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Reisetagebuch

12/29/2003   Aethiopien / Bahir Dahr

Sankt-Gabriels-Tag

Besuch der groessten Kirche / ueber das Felege-Hiwott-Krankenhaus

(Harald und Renata) Ich gehe mit Mike zur groessten Kirche der Stadt, auf der anderen Nilseite. Heute ist Sankt-Gabriels-Tag, ein kirchlicher Feiertag, an dem halb Bahir Dahr zur Kirche geht. Eine gute Gelegenheit, diesen sehr wichtigen Teil aethiopischer Kultur kennenzulernen. Renata und Ralph kann ich nicht dafuer begeistern und so gehe ich mit Mike dorthin.

Die Menschen haben ihre Kleidung gewaschen, die Schemmas leuchten strahlendweiss in der Sonne. Bunte Sonnenschirme schuetzen die Frauen und auch die Priester, die mit einem Megaphon zu Spenden aufrufen, sind mit grossen, grellbunten Schirmen vor den heissen Strahlen geschuetzt und genauso bunt gekleidet. Vor ihnen liegen auf bunten Tuechern tausende Geldscheine, dazu Maiskolben und anderes Gemuese. Ein richtiger Rummel findet um die Kirche statt, eine Art religioeses Volksfest. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten in Zivil und Uniform bewegen sich zwischen den Glaeubigen. Und ueberall Bettler, die auf die Gebefreudigkeit der Kirchgaenger hoffen.

Viele sind bereits die ganze Nacht hier, manche schlafen auf dem Boden im Forst, der die Kirche umgibt. Ueberall stehen die Menschen still herum, der Kirche zugewandt, auf ihre Tullas gestuetzt. Ueber Lautsprecher wird die scheinbar endlose Zeremonie der zahlreichen Priester im Inneren der Kirche auch draussen verbreitet. Mancher Priester betet seit gestern ununterbrochen und ist heiser, kaum noch verstaendlich.

Die Glaeubigen kuessen die Umfassungsmauern des Gelaendes, die Kirchenmauern, die Tuerbalken. Sie verneigen sich, murmeln Gebete. Trotz der weissen Schemmas, trotz mancher bunter Kleidung, hat diese inbruenstige Versammlung auch etwas Irritierendes, fast Gespenstisches.

Auf dem Rueckweg machen wir Verwandten- und Nachbarschaftsbesuche, wie es an diesem Tag ueberall ueblich ist. Und in jedem der Huetten, die wir besuchen, wird Tella angeboten, das schaumlose, waessrige Bier mit rauchigem Geschmack. Die dunklen, kleinen Huetten haben Lehmboeden, sind fast nicht moebiliert. Staendig gehen und kommen Besucher. Dann wird auch Injera angeboten und stark gesuesster Tee oder Kaffee.

Wir besuchen Mikes Elternhaus., in dem jetzt seine aeltere Schwester mit zwei Kindern lebt. Mikes Mutter ist vor sechs Monaten im selben Hospital gestorben, wie Frau Mesai, die Mutter der vier Kinder. Und auch genauso jaemmerlich, auch sie wartete den ganzen Tag vergeblich auf Behandlung, weil niemand sich die Muehe macht, zwischen den Patienten die warten koennen und denen, die sofort behandelt werden muessen, zu unterscheiden. Anstatt die Laborergebnisse schnellstens herauszugeben, geht man dort in die Mittagspause oder macht rechtzeitig “Feierabend”, wie ich selbst beobachtet habe und wie mir von Seiten der Patienten und Krankenschwestern bestaetig wurde. In der Zwischenzeit sterben die Leute, zu manchen Zeiten um die 10 Patienten taeglich, was niemanden aufzuruetteln scheint.

Ich habe deshalb auch den Krankenhausmanager aufgesucht. Dieses Krankenhaus ist eine Schande, eine Beleidigung der Menschenwuerde, die doch unantastbar sein soll. Das man zwar keinen Mundschutz bekommen kann, um Patienten mit offener TBC zu versorgen, aber draussen die Hecken mit OP-Masken gegen Staub geschnitten werden, dass die Boeden eine Woche lang nicht gewischt werden, aber der Rasen geschnitten wird, dass lediglich eine Person zum Handwaschen der Bettlaken bereitsgestellt wird, wo Personal so billig ist und das ganze Haus nach Blut und sonstigem stinkt- all das ist unertraeglich und hat nichts, oder wenig mit Armut zu tun. Und dutzende von gelangweilten Studenten der hiesigen Universitaet in weissen Kitteln lungern, schlurfen durch die Gaenge, untaetig, waehrend die Patienten oder ihre Angehoerigen selbst alles saeubern und Medikamente besorgen muessen. Nicht einen der Studenten habe ich in zwei Wochen Krankenhausbesuchen gesehen, der einen Patienten gewaschen oder seine Bettwaesche gewechselt haette. Was fuer Aerzte wird diese Haltung gebieren? Gebt mir dieses Krankenhaus fuer drei Monate, habe ich mir mehr als einmal gedacht, ich wuerde euch lehren, euch Beine machen.

Abends treffe ich Renata und Ralph im Ghion-Hotel. Sie haben mit den Raedern einen Ausflug zu den Hippos gemacht und Renata wurde von angetrunkenen Jugendlichen massiv belaestigt, die dem heute reichlich ausgeschenkten Tella zu kraeftig zugesprochen haben. Fast waere es zu einer taetlichen Auseinandersetzung gekommen.

Und Rosalie, die Italienerin aus den Simienbergen ist im Ghion-Hotel und erzaehlt, dass der Junge mit dem offenen Bein immer noch nicht beim Arzt war, als sie dort ankam. Auch sie hat dem Vater wieder reichlich Geld gegeben, aber ihr aethiopischer Guide sagt grinsend, dass waere dumm gewesen, denn auch dieses Geld wuerde der Vater nur verwenden, um sich noch eine Kuh zu kaufen, die der Sohn dann zusaetzlich mit offenem Bein umhertreiben muss. Die Kuehe sind eigentlich nutzlos, weil sie keine Milch geben und nicht geschlachtet werden, sondern als Statussymbole, oder als Brautgabe verwendet werden. Der Junge, so erfahren wir, kratzt sich also sein Bein immer wieder auf Druck des Vaters auf, um durch das Mitleid der Touristen Geld zu erbetteln. So erreicht man trotz guten Willens genau das Gegenteil.

geschrieben am 5.1. in Bahir Dahr


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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