1/2/2004 Aethiopien / Bahir Dahr
Eine wichtige Entscheidung
Das Jahr faengt ja gut an! Erstmal mit Kopfschmerzen...
Besuch im Sozialamt
(Harald ) 1.1. Ralph und ich haben gestern nacht dem aethiopischen Rotwein zu kraeftig zugesprochen. Den Tag verbringe ich nahezu komplett im Bett, schwer seekrank. Mike muss die Verabredung mit den Kindern alleine wahrnehmen und geht mit ihnen essen und die Fotos abholen, die wir gestern in einem kleinen Fotostudio haben aufnehmen lassen, denn die Vier haben nicht ein einziges Foto von sich und wenn alles klappt, sind sie in ein paar Tagen fuer immer, oder sehr lange Zeit getrennt. 2.1. Renata und Ralph fahren ab Richtung Hauptstadt. Die Strasse nach Addis Abeba ist sehr schlecht und etwa 580 km liegen vor ihnen, inclusive einer tiefen Schlucht. Sobald ich hier alles erledigt habe, folge ich nach. Mit zwei Aspirin-Tabletten gelingt es mir den Tag zu meistern und letzte Erledigungen in Voraussicht der nahen Abreise zu machen. Infolge der getrennten Abfahrt fehlt mir eine Luftpumpe, aber leider passen die hier erhaeltlichen nicht auf meine Ventile, denn es gibt hier nur Pumpen chinesischer Fabrikate zu kaufen und deren Ventildurchmesser liegt irgendwo zwischen denen der franzoesischen und der von Autoventilen. Einen Platten darf ich nicht haben, sonst wirds schwierig. Mit allen Kindern und Mike gehe ich zum Sozialamt, um mit Herrn Hapto zu sprechen, der ja gleichzeitig der Heimleiter des Transitheims ist. Ich moechte, dass die Kinder eindeutig erkennen, was auf sie zukommt. Herr Hapto stellt erstaunlich wenig Fragen, bevor er verbindlich zusagt, die beiden Maedchen anzunehmen. Er begruendet das damit, dass er mir vertraue, weil ich offenbar alles gut vorbereitet haette. Habe ich das wirklich? Ist alles bedacht? Die Kinder wuerden in Kuerze nach Addis gebracht und vom dortigen Heim aus wahrscheinlich nach Italien vermittelt, versichert man mir. Die Brueder wuerden von den neuen Adoptiveltern finanziell unterstuetzt, wie dies in 65 anderen Faellen auch waere. Ansonsten gaebe es einen Zuschuss von 150 Birr (ca. 15 EU) mtl. fuer sie. Ich frage hartnaeckig nach, ob die Sache serioes sei und Herr Hapto zeigt mir umfangreiches Material, dass mich beruhigt: die Agenturen, an die die Kinder vermittelt werden, sind von der Regierung registriert und zugelassen und meist stehen kirchliche Traeger dahinter. Es gibt dutzende von Rueckmeldungen samt Fotos von gluecklichen Adoptiveltern, die alle Fortschritte ihrer Schuetzlinge genau dokumentieren. Und die Schwestern wuerden in keinem Fall getrennt, versichert er mir. Ich glaube dem Mann, er macht einen guten Eindruck und er steht ja dem oertlichen Sozialamt vor. Ich lasse mir die Telefonnummern des in Addis zustaendigen Mannes geben und zusichern, dass ich die Maedchen in Addis im Heim besuchen kann. Uebermorgen soll der grosse Tag sein, sollen die Maedchen ins Transitheim kommen. Als Mike und ich abends mit den Kindern in einem Café an einer der beiden Palmenalleen der Stadt sitzen, erzaehlt mir Mike, dass Andargatschu sich auf die Toilette des Cafes gehockt, also mit den Fuessen auf die Klobrille gestellt habe, weil er noch nie ein Sitzklosett gesehen hat. Solche Lokalitaeten sind fuer die Kinder absolutes Neuland, ein Kellner, der ihnen einen Stuhl holt und zurechtstellt, bedient zu werden, all das sind sie nicht gewohnt. Die Maedchen haengen foermlich an mir, lassen meine Haende nicht los, setzen sich auf meinen Schoss und kuscheln sich an mich und die Jungs laufen eng neben mir. Andargatschu meist eher ernst, Molugetta oft feixend und lachend. Ich beobachte genau, ob die Vier traurig sind oder aengstlich, weil sie wahrscheinlich getrennt werden. Aber alle Vier nehmen diese Aussicht sehr gelassen hin. Ueberhaupt erstaunt mich jeden Tag, wie gut sie den Tod der Mutter verkraften, wie sie sich in ihre neue Lebenssituation einfinden. Molugetta hat ein paar Birr mit dem Popcornverkauf und Schuheputzen verdient, alle gehen zur Schule und scheinen auch selbst Wert darauf zu legen. Ein Verwandter war zu Besuch- so ganz ohne Familie scheinen sie nicht zu sein. Und es taucht ein Foto auf, wo neben der Mutter und dem Vater auch eine Tante zu sehen ist. Andargatschu will diese Tante aus dem Foto schneiden, was mich erst wundert. Spaeter verstehe ich, dass die Kinder die Adoption und meinen Geldfluss nicht komplizieren wollen, weil ich sagen koennte, dass es ja doch noch irgendwo Verwandte gaebe. Ob die bereit und in der Lage waeren, vier Kinder aufzunehmen und zu unterstuetzen, wage ich zu bezweifeln. Und ich habe auch nicht die Moeglichkeit, dies alles zu pruefen, ich muss meine Entscheidung jetzt treffen: Adoption ja oder nein. Das nimmt mir niemand ab. Es veraendert das Leben der Vier fuer immer. Aber was sind die Alternativen? Wer kocht hier Essen, wer beaufsichtigt die Schularbeiten, wer schuetzt die Kinder vor Willkuer? Sie wuerden auf der Strasse enden, wie hunderte anderer Waisen auch. Die Jungs moegen klar kommen, wenn ich die Miete fuer die naechsten Jahre zahle und sich der nebenan wohnende Vermieter um sie kuemmert. Aber die Maedchen, fuerchte ich, koennten, wie viele andere Maedchen, in der Prostitution landen, waehrend ihnen eine neue Familie in Europa alle Chancen bieten kann. geschrieben am 21.1. in Addis Abeba
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