12/25/2003 Aethiopien / Bahir Dahr
Mister, dabo!
Alltag in Bahir Dahr
(Harald und Renata) Entgegen meiner Annahme, dass wir am 25.12. weiterfahren, wollen Renata und Ralph noch bleiben und so haben wir drei uns entschlossen, ueber Weihnachten im Ghion Hotel zu bleiben. Ich hatte zwar alles auf die Abfahrt ausgerichtet, alle Termine vor allem mit den Kindern wahrgenommen und deren Versorgung, so gut es geht, geklaert, aber so ist es mir auch recht, denn es gibt uns mehr Zeit, eine bessere Loesung fuer die Vier zu finden. Nur einmal sehe ich Betelihem etwas weinen, als sie trotz in Englisch gefuehrter Unterhaltung mitbekommt, dass von ihrer Mutter die Rede ist. Ansonsten sind die Kinder niedergeschlagen, still, aber gelegentlich kann ich ihnen ein Laecheln entlocken. Der Weg zum Hotel ist stets gesaeumt von Bettlern,- Krueppeln, Blinden,Lepra- und Poliokranken, voellig verdreckten Kindern mit Rotznasen und abends schlafen hunderte auf den Bordsteinen, Geschaefsterrassen und unter den Palmen an den beiden Alleen auf blankem Boden. Es sollen allein in Bahir Dahr etwa 4000 Kinder, meist Waisen, auf der Strasse leben. Das Strassenbild spiegelt das wieder. Die meisten sind echte Waisen, vor allem Aids ist schuld am Tod vieler Elternpaare. Dann uebernehmen oft Verwandte die Waisen, sterben dann aber selbst an Aids und die Kinder verwaisen erneut. Die Kinder sind traumatisiert vom Siechtum der Eltern. Aber viele Eltern koennen die Kinder nicht ernaehren, draengen sie aus dem Haus. Oder die Kinder weichen den erbaermlichen Lebensumstaenden von selber aus, sobald sie alt genug sind, Lose der staatlichen Lotterie, Papiertaschentuecher, Kaugummis und Zigaretten verkaufen zu koennen. Die Maedchen prostituieren sich sehr frueh, was hier wenig verwundert, denn schon Kinder werden zwangsverheiratet und 15-jaehrige Muetter sind keine Seltenheit. Abends an den schmutzigen Buendeln, die neben dem Gehsteig liegen, einfach vorueber zu gehen, faellt mir schwer, unertraeglich schwer. Ich nehme das nicht gegessene Brot aus dem Hotel mit und gebe es den Jugendlichen, die mich anflehen: “Mister, bread, dabo”(Brot), hungry!. Hunger macht die Nacht noch kaelter und Mike erzaehlt mir, dass schon mancher tagelang in seine Schemma gehuellt am Strassenrand lag, hunderte vorbei liefen und man schliesslich feststellte, dass dieser Mensch schon lange tot war. Da sich die Menschen auch tagsueber, im Sonnenschein, im Krankenhaus, in der Nacht, komplett, in ihre Schemmas huellen, wie Mumien, so dass sie wie die Toten aussehen, die auf den Holzbahren getragen werden, ist ein solcher Anblick nur fuer Touristenaugen ungewoehnlich und auffallend. geschrieben am 4.1. in Bahir Dahr
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