1/10/2004 Aethiopien / Dejen
Auf Messers Schneide
Unerfreuliche Abschnitte
(Harald) Bis 4.30 Uhr am morgen konnte ich keinen Schlaf finden und bin dem entsprechend muede, als ich morgens zum Fruehstueck im Hotelrestaurant sitze und Omelette mit Brot esse (was sonst?). Im TV wird MTV gezeigt. Ich setze mein geflicktes Hinterrad ein und reinige und oele Kette und Zahnkraenze. Um 10 Uhr breche ich auf, kaufe Wasser und verfahre mich erstmal in der Stadt. Schliesslich finde ich den Weg aus dem Ort, passiere einen Strassenabschnitt voller grosser Loecher und nach 1,5 Std. bin ich wieder da, wo ich gestern meinen Platten hatte. Hier liegt eine riesige Ebene voller gelbem Gras, auf dem tausende von Rindern grasen, so weit das Auge reicht. Wenn die Millionen von Rindern alle richtig Milch gaeben, koennte das Land DER Milch- und Kaeseproduzent in Ostafrika werden. Wieder fliegen Steine in jedem Dorf und auch die Hirtenjungen tun ihr Bestes, mir das Reisen zu verleiden und die Erwachsenen schauen zu. Ich habe den Eindruck, die Stimmung wird immer aggressiver. Die Steine werden immer groesser, die Wuerfe gezielter. Und bei einer Trinkpause meint ein etwa 18-jaehriger: “f...you!” Ohne Anlass, einfach so. Ich stelle das Rad ab und renne ihm hinterher, denn feige sind sie alle. Er verliert einen Schuh, den ich ueber die Daecher werfe. Im naechsten Dorf stoppen zwar ein paar Maenner die Kids im Ort, aber am Ortsausgang geht das Martyrium weiter. Etwa 10 Jungs verfolgen mich bis etwa 2 km hinter dem Ort, werfen Steine, beschimpfen mich, provozieren mich:”Come on! Come here!” Wenn ich dann tatsaechlich absteige und mich ihnen zuwende, rennen sie ueber alle Berge. Aber einer will es richtig wissen. Versteckt zwischen den Baeumen rechts oberhalb der Strasse, wirft er, schimpft er und kann sich garnicht einkriegen. Schliesslich werfe ich Steine und er rennt wie ein Wiesel davon, als die Steine dicht neben ihm einschlagen, so dass ich ohne Bedenken die naechste Steigung angehen kann. Ich habe einen Wald voller Kiefern und Moos erreicht, ein kleines Paradies mit bluehenden Blumen und Baeumen, dass mich an die Suedkueste der Tuerkei erinnert. Hier setze ich mich auf einen umgestuerzten Baumstamm und esse Bananen. Es ist herrlich ruhig hier. Spaeter wird die Strecke wieder schlechter, grosse Loecher machen die Strasse zum Slalomparcour. Mittags esse ich Injera mit Fleisch, waehrend ein Mann mein Fahrrad bewacht. Dann kommt ein fuer unvergesslicher Moment. Vor der naechsten Ortschaft haben sich junge Maenner wie ein Riegel auf der Strasse aufgebaut. Ich versuche sie zu umfahren, trete schneller in die Pedale, aber sie greifen nach mir. Weiter vorne rotten sich etwa 30,40 Jungs zusammen, es geht bergauf, ich kann nur noch Fussgaengertempo fahren. Sie fackeln nicht lange, halten keinerlei Abstand und greifen von hinten an mein Gepaeck. Die Stimmung ist beaengstigend und sie spueren das und fuehlen sich offensichtlich praechtig dabei, mich zu verunsichern. Sie betteln, fuchteln mit den Tullas, schreien, ich muss absteigen, weil sie von allen Seiten auf mich eindringen. Erwachsene laufen vorbei, ich bitte vergeblich um Hilfe, schliesslich bricht es aus mir heraus, ich bruelle und versuche einzelne zu packen, um mir Luft zu verschaffen. Viele rennen davon, ein paar aber nur wenige Meter. Ich springe aufs Rad, trete in die Pedale wie ein Verrueckter, sie rennen mir hinterher, ein Geheul anstimmend, bruellende Jungs von 10-15 Jahren, ein ganzer Pulk...Ich stoppe und ziehe aus meinem Rucksack das Messer, das ich im Sudan in Meroe gekauft habe. Mit dem Messer am Lenker fahre ich weiter, in der anderen Hand drei Steine, beides zeige ich deutlich und es wirkt, denn die Jungs halten jetzt Abstand. Ich erreiche den Ortsausgang, halte an, drei Maenner stehen da, einer spricht gutes Englisch und erst als der mich erstaunt von oben bis unten beguckt, bemerke ich selbst, dass ich wie Espenlaub am ganzen Koerper zittere. Als ich zu sprechen versuche, versagt mir die Stimme, Anstrengung, Angst und Wut fordern ihren Tribut. Ich mag die Erklaerungen der Maenner nicht mehr hoeren, die was von “nur kleine Jungs” und “probieren nur ihr Englisch aus” erzaehlen und “just poor people”. Zum Teufel mit dieser Begruendung, die Leute seien so arm. Es sind nicht die ersten Armen die ich sehe. Ein junger Mann kommt mit seinem Rad des Weges und ich bin froh, als er sich anbietet, mich bis zur naechsten Ortschaft zu begleiten. Wir fahren die letzten 10 km bis Dejen, wo er mich zum Tizale-Dejen-Hotel bringt. Wir trinken etwas im Hof und dann beziehe ich ein billiges und schaebiges Zimmer voller Muecken, so dass ich das Moskitonetz ueber Bett und am Kopfende uebers Fahrrad spannen muss- so habe ich mehr Kopffreiheit. Ich dusche in einem halbdunklen Raum, in dem ich mich mit eiskaltem Wasser uebergiesse. Und wieder finde ich kaum Schlaf. Hinter Dejen liegt die Abay-Schlucht, in deren 1000 Meter tiefen Graben der Abay-Fluss fliesst, besser bekannt als Blauer Nil. Seit hunderttausenden von Jahren hat der Fluss sich durch das Gebirge gewuehlt und dabei einen tiefen Canyon gegraben, an dessen Abgrund Dejen liegt. Diese Schlucht muss ich morgen durchqueren, dahinter soll die Strasse bis Addis geteert sein. geschrieben am 25.1. in Addis
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