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Reisetagebuch

1/12/2004   Aethiopien / Fitsche

Keine Fisimatenten

Im zentralen Hochland

(Harald) Sonntag, 6.30 Uhr:

Am meisten erstaunt mich, dass ich nach der gestrigen Tortur keinen Muskelkater habe. Mein kahles Zimmer ist 2,5 x 2,5 m gross, blaue Waende, weisse Decke, Steinboden, 1 kleines Fenster, die Tuere aus blau-lackiertem Metall, ein Bett, ein Holznachttisch. Am Fussende steht mein Rad, neben dem Bett stehen die Gepaecktaschen, ein eher trostloses Zuhause.

In der Nacht bin ich von Muecken verschont worden, aber mindestens ein Floh reist immer noch mit und sticht sich munter ueber meine Arme, Beine durch seinen Acker.

Ich putze wieder die Kette und Schaltung und Ritzel, oele mit dem Motorenoel, waehrend grosse, schwarz-weisse Raben im Hof aus den Spuelschuesseln trinken. Ein alter Mann, der einen eng gewickelten, weissen Turban traegt, verspritzt Wasser in jedem Raum des Hotels, murmelnd geht er von Zimmer zu Zimmer, offensichtlich betend.

Ich breche um 8.50 Uhr nach einem aethiopischen Fruehstueck auf, dass aus Tibs und Indschera besteht- kleinen, z.T. knorpeligen Fleischstueckchen von Ziege, Schaf oder Rind in einer leicht mit Curry gewuerzten Sosse und zuviel Oel, sowie dem schaumigen, weichen, sauren Fladenteig. Nicht sehr schmackhaft, aber man gewoehnt sich an alles, auch an ein Mittagsessen zum Fruehstueck. Kaffee oder Tee ist nicht zu bekommen. Im Hintergrund laeuft aethiopisches Fernsehen, eine der vielen Sendungen, die Volksmusiker zeigen, von zuckenden, mit den Schultern ruckenden Taenzern flankiert, im Hintergrund ziehen Kuehe vorbei.

Der Ort Goha Tsyion liegt auf einer kleinen Bergspitze und mir ist unklar, warum die Strassenbauer die Schluchtdurchquerung ausgerechnet von einer Bergkuppe zur naechsten gefuehrt haben, statt die hoechsten Erhebungen zu umgehen. Die umliegenden Tafelberge sind an den Haengen nahezu kahl und Wildtiere habe ich keine gesehen. Einmal flitzt eine graue Agame in Deckung und erstaunt hat mich das Vorkommen von Agaven- die ersten, die ich in Aethiopien gesehen habe.

Der junge Mann, der mich gestern begleitet hat, hat mich gestern schon angebettelt und heute morgen taucht auch sein Freund wieder auf, offensichtlich mit der Absicht, noch irgendetwas von mir erben zu koennen. Aber das Nein-Sagen habe ich spaetestens in Aegypten gelernt.

Ich habe acht Stunden geschlafen und bin ausgeruht und tatendurstig schwinge ich mich aufs Rad. Es ist nicht mehr weit bis Addis, dass ich wohl uebermorgen erreichen werde.

Nach 15 km erreiche ich den naechsten Ort, wo ich in einem Hotel Cola und Tee trinke. Kinder verfolgen mich bis zur Terrasse des Etablessements: “Give money, shirt, water...!” Nach weiteren 15 km erreiche ich um 12 Uhr die kleine Stadt Gebre Guracha. Noch 165 km bis Addis.

Es ist kuehl, windig, Wolkenfetzen schuetzen immer wieder vor der starken Sonne. Vor den immer wieder fliegenden Steinen gibt es keinen Schutz. Diese Xenophobie geht mir auf den Wecker, ausser zum Anbetteln scheint man einen Fremden fuer nichts gut zu finden. Bergab fluechte ich, so schnell es die Umstaende erlauben. Immer wieder versuchen die Jugendlichen etwa von meinem Gepaeck zu loesen, es sind ueberfallartige Situationen. Die Steine, wie immer feige von hinten und aus Fluchtdistanz geschleudert, treffen mich selten. Wenn ich absteige und Steine aufhebe, fluechten die Quaelgeister weit in die Felder hinein. Warum uns das nicht im Sudan passiert ist, der ja zu den “Schurkenstaaten” gehoert und wo die Leute eher Grund zur Ablehnung alles Westlichen neigen muessten, sondern im Amerika verherrlichenden Aethiopien, bleibt unklar.

Die Strecke geht weiterhin steil auf und ab. Es scheint mir, als ob es immer kuehler wuerde, der Wind kommt von Nordwest, ich bewege mich auf etwa 2500 m ueber NN im zentralen Hochland.

Die Naehe zur Hauptstadt wird spuerbar, alles sieht etwas weniger laendlich aus, es gibt eine Mittelstreifenfahrbahnmarkierung und Mittelklasseautos ohne Vierradantrieb, einige Maenner tragen Lederjacken und Goldbrillen, Frauen hochhackige Schuhe und viel Make-Up.

Die Felder sind weitgehend abgeerntet, meist handelt es sich um das Getreide Teff, von mir liebevoll “Trill” genannt (nach dem Vogelfutter). Die Gehoefte bestehen oft aus mehreren Tukulls, das Compound ist mit Kakteen, bluehenden, rot-gruen-blaettrigen Agaven umzaeunt, Eukalypstushaine wurden von den Bauern angelegt, um staendig Bauholz zur Verfuegung zu haben. Und vermehrt sehe ich Steinhaeuser mit Wellblechdaechern.

Die kurzhosigen Hirten mit ihren langen, quer auf die Schultern gelegten Tullas, auf die sie beidseits ihre Arme legen und die kleinen Frauen in schweren, groben Gewaendern, die Maisstroh und Brennholz schleppen, die vielen kleinen Herden von Ziegen, Schafen und Rindern wirken auf dieser perfekten Teerstrasse, in dieser so europaeisch wirkenden Landschaft fuer meine Augen fremd, wie Anachronismen.

In den Doerfern stehen die kleinen Rundkirchen mit Wellblechdaechern und am Wegesrand kleine Kapellen mit Metallsammelkisten.

Mir faellt auf, dass die Maenner vermehrt Huete tragen, z.T. sehr bunt, Baseballkappen, auch die komischen, grellbunten Fransenkappen in Gelb, Lila, Rot. Und oft haben sie Gewehre oder Maschinenpistolen bei sich. Ich sehe viele Kriegsversehrte, deren Lebensalter auf Folgen des Buergerkrieges schliessen laesst.

In Fitsche beziehe ich nach 90 km Quartier in einem kleinen Hotel. Ich lasse einige Waeschestuecke waschen, um endlich flohfrei zu reisen, dusche eiskalt, trinke Macchiato und Schai in der Hotelbar und unterhalte mich mit einem stellv. Schuldirektor, Herrn Getachew Kormu, waehrend Katzen um unsere Stuehle schleichen, die auf Fleischreste warten, die von den Maennern einfach auf den Boden geworfen werden.

Viel zu laute Musik beschallt die Gaeste- ein Phaenomen, dass wir seit der Tuerkei beobachten. Man scheint unfaehig eine angenehme Lautstaerke herzustellen und die Musik erst geniessen zu koennen, wenn der Lautsprecher sich ueberschlaegt. Die Stuecke sind extrem lang, es wird amharisch, aber auch trigrinisch gesungen, die Sprache der Provinz Tigray. Einige eingaengige Melodien mag ich richtig.

Viele Frauen taetowieren sich ihr Zahnfleisch blau, sowie ihre Lippen und punktfoermig auch das Kinn oder den Hals und ich sehe viele Metallkreuze, fantasievoll geschmiedet, meist aus Silber.

Auch dieses Hotel ist extrem laut, auch hier stoeckeln die Prostituierten vor den Zimmern herum, auch hier gibt es wieder Betrunkene und die ueblichen Versuche, mich um ein paar Birr zu erleichtern. Ich bin da mittlerweile wenig geduldig, da mache ich keine langen Fisimatenten mehr.

geschrieben am 27.1. in Addis


 

 

 

 

 

 


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