1/15/2004 Aethiopien / Addis Abeba
Oh, think twice, its just another day for you and me in paradies.
Ein pamphletartiger Eintrag.
(Harald und Renata) Wir fruehstuecken im Hotel in angenehm gepflegter Atmospaehre. Dann gilt unsere erste Sorge dem geldlichen Nachschub. Nur hier in der Hauptstadt kann man mit einer Kreditkarte Geld erhalten, nirgend sonst in Aethiopien. Und die Stellen, wo dies moeglich ist, sind rar gesaet. Wir jedenfalls wissen nur von einem Platz, an dem es Kartengeld gibt: im teuersten Hotel Aethiopiens, dem Sheraton. Dorthin machen wir uns mit dem Minibus auf, den man hier Taxi nennt. Das kostet pro Kopf gerade mal einen Birr, etwa 9 Cent EU. Mitten in der Stadt, die hauptsaechlich aus verrosteten Wellblechhuetten besteht, liegt das Paradies des Luxushotels, wie eine gebaute Karikatur wirkt das. Das Gelaende des Hotels ist komplett ummauert und umzaeunt, mit einer Schranke und Wachtposten abgeriegelt vom umgebenden Elend, dass buchstaeblich nur einen Steinwurf entfernt liegt. Drinnen die Welt der Reichen. Eine Uebernachtung kostet um die 200 EU, fuer manchen vor der Schranke ein Jahresverdienst. Im Foyer steht ein Glaskasten mit einem Sparschlitz oben- es wird fuer UNICEF gesammelt. Der Kasten ist fast leer, grob ueberschlagen sind weniger als 500 Birr drin, etwa 45 EU. Wir streifen durch die Laeden im Hotel, an den Restaurants vorbei. Wie guenstig! Nur ein Monatsgehalt fuer ein Abendessen! Draussen isst man derweil fuer etwa 4 Cent EU Indschera, dass macht auch satt. Wir leisten uns ein trockenes Brot aus dem hausinternen Baeckerladen, warm, lecker. Draussen eine verschachtelte Swimmingpoolanlage, ein Schild davor verbietet den Gaesten ins Wasser zu spucken oder zu rotzen und gibt eine Dusche vor dem Inswasserlassen vor. So einen Hinweis habe ich in einem Spitzenhotel auch noch nicht gesehen, scheint aber noetig zu sein. Der Rasen ist so schoen gruen, die Blumen bluehen einem das Grau da draussen vor den Augen weg und der Macchiato kostet ueber 22 Birr. Selbst hier in Addis verdienen die Bedienungen in einem guten Hotel weniger als 200 Birr im Monat. Wir bringen es einfach nicht fertig, hier etwas zu verzehren. Um uns Menschen in Versace und Boss, voller Gold und Platin, die locker, leicht, mancher gelangweilt, den Tag am Pool versonnen. Draussen kriechen die “Polios”, wie ich die Haeufchen Mensch nenne, die von dieser Geissel heimgesucht wurden, auf den dreckigen Strassen herum. Ihre handgelenkduerren, nutzlosen Beine haben sie sich kunstvoll unter die Achseln geklemmt. Knie, Ellbogen, Handballen, Hintern haben sie sich, je nach individueller Schaedigung, zum Schutz gegen das Schaben des Asphalts, wenn sie ueber den Boden kriechen, mit dickem, schwarzen Kunststoff umwickelt. Vor dem Hotel stehen die hoteleigenen Stretchlimousinen, taeglich gewaschen von den Chauffeuren. Die Vips, die very important persons, werden damit vom Flughafen abgeholt und ueber die besten Strassen bis in das elendgeschuetzte Gelaende kutschiert. Und fuer diese respektablen Mitmenschen stehen im Freigelaende mehrere Bungalows zur Verfuegung, die Nacht fuer den Spottpreis von 4200 Dollar. Ich koennte heulen oder wechselweise Hand anlegen, wenn ich daran denke, was diese Ignoranten an einem Tag ausgeben und was man fuer dieses Geld nuetzliches, lebensrettendes leisten koennte. Eine Augenoperation z.B. fuer etwa 5 EU, d.h. Augenlicht fuer 840 Menschen. (Wir sprechen hier vom Grauen Star, dem sog. Katarakt. Diese Augenkrankheit ist die haeufigste in Afrika und operabel. Der Arzt gibt ein Narkotikum als Tropfen ins Auge, eine Narkose folgt. Mit einem Skalpell entfernt der Chirurg die kirschkerngrosse Linse und ersetzt sie durch eine Kunststofflinse. Mit einer Rundnadel wird die Linse vernaeht. Nach zwei Tagen Heilung kann der Patient bereits nach Hause gehen. Mancher Arzt hat tausende solcher Operationen durchgefuehrt, die unkompliziert und schnell vonstatten gehen. Die zweithaeufigste Augenkrankheit ist das Trachom, auch aegyptische Krankheit genannt. Durch unzureichende Reinigung der Augen setzen sich Clamydien, eine Bakterienform, fest und fuehren zu Entzuendungen. Die Augenlider vernarben, die Wimpern drehen sich nach innen und zerkrazten die Hornhaut bis zur Erblindung). Mir wird ewig raetselhaft bleiben, wie man das ueberhaupt schafft, moralisch, in einem Land wie Aethiopien soviel Geld zu verpulvern. Ich wuensche den Damen und Herren eine gute Nacht und einen sorgenlosen Schlaf. Waere es nicht fuer einen solchen Gast eine lebenslang erinnerbare Tat, wenn er eine einzige Nacht in einem 2-Dollar-Bett schliefe und dafuer 4798 Dollar z.B. an Menschen fuer Menschen spendete? Kann so einer das genauso leicht, wie er das Geld fuer ein Hotel ausgibt? Nachdem wir teils lachend, teils kopfschuettelnd am Swimmingpool noch vor einer Liegewiese stehen geblieben sind, die die Aussicht auf die direkt dahinter liegenden Armenviertel mit einer Malerei von gruenen Wiesen verblendet, verabschieden wir uns von der Insel der Seligen. Ralph und ich sitzen anschliessend bei einem der Friseure, die fuer kleines Geld unsere Koepfe in Stoppelfelder verwandeln. Ich kann den Mann, der mich in Null-komma-nichts mit einem Scherer fast zum Glatzkopf macht, gerade noch rechtzeitig bremsen. Schliesslich muss der Chef dann doch selbst nochmal nachschneiden, sonst waere ich als Modell fuer den Wettbewerb “wie mans nicht macht” gut gewesen. Dann kaufen wir Kleidung, denn meine Hemden, fuer zwei Euro in Kairo erstanden, sind bereits geflickt und dem Klima nicht angemessen. Auch Renata leistet sich eine Jeans und am Abend ist Nahrungsaufnahme angesagt, immer noch mit unstillbarem Heisshunger. geschrieben am 29.1. in Addis Abeba
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