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Reisetagebuch

1/6/2004   Aethiopien / Dengila

Bad Vibrations

Der Cattle-Complex

(Harald) Schon vor Sonnenaufgang hoere ich draussen mehrere Maenner sich um das Zelt sammeln und sogleich ertoent das unvermeidliche “You! Birr!”- heisst: bevor ich auch nur das Zelt aufgemacht habe, werde ich schon angebettelt und das von drei gesunden, kraeftigen Maennern, Hirten, die das Betteln nicht noetig haben.

Ich oeffne die Reissverschluesse von Innen- und Aussenzelt und mir strecken sich fordernde Haende entgegen:”Give!” Mir kommt die Galle hoch, ob solcher Unhoeflichkeit und Dreistigkeit. Ich sage den Maennern, dass ich ihnen kein Geld gebe, was zur Folge hat, dass sie sich dumm stellen, staendig um mich herumwuseln, jede meiner Bewegungen verfolgen, dabei ein lautes Palaver abhalten, aus dem immer wieder die Worte “Ferensch”(Fremder/Auslaender), “money” und “Birr” herauszuhoeren sind. Dann faengt eine neuerliche Bettelrunde an. Ich kann vor dem Fruehstueck diese Belaestigungen ueberhaupt nicht vertragen, werde deutlicher, worauf ein Gelaechter anhebt. Man hat sich offensichtlich entschlossen richtig laestig zu werden, wohl in der Aussicht, dass ich letztlich Geld gebe, um Ruhe zu haben. Vor allem einer ist besonders frech. Schliesslich platzt mir der Kragen und ich schreie die Kerle an:”Go!” Noch mehr Gelaechter, sie tragen alle dicke Tullas und fuehlen sich offensichtlich praechtig dabei, einen Ferensch mal so richtig aergern zu koennen. Mein Puls geht auf 180, ich presche nach vorne und schubse den Wortfuehrer kraeftig nach hinten, schreie erneut:”Go,go!” Der Kerl lacht immer noch. Ich schubse ihn noch kraeftiger, mehrmals, weg von meinem Zelt. Dann wende ich mich den anderen beiden Maennern zu. Sie sind alle groesser als ich und mit ihren Tullas koennten die Drei mich windelweich pruegeln, aber das ist mir jetzt egal. Die anderen beiden weichen vor mir zurueck, lachend, aber sie gehen schliesslich, lauthals palavernd nehmen sie den Wortfuehrer mit.

Mann! Ich bin das wirklich satt. Was waren der Sudan und Syrien ein Paradies fuer Reisende dagegen. Da wurde man eingeladen, willkommen geheissen. Auch in der Tuerkei gab es Tschai-Einladungen, in Bulgarien haben wir Freunde gefunden. Hier faellt das Wort “welcome” selten. In Aegypten wurde auch gebettelt, aber es hiess stets “please”(bitte). Und es gab ueberall ein Gefuehl fuer das Gegenueber, eine gewisse Ruecksicht, man wollte nicht laestig fallen. Das ist hier anders.

Der Tag hat nicht gut angefangen, aber das Adrenalin kann ich auf der schlechten Strasse gut gebrauchen. Die LKWs wirbeln grosse Staubwolken auf, die meine gestern noch liebevoll gereinigten und geoelten Zahnraeder mit roetlichem Kleister ueberziehen, die Kette knirscht wie ein Rechen, der durch Kies gezogen wird.

Bergauf muehe ich mich ab, ich habe zuviel Gepaeck, aber auf das Moskitonetz, auf die Decke, die Reisefuehrer usw. kann ich nicht verzichten. Die Verschweissung des linken Low-Riders ist mittlerweile abgebrochen, so dass mir garnichts anderes mehr uebrig bleibt, als alles auf dem Gepaeckstaender zu verstauen. Ich habe vier Flaschen Wasser a 1,5 Liter dabei, 1 kg Bananen, Brot und Kekse, zusammen ueber 7 kg an Lebensmitteln.

Meine Hoffnung, heute morgen in einer Naht den letzten Floh gefunden und zerquetscht zu haben, erfuellt sich nicht. Einer dieser schwarzen Winzlinge von etwa einem Millimeter Groesse sticht sich munter um meine Huefte herum, die sich neuerlich mit dicken Quaddeln ueberzieht. Wie koennen die geringen Mengen des Antigerinnungsmittels solche Entzuendungen ausloesen?

Die Landschaft ist stets die gleiche seit Gonder: huegelig bis bergig, weitgehend kahl mit einzelnen, dickstaemmigen Baeumen, die bis auf die staerksten Aeste kahlgeschlagen sind, dazwischen kleine Haine mit jungem Eukalyptus, der bis zu 80, 90 Meter hoch wachsen koennte, aber es gibt solche alten Baeume nicht. Die abgeernteten, ockergelben Felder sind immer wieder von Graeben durchzogen, in denen Baeche fliessen, an denen die Hirten ihr Vieh traenken und die Frauen die Waesche waschen oder Knaben ein Bad nehmen. Je nach Phantasie fuehle ich mich an verschiedene Orte in Europa versetzt, nach England, nach Oesterreich oder Belgien, aber fast nichts mutet wie Afrika an, waeren da nicht die dunkelhaeutigen Menschen in den weissen Schemmas, die Hirten mit ihren Stecken und in kurzen Hosen. Und waeren da nicht die Knaben, dutzende jeden Tag, die schreiend ueber die Felder auf mich zu kommen:”Ferensch! Money, give!”

Um 10 Uhr fruehstuecke ich in einem Dorf. Es gibt Cola und Kekse und Ruehreier (was sonst?). Mich umstehen wieder etwa 50 Menschen, verfolgen jeden Bissen, den ich zu mir nehme. Als ich abfahre, laufen die Knaben im Dauerlauf mit, “you, you, money, money” schreiend. Niemand haelt sie auf.

Schon um 10.45 mache ich eine weitere Pause, um 13.30 Uhr die naechste. Die Strasse ist fuerchterlich. Die vielen Erschuetterungen loesen die Verschnuerungen des Gepaecks, das dann herunterrutscht, meine Handgelenke schmerzen, die Finger sind taub, weil die Blut- und Nervenbahnen genau dort verlaufen, wo ich mich mit dem Handballen auf dem Lenker abstuetze.

Ich esse Indschera mit roter Beete, Linsenbrei mit Berberi, dem scharfen Paprikagewuerz. Dazu gibt es etwas Weisskohl und gekochte Kartoffeln und 7-Up, danach einen Schai und die Welt sieht wieder anders aus.

Ich bewege mich durchweg auf einer Hochebene auf geschaetzten 2200 Metern, die Luft ist kuehl, es weht ein leichter Wind. Man kann hier keine 200 Meter fahren, ohne Menschen zu sehen. Auf der Strasse trippeln die kleinen Frauen mit schweren Lasten auf dem Ruecken ihren fernen Zielen zu. Die Doerfer liegen hier 10-15 km auseinander. Ueber diese Strecken tragen die Frauen schwere Tonkruege, Saecke voller Kuhmist, Stapel mit Feuerholz und auf dem Ruecken, in ein Tragetuch gewickelt, oft noch das juengste ihrer Kinder. Ihre dicken, groben Baumwollkleider reichen bis zu den Waden. An den Saeumen klackern an Lederstreifen weiss-braune Kaurimuscheln.

Die Viehherden bestehen zu schaetzungsweise 50 % aus Bullen, die Kuehe haben keine sichtbaren Euter. Nach Auskunft eines Hirten, geben sie im Hoechstfall 2-3 Liter Milch taeglich. Die Knaben treiben diese nutzlosen Herden, die mit den Ziegen und Schafen alles kahl fressen und den Boden versaeuern, durch die Landschaft, anstatt zur Schule zu gehen. Experten nennen das Phaenomen “Cattle-Complex”: Der reine Besitz moeglichst vieler Rinder zeigt den Reichtum des Besitzers an. Ein wirtschaftlicher Nutzen erwaechst daraus fast nicht, denn natuerlich werden diese Tiere nicht geschlachtet und vorallem Bullen bringen Prestige.

Wuerden europaeische Milchkuehe gehalten, die 20-30 Liter Milch pro Tag produzieren, gaebe es neben Milch auch Kaese, Joghurt, Quark, Buttermilch. Man koennte Pudding und Milchgebaeck herstellen und Kornflocken essen. Nichts von alledem ist hier irgendwo zu bekommen, nicht mal in Bahir Dahr gab es, ausser in einem ueberteuerten Laden, Solcherlei zu kaufen.

An mir fahren die eckigen Ueberlandbusse vorbei, blau-weiss oder –gruen, mit einem Megaphon auf dem Dach, aus dem aethiopische Musik erklingt, um ihr Nahen schon von weitem anzukuendigen.

Viele Baufahrzeuge rumpeln ueber die steinige Piste, denn mit Hilfe chinesischer Ingenieure wird auch hier die Teerstrasse nach Addis weitergebaut. Zukuenftige Radreisende werden es also wesentlich leichter haben- ohne Staub, schonender fuer Mensch und Material, schneller vorankommen.

Ich habe mittlerweile meine Oel-Rahmenfederung voll aufgedreht, um mehr Erschuetterungen abzufangen, aber das kostet auch Kraft, denn bei jedem Tritt auf die Pedale verpufft viel Energie in der sich biegenden Spiralfeder.

Um 17 Uhr erreiche ich das Dorf Dengela. Eigentlich koennte ich noch eine Stunde fahren, aber ich sehe aus wie ein Erdwolf, die Handgelenke wollen nicht mehr, mir ist sehr nach “Feierabend”.

Im 2. Hotel kehre ich ein. Der Zimmerpreis ist ueberzogen, aber ich will endlich duschen und schlafen. Der Manager zeigt mir die Vorzuege des Zimmers, das interne Badezimmer, Waschbecken und Dusche. Leider stellt sich heraus, dass es kein Wasser gibt, angeblich wegen des Strassenbaus. Das wusste der Mann natuerlich vorher und ich haette eine Funktionspruefung machen muessen. Trotz aller Erfahrungen bin ich halt immer noch Kind einer Gesellschaft, in der der Manager eines Hotels einem Gast nicht scheinheilig das Badezimmer und die offensichtlich dringend benoetigte Dusche anbieten wuerde, im Wissen , dass es gar kein Wasser gibt.

Ich sage dem Mann, dass ich ohne Wasser nicht den vollen Preis bezahle, was er nicht akzeptiert, weshalb ich ihm sage, er solle die Polizei rufen, damit die entscheide. Die kommt auch tatsaechlich und gibt mir recht, der Manager muss sich mit 5 Birr weniger zufrieden geben (50 Cent). Ich frage mich manchmal, ob ich nicht einfach immer nachgeben sollte, wo es doch um so wenig Geld geht. Aber es wurmt mich andererseits, so oft reingelegt zu werden, ohne mich zu wehren.

Bis spaet in die Nacht laermt es vor der Metalltuere, zwei verschiedene Musikquellen wummern durcheinander, Betrunkene schreien und auch direkt vor meiner Tuere wird sich lautstark unterhalten, Metallstuehle quitschen, Automotoren laufen endlos im Innenhof. An Schlaf nicht zu denken. Die Ruecksichtslosigkeit der Leute erstaunt mich immer wieder.

Mit Papiertaschentuchstuecken in den Ohren gelingt es mir schliesslich eine Muetze voll Schlaf zu nehmen.

geschrieben am 22.1. in Addis


 


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