesichtchen.

Spaeter wickele ich mit der Schwester zusammen einen Verband um den Kopf, dann wird sie ins Kuehlhaus gefahren. Das betreuende Maedchen weint etwas, Mike steht abseits und kanns nicht mitansehen. Ich schenke die Lebensmittel dem Maedchen, nehme die Medikamente hinter dem Bett mit und sage dem Laboranten, wir redeten morgen.

Meinen Klumpen im Magen versuche ich wegzuessen, wegzulesen, wegzuschlafen.

Tesfanesh wurde 22 Jahre alt.

geschrieben am 23.12.


 


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