1/11/2004 Aethiopien / Goha Tsiyon
In der Abay-Schlucht
Ueberquerung des Blauen Nils
(Harald) Um 7.30 Uhr breche ich auf. Es ist morgens kuehl, aber trotz ein paar Wolkenfetzen sonnig. Direkt hinter dem Ort geht es steil bergab, eine geroellige Strasse windet sich von hier aus 1000 Meter tief hinunter. Nach einer Stunde Abfahrt mache ich Pause und esse eine koestliche Papaya vor einem winzigen Verkaufshaeuschen im Niemandsland. Neben der Strasse fliesst, ich haette es alleine garnicht bemerkt, ein winziges Rinnsal klaren Wassers, in dem ich das Messer und meine Haende waschen kann. Die Strecke muss einstmals geteert gewesen sein, denn abschnittweise sind noch loechrige Reste des Belages vorhanden. Es dauert zwei Stunden, bis ich die Talsohle und den Blauen Nil erreiche, den eine grosse Bruecke ueberquert. Hier stehen zwei gelangweilte Polizisten und einer fragt mich, wen wunderts, “where are you go?” Und ich frage den Mann, wieso er eine solch dumme Frage stellt, denn wohin soll ich hier schon fahren? Und er antwortet, er wuerde nur mit mir spielen, sprich, mich auf den Arm nehmen. Die Schlucht markiert die Grenze zwischen den Landesteilen Goyam und Shoa, in dem, als eigene Provinz Addis Abeba, auch die Hauptstadt selbst liegt. Der Fluss ist hier zwar ca. 20 Meter breit, aber flach und langsam fliessend. Seine Ufer saeumen Kiesguertel, beidseits tuermt sich der Canyon ca. 200 Meter hoch, danach werden die Schluchtwaende weiter, die Neigung flacher. Hier wachsen fast ausschliesslich Buesche, nur wenige Baeume finden an den erodierten Haengen Halt. Ich koennte zwar radeln, aber es ist mir schlichtweg zu anstrengend. So schiebe ich und selbst das ist nicht ohne. Neben der Strasse oeffne ich eine Buechse Sardinen, die ich fuer viel Geld in Debre Markos kaufen konnte. Ausserhalb der groesseren Orte sind selbst Konserven nicht zu erhalten. Zwei Madchen betteln mich um Wasser an und mir platzt wieder mal der Kragen. Wo, bitte schoen, habe ich denn Wasser? Ich brauche selber welches und haette ich Wasser, so wuerde ich es doch sicher selber brauchen, dass ist doch offensichtlich: ich muehe mich ab, schwitze. Was denken die sich eigentlich? Ich halte einen Wagen an, der Fahrer gibt mir zwei Schlucke Wasser, ein zweiter Wagen haelt und dessen Fahrer schenkt mir eine ganze Flasche, allerdings in beiden Faellen Leitungswasser. Nach etwa 15 km Anstieg mache ich eine laengere Pause und esse im einzigen Dorf in der Schlucht zu Mittag: Ruehrei mit Brot (was sonst?), Kekse, trinke Ploerre. Zwei Katzen umkreisen meine Beine und der Kater und ich sind gleich die besten Kumpel und er legt sich schnurrend, angeschmiegt, neben mich auf die Bank. Ich mag garnicht weiter bergauf steigen, die Strasse ist schrecklich, auf einem Daumen hat sich vom Schieben eine Blase gebildet. Warum quaele ich mich so? Ich koennte doch einfach meine Habe auf einen der Pick-Ups laden, deren Fahrer mich wiederholt mitnehmen wollen und in 15 Minuten waere ich oben, der Spuk vorbei. Wen wuerde das interessieren? Aber ich habe mir etwas vorgenommen und will das durchziehen. Also raffe ich mich auf, schiebe das Rad zu einem kleinen Kiosk auf dem kleinen Dorfplatz und kaufe Wasser und Kekse, dann gehts weiter bergan. Mehrere Knaben umrunden mich, gehen neben, hinter mir. Sie sind nicht boes und ich will jetzt kein Misstrauen zeigen, auch wenn ich mich unwohl fuehle, wenn sie hinter meinem Ruecken laufen. Ich kann doch nicht immer das Schlimmste vermuten, ich muss Vertrauen haben, positiv denken. Dann reagiert die Gegenseite vielleicht auch weniger aggressiv- mein hinteres Schutzblech kracht, ich drehe mich um, ein Junge laeuft weg, mein Schutzblech hat er von hinten in drei Teile zertreten, da ist nichts mehr zu reparieren. Ich bin zu muede, ihm nachzulaufen und wahrscheinlich bekaeme ich eh kein Geld fuer den Schaden. Soweit zum positiven Denken. Jetzt bestehe ich auf Abstand wie zuvor. Ein junger Mann muss ebenfalls zu Fuss ueber den Kamm und in den naechsten Ort. In seiner Begleitung gibt es keine Probleme, da er auf Amharisch die Knaben besser zurechtweisen kann. Das Schutzblech muesste ich abschrauben, aber das Werkzeug hat Renata. Ich biege und klemme die Teile so zurecht, dass sie nicht mehr am Reifenmantel reiben. Es geht noch etwa 5 km weiter bergauf, ich bin nahezu am Ende der Kraefte. Uns gesellt sich ein weiterer junger Mann hinzu, der partout darauf besteht, mir das Schieben abzunehmen und erstmals lasse ich jemanden gewaehren, mir zu helfen. Anfaenglich gelingt es ihm garnicht das Rad zu schieben, es kippt ihm staendig weg, er rutscht mit den glatten Sohlen auf dem Geroell und Staub weg. Hier oben wachsen wieder baumgrosse Kakteen, z.T. bluehen sie und viele Voegel zwitschern in den Bueschen und auf den Felsen. Etwa 2 km schiebt der Mann fuer mich, auf dem letzten Anstieg uebernehme ich wieder den Lenker und endlich, endlich, sind wir oben, auf einer Teerstrasse und alsbald auch im Ort Goha Tsiyon. Hier beziehe ich Quartier in einem kleinen Hotel und spendiere dem Helfer ein Abendessen. Dann wasche ich ein paar Kleidungsstuecke, dusche kalt und schaue mir auf dem winzigen Bildschirm der Digitalkamera die Bilder des Tages an. Heute habe ich nur 42 km geschafft: 21 hinunter, 21 hinauf, der laengste durchgehende Anstieg der bisherigen Reise. geschrieben am 26.1. in Addis Abeba
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