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Reisetagebuch

12/21/2003   Aethiopien / Bahir Dahr

Sarah

...und die vier Waisen

(Harald) Um acht Uhr stehen die Kinder der Mutter, die vor zwei Tagen gestorben ist, verabredungsgemaess vor dem Krankenhaus, begleitet von einer der Schwestern. Ich suche zuerst Sarah, aber sie wird gerade operiert. Der Mutter mit ihrem Baby gebe ich die Kleider (Strahlen! Sonne im Herzen!). Auch Emuye laechelt, aber das verbrannt-verunstaltete Maedchen braucht dringend schoene Kleider zum Aufmuntern. Wieder keine frischen Laken.

Nebenan liegt ein stoehnender junger Mann. Die Schuesse in der Nacht galten u.a. ihm, ein Polizist hat ihm in den Bauch geschossen. Warum weiss er selber nicht, er war wohl nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Wenn ich den laessigen Umgang der jungen Kerle mit ihren Kalaschnikows sehe, wundert mich dieses unverantwortliche Geballere nicht. Der Junge muss einen Bauchschuss ohne Schmerzmittel aushalten. Mir wird flauh, wenn ich an die Schmerzen denke.

In einem Nebenzimmer ein Kind mit angeblichem Asthma. Aber die Eltern haben eine falsche Auskunft bekommen, denn das Kind hat Herzrasen, hohes Fieber, haengt am Glukosetropf. Ich fordere die Eltern auf, nachzuhaken, dass Kind verdreht schon die Augen! Sie sind bereits zum vierten Mal mit dem Kind hier. Ich rate zum Klinikwechsel, aber die Privatkliniken koennen sie nicht bezahlen und fuer einen Transport, z.B. nach Addis Abeba, fehlt ebenfalls das Geld.

Die nette Schwester begleitet uns mit den Kindern zu deren winzigen Haeuschen. Der Stadtteil liegt weitab der zwei schoenen Palmenalleen der Stadt. Ueber staubige, steinige Wege, durch Eukalypstusgehoelze voller Voegel gelangen wir zu einem Lehmhaeuschen von etwa 6 qm, davor ein mit Planen geschuetzter Verschlag gleicher Groesse. Auf zwei schmalen, kurzen Pritschen schlafen die Vier unter dreckigen Laken. Es ist duster und die stillen Kinder essen noch die Vorraete auf, die die Mutter gekauft hat. Das Haus kostet 50 Birr mtl., die jetzt niemand mehr aufbringen kann. Also werden die Kinder auf die Strasse muessen, denn die Mutter kam aus einer anderen Gegend, es gibt keine Verwandten, keine Nachbarn die helfen. Der Aelteste, Andargatschu, ist 14 und arbeitet als Schuhputzer, der juengere Bruder, Molugetta, 12 eifert ihm darin nach, hat aber kein Geld fuer eine Ausstattung. Das Maedchen Betelihem ist 8, die Juengste, Jerusalem, 6.

Die Mutter, Frau Mesai, war Brotbaeckerin, 35 Jahre alt. Jetzt hilft den Kindern niemand mehr.

Wir fruehstuecken bei der Schwester zu Hause, ich kaufe Zucker und Brot, gebe dem Aeltesten 3 Birr als Verdienstausfall. Ich muss was tun fuer die Vier.

Zurueck ins Krankenhaus. Sarah ist aus dem OP zurueck, noch benommen, ihr erster Blick gilt ihrem Vater und mir. Der Tropf laeuft viel zu schnell, sowas regelt man hier selbst, wenn man weiss, was richtig ist. Die Schwellung ist jetzt kleiner, weicher, das Auge offener. Gut. Aber was hat sie? Niemand kann das beantworten, Aerzte sind wieder nicht zu finden. Himmelherrgottnochmal, ueberall suche ich die Kerle und keiner ist zu sehen. Mike sagt, sie sind zu Hause, Essen, Ausruhen, oder in ihren Privatkliniken. Waehrend hier die Leute sterben, leiden. Die Pfleger sitzen in der Cafeteria, lungern draussen herum, die Haende in den Taschen, laufen mir neugierig hinterher. Ich moechte sie jagen. Die ganze Last liegt auf den Schwestern. Trotz der dramatischen Umstaende hier, laeuft niemand, wie in Deutschland, mit wehendem Kittel. Krankenschlaraffenland Deutschland.

Ein Mann mit Aids fragt mich um Crème, seine Haut juckt unertraeglich. Gut, kaufe ich. Eine Frau mit beidseitig amputierten Unterarmen bittet um Geld, ich lehne ab. Ueberall werde ich um Hilfe gebeten, die ich nicht leisten kann.

Wir gehen zum Markt, kaufen ein Kleid fuer Emuye, samtartig, dunkelrot, was Elegantes mit Schulterpolstern. Mike fragt mich um Unterstuetzung. Ich bezahle ihn taeglich mit 10 Birr, aber er hat eine Augenlidentzuendung, die operiert werden muss, aber nicht das Geld dazu. Meine geldlichen Mittel sind aber erschoepft, es tut mir weh, ihm das sagen zu muessen. Und der 20-jaehrige will studieren, hat beste Noten in der Schule. Aber die Studiengebuehren von etwa 10 Euro sind fuer ihn mtl. nicht aufzubringen.

Mike ist oft traurig, abwesend. Vielleicht will er Mitleid erregen, aber das waere auch o.k. in seiner Lage.

geschrieben am 23.12. in Bahir Dahr


 


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