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Reisetagebuch

1/8/2004   Aethiopien / ca. 10 km vor Buree

Hello China!

Von You-yous, Gaffern und Raeubern

(Harald) Morgens wieder Zuschauer um das Zelt herum. Die ersten jungen Maenner, die sich einfinden, um mich zu begaffen, lasse ich zunaechst gewaehren. Aber ich moechte mich waschen und dabei keine Zuschauer haben. Also bitte ich darum, mich alleine zu lassen, ich mache Witzchen, um die Situation locker zu halten. Aber man stellt sich wieder mal dumm. Also werde ich deutlicher, was zur Folge hat, dass die Maenner zwei, drei Meter mehr Abstand halten. Zugleich finden sich immer mehr Kinder und aeltere Erwachsene ein. Das Waschen entfaellt ergo. Ich moechte etwas essen, aber das wuerde unweigerlich ebenfalls zu Problemen fuehren, weil man mich um die paar Lebensmittel, die ich noch habe, anbetteln wuerde. Ich fuehle mich wie ein Affe im Zoo. Alles schwatzt durcheinander, man lacht und grinst, es fallen Bemerkungen, aus denen ich nur staendig “Ferensch” und “Birr” heraushoere. Dann verlangt man wieder mal Geld, weil ich hier auf der Wiese mein Zelt aufgebaut habe. Davon war gestern keine Rede.

Wohlgemerkt: wir sind hier nicht im tiefen Busch, nicht abseits der Zivilisation, wo jeder Fremde eine Sensation ist, sondern an der einzigen und stark frequentierten Strasse zwischen der Provinzhauptstadt Bahir Dahr und der Metropole Addis. Also kein Grund anzunehmen, dass ein Ferensch hier einmalig und bestaunenswert ist. Vielmehr geht es um Geld, um Dinge, die man erbetteln kann.

Ich versuche nochmals einen aelteren Mann, der mich anstarrt, um Hilfe zu bitten, dass man mich doch in Ruhe lassen solle. Aber Pustekuchen, der Kerl grinst nur.

Als ich mein Rad schliesslich zur Strasse schiebe, bin ich veraergert und das ich mir dies anmerken lasse, fuehrt lediglich zu spoettischen Gelaechter der etwa 50 Zuschauer.

Nun: herzlichen Dank fuer die Gastfreundschaft und schoenen Tag noch! Niemand hat mir wenigstens Wasser angeboten, stattdessen werde ich angebettelt, bis ich auf dem Rad sitze und berab davonfahre.

Die Teerstrasse liegt breit, dunkel und glatt vor mir, ein Radfahrertraum. So komme ich gut voran, auch wenn es zunaechst wieder steil bergauf geht. Nach etwa 10 km erreiche ich die groessere Ortschaft Buree, wo ich in einem Restaurant unter Plastikplanen fruehstuecke: Ruehrei mit weissen Broetchen- was sonst?

Dann geht es bergab, ich kann etwa 35 km/h fahren. Ein junger Mann schwingt rechts am Strassenrand, als ich vorbeischiesse, ploetzlich seine Tulla hoch, um mich zu erschrecken und ich waere beinahe gestuerzt bei dem Versuch dem Stock auszuweichen.

Nach 10-15 km erreiche ich jeweils die naechsten Doerfer, wo man versucht, mich zu schlagen, Steine nach mir wirft, an meinem Gepaeckstaender zieht und Rotzloeffel sich mir in den Weg stellen, auf einer Zuckerrohrstange katschend, die Huefte ausgestellt, laessig staendig ausspuckend, fragen diese Knirpse mich frech:”Where are you go?” Tonfall und Mimik sind anmassend und ich antworte: “To Gonder.” Das liegt ueber 300 km hinter mir, aber entweder hoert man mir garnicht zu, oder die Jungs sind einfach zu dumm, denn sie nicken bestaetigend. Ich haette auch sagen koennen, ich fuehre nach Hawai oder Alaska.

Und so geht das weiter. Auf den Feldern: “Ferensch, Ferensch! You, you, you. Money, money, money, give, give, give!” Wahlweise angereichert mit:” Where you go?” oder “whats your name?” oder “Birr!”.

Naechstes Dorf, Ortseingang:”You. Money, give, Birr!” “Where you go?” Jungs, Maedchen laufen hinter, neben mir, schlagen mir auf den Ruecken, fassen ans Gepaeck, erste Steine fliegen. Spiessrutenlauf. Einer springt mir vors Rad, Arme und Beine gepreizt, bruellt er mich mit verzerrtem Gesicht an, wie ein Tier. Andere stossen die seltsamsten Toene aus. Ortsausgang: “Give! Birr!” Das sind keine Bitten um Hilfe, das sind Befehle. “Money, money, give, where are you go?” Und das piesackende “You!”

In Finote Selam, am Ortsausgang, etwa 15 Jungs um mich herum ,in meinem Ruecken, ueber 30 Erwachsene stehen in den Hauseingaengen, schauen zu, als ein etwa 10-jaehriger mir meine einzige Wasserflasche aus dem Gepaeck zieht. Ich lasse das Rad fallen, hole den Dieb ein, ich bin derart aufgeladen, dass ich ihn wie ein Buendel am Hemd und Hose packe, ihn ueber den Kopf hochhebe und dann auf den Hosenboden auf den Asphalt setze. Dabei schreit der Junge, als ob ich ihn fressen wollte und alles ringsum lacht sich tot. Niemand sagt selbst jetzt den Kindern, sie sollten mich in Ruhe lassen. Im Fremdenfuehrer steht: “Werden sie nicht aggressiv, sondern bitten sie umstehende, aeltere Erwachsene um Hilfe.” Danke fuer den guten Rat. Der Autor sollte mal einen Tag mit mir fahren. Die Vorstellung, einer der lachenden Erwachsenen wuerde fuer mich auch nur einen Finger krumm machen und mein Eigentum im Dauerlauf zurueckholen, ist schlichtweg unsinnig.

Naechste Ortschaft, selbes Spiel:” Birr, give, money, etc.” Ob Bauarbeiter, Student, Hirte, Mann oder Frau, Kinder oder Greis, jeder bettelt, jeder herrscht dich an, als sei dein Eigentum eigentlich seines und du verpflichtet es ihm zu geben.

“Hallo, China!” und “This is the market!” (“Dies ist der Markt”)- ein Satz aus dem Englischunterricht, aber es gibt hier keinen Markt. Oder “Fasu”, soll heissen “father”(Vater), oder “this is a ball” faellt. Laengst wissen die Frager nicht mehr, was sie sagen, weshalb auch unwichtig ist, was man antwortet. Ich antworte: ”And I am a roadrunner” (Und ich bin ein Laufvogel), was mit einem ernsten “Yes” und Nicken bestaetigt wird.

Es ueberfordert, dutzende Male am Tag dieselben, dummen Fragen zu beantworten, oder sich mit jedem, der einen anpfeifft, anruft oder in die Haende klatscht, um auf sich aufmerksam zu machen, zu unterhalten. In allen Ortschaften gibt es Brunnen, Baeche, genug Wasser. Trotzdem werde ich um “Highland”, die bekannteste Marke aethiopischen Wassers, angebettelt. Das ist keine Not, sondern Anspruchsdenken.

Wer schafft es ungefrustet durch dieses Land zu radeln, der nie auch nur zu einem Tee fuer 2,5 Cent eingeladen wird und dem am Tag unzaehlige Male dieses “money” entgegengeschrien wird? Wer schafft es, in jedem Ort aufs neue freundlich und vertrauensvoll die Jungs hinter sich laufen zu lassen, wenn immer wieder von hinten geraubt oder ein Stein geworfen wird, wenn im Vorbeifahren Abfallstuecke gegen das Rad geworfen werden? Und die zahlreichen Beleidigungen, von denen ich nur eine kenne, mal aussen vorgelassen. Auslaender, die amharisch sprechen, bestaetigen, dass man haeufig uebelst beschimpft wird und es ein grosser Spass fuer die Leute ist, dass man einem Auslaender alles an den Kopf werfen kann, ohne das der reagiert, weil er nichts versteht.

Dem vorbeifahrenden Motorrad- oder Autofahrer bleibt das natuerlich erspart, weil der zu schnell oder zu geschuetzt ist. Wer von einem “Besten-Hotel-am-Platze” zum anderen fliegt, oder mit dem 4x4 rast, meist noch mit amharischem Fahrer, der kann leicht sagen, es waere doch garnicht so schlimm mit dem Stehlen, dem Gebettel und dem Steinewerfen.

Grosse Pause in Dembetcha um halb vier. Heute schon acht Limonaden verschnabuliert, liebevoll “Ploerre” genannt.

Mein Hinterrad, von einem aethiopischen Botschaftsangehoerigen in Kairo mit dem Auto verbogen, eiert fuerchterlich. Wie ein gallopierendes Kamel hoppelt der Sattel unter mir, die Beule hoere ich deutlich auf dem Asphalt und der Rahmen wackelt lustig hin und her. Aber eine solch widerstandsfaehige Felge, wie diese deutsche, werde ich vielleicht nicht einmal in Addis Abeba finden.

Nach 80 km Tagesausbeute suche ich um 18 Uhr einen Zeltplatz rechts der Strasse. Ueber die tiefe Betonabwasserrinne neben der Strasse haben die Bewohner der nahegelegenen Rundhuetten einen winzigen, primitiven Steg aus Eukalyptusaesten, verfuellt mit Erde und Steinbrocken, gebaut. Darueber schiebe ich mein Rad, ueber eine holprige Wiese, zwischen ein paar Baeumchen hindurch, fuehrt ein Trampelpfad. Hier stehen mit 50 Meter Abstand ein paar Lehmhuetten mit Schilfdach und von dort werde ich sogleich mit dem altbewaehrten Spruch begruesst: ”Where are you go?” “Timbuktu!” “Yes.”

Die erste Huette ist leer, die junge Frau, die auf mein “Hallo?” aus der zweiten tritt, erlaubt mir, vor dem Aussenzaun aus Aesten und rostigen Wellblechstuecken, zwischen getrocknetem Kot von Vieh und Menschen, meine Zelt aufzubauen. Ich reinige die noetige Grundflaeche von ca. 200x250 cm so gut es geht von groben Steinen, dornigen Aesten und Verdauungsresten und lege die dicke Plane aus. Sofort finden sich wieder Zuschauer ein, die mich im ueberschlagenden Einsatz ausfragen, auch um ihre Englischkenntnisse zu verfeinern: ”Where are you go?” “Nowhere, I gonna sleep here”. Und wie ich heisse und wie alt ich bin. Woher ich komme? Aus Germany. Keiner der Anwesenden kennt meine Heimat. Nie gehoert- unglaublich. England, Frankreich, ja, kennt man, Italien. Aber Germany? Deutschland? German? Nemjeski? Allemagne? Oliver Kahn? Franz Beckenbauer, Rudi Voeller? Hitler? Aha, Nicken. Ist das nicht schoen, dass der bekannteste Deutsche ein Oesterreicher war?

Als ich aufgebaut habe, wird es direkter. “Are you happy?”, fragt mich ein junger Mann. Ich ahne was kommt. “This girl is beautiful”, meint er anbietend. Etwa acht Dorfschoenheiten reissen die Augen weit auf, gespannt, was ich jetzt sage. Die angebotene junge Dame grinst mich hoffnungsfroh an, vornueber gebeugt, scheint sie zu sagen: “Sag ja!”. Ich mache Scherze, um die Situation zu entspannen.

Die sechs Maedchen, alle ca. 18 Jahre alt, die mich immer wieder kichernd anbaggern, um sich fuer die Nacht ein paar Birr zu verdienen, sind natuerlich keine Prostituierten. Aber wie sehr sie nach Geld gieren, spuere ich, als ich einer zwei Birr fuer eine Limonade geben will und mir mehrere, unbefugte Haende, wie Krallen die Scheine aus der Hand reissen, als sei es Brot fuer einen Verhungernden. Als ich im Zelt, bei geoeffnetem Fenster, die Scheine aus der Tasche hole, rueckt die Gruppe wie ein Mann herum, um einen besseren Blickwinkel in meine Guerteltasche zu haben. Das Holen der Limonade muss ich bezahlen, nichts ist umsonst.

Wieder kann ich mich nicht waschen, weil die zwanzig Gaffer einfach nicht gehen wollen, obwohl ich wieder und wieder darum bitte. Ich gehe ins Zelt, schliesse die Reissverschluesse, aber man redet einfach weiter. “You, mister”, come out!” Ich sage “go”, es reicht. Nichts zu machen, keiner geht. Bitte lasst mich essen, schlafen. Keiner ruehrt sich, alles kichert, palavert. Schliesslich oeffne ich resigniert das Fenster, entschlossen, nicht laut zu werden, denn ich muss jetzt hier schlafen. Bis es richtig dunkel geworden ist, muss ich die immer gleichen Fragen beantworten, auch wenn ich denn Leuten sage: ”I am not a teacher”

Nach qualvollen Stunden stehen im Dunkeln nur noch drei Maedchen vor dem Zelt und koennen es sich nicht verkneifen, mich auch noch um Geld anzubetteln.

Ein junger Hund junkt und wimmert aus einer der Huetten stundenlang, was keinen zu stoeren scheint, waehrend es mir das Herz zerreist, eine Kreatur so leiden zu hoeren.

Niemand hat mir etwas zu Essen, einen Tee oder auch nur Wasser angeboten, Gastfreundschaft gibt es hier einfach nicht.

geschrieben am 25.1. in Addis


 

 

 


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