12/20/2003 Aethiopien / Bahir Dahr
Schuesse in der Nacht
Wo sind die Aerzte?
(Harald) Um 7.45 holt mich Mike ab. Im Krankenhaus besuchen wir Sarah, deren Vater nach Hause will, weil dort weitere Kinder ohne Betreuung sind. Ich biete an, Sarah mit ins Hotel zu nehmen, so lange er weg ist. Aber die Schwestern (wo sind verdammt nochmal die Aerzte?) lehnen das ab. Das Kind wird Angst haben, ohne den Vater. Sie atmet gut, die Antibiotika haben angeschlagen. Mutter und Kind gegenueber sitzen wieder still da, das Kind wie immer an ihrer Brust nuckelnd. Sie brauchen neue Kleider, sonst gibt es womoeglich Hautentzuendungen, Kraetze. Emuye strahlt wieder still, hat die Pillen genommen, ich zaehle nach. Ihre verbrannte “Kralle” muss gestreckt werden- fuer Mike zuviel, er geht raus. Ich ueberwache die Uebergabe der 60 Birr, die ich dem Jungen aus dem Labor gegeben habe. Das betreuende Maedchen bedankt sich der ueblichen Geste, bei der die linke Hand den rechten Unterarm stuetzt. Ich bedanke mich bei ihr, sie hat es tagelang ausgehalten ihre eigene Zukunft anzuschauen. Ich konfrontiere den Laboranten mit seinem Betrugsversuch, bleibe aber freundlich, denn er hat das Maedchen von der Strasse aufgelesen und die ersten Medikamente gekauft, die Betreuerin besorgt. Aber die nicht mehr benoetigten Medikamente nehmen wir mit, obwohl er behauptet, das Maedchen koenne sie gebrauchen. Aber sie ist weder bettlaegrig, noch hat sie eine Lungenentzuendung, heisst: er will die Medikamente verkaufen. Wann Tesfanesh begraben wird, ist nicht heraus zu bekommen. Es gibt keine Trauerfeier, keine Verwandten, Freunde. Wuerde ich insistieren, wuerde ich lediglich angehalten, die ansonsten kostenlos Beerdigung zu bezahlen. Jedes Wort an diesem Grab spraeche ich als Existenzialist nur zu mir selbst. Mittags gehe ich mit Mike ins Kino, ich brauche Ablenkung. Schoene Welt des amerikanischen Mittelstands, gefilmte Sorgen, die hier jeder gerne haette. Weil Mike zu spaet gekommen ist, argwoehnte ich, er habe sich die Medikamente unter den Nagel gerissen und sei untergetaucht und bin ganz erleichtert, als er doch auftaucht. Auf dem Markt kauft Mike fuer das Baby und seine Mutter Kleidung, weil man mir zu hohe Preise abverlangt. Und eine neue, grosse, stabile Unterlegplane fuer die kommenden Regentage, den die alte, in Deutschland nahe der Heimat gekauft, ist zu klein und loechrig. Abends wieder Duschen, Kleider wechseln. Alle Floehe Aethiopiens haben scheinbar auf mich gewartet, so bin ich wenigstens nie alleine. Ich moechte mit Mike tanzen gehen, aber die Bars, die er mir dazu zeigt, sind voller viel zu junger Prostituierter. Wir gehen stattdessen Essen und spaeter ist eine der Bars so voll, dass ich ein paar zaghafte Tanzschritte wagen kann, ohne belaestigt zu werden. In der Nacht hoere ich Schuesse. geschrieben am 23.12. in Bahir Dahr
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