2/5/2004 Aethiopien / Alem Ketema
Die Treppe von Zoma
Besuch im Projektgebiet von MfM in Merhabete
(Harald) Ich werde um 4 Uhr geweckt und um 4.30 Uhr steht puenktlich das georderte Taxi vor dem Hotel, dass mich zum Mercato, dem Marktviertel bringt. Es ist dunkel und kalt und hunderte Menschen wollen zu den dutzenden Bussen, die auf dem ummauerten Gelaende des staatlichen Busunternehmens stehen. Am einzigen Tor herrscht Gedraenge, weil jeder als erster in den Bussen sein will, um einen Sitzplatz zu ergattern. Drei, vier Maenner mit dicken Stoecken dirigieren die Leute wie Vieh. Da wird mit dem Stock gestossen, versperrt und mancher roh am Kragen gepackt und wie ein Missetaeter weggeschubst. Dieser Umgang mit Kunden ist unsereins unverstaendlich, allein das Zusehen bringt mich auf. Aber das dies mit einem Ferendschi nicht geht, weiss man wohl. Ein Oberaufseher weiss von meinem Kommen, laesst mich aber vor dem Tor warten , waehrend dutzende Menschen an mir vorbeilaufen. Dann laesst er mich ein und verlangt im Bus 10 Birr von mir- mehr als er am Tag verdient. Ich gebe ihm 2 Birr, obwohl auch das nicht angebracht ist, denn er hat mich absichtlich warten lassen, damit die besten Plaetze im Bus bereits besetzt sind und er mir dann umstaendlich einen frei machen muss, damit er fuer seine “Hilfe” etwas verlangen kann. Dann beschwert er sich lautstark bei den anderen Fahrgaesten ueber den, seines Erachtens zu niedrigen, Betrag- am liebsten haette ich ihm das Geld wieder abgenommen. Der Bus fuellt sich wie eine Sardinenbuechse, kaum das man weiss, wohin man seine Fuesse plazieren kann. Im Gang stehen dichtgedraengt Fahrgaeste wie in einem Linienbus in der Stadt (und stehen da sechs Stunden lang) und selbst hinter die Lehne des Fahrers hat sich noch eine Frau gequetscht. Nach einer Stunde Wartezeit geht es endlich los. Ein viel zu junger Fahrer faehrt durch die kaum beleuchteten Strassen Addis, stadtauswaerts, bergauf. Es ist die Strasse, die wir gekommen sind, aber nach 80 Kilometern biegt der Bus rechts auf eine unbefestigte Strasse ab. Es ist eine der Albtraumstrecken, bei der man sich wundert, wie die Reifen das aushalten. Es gibt nur drei kleine Fenster im ganzen Bus und ein Mief nach Schweiss und ungewaschenen Koerpern, Gemuese und Undefinierbarem macht sich breit. Und der Bus rumpelt nun stundenlang vor sich hin, bis wir schliesslich einen Grand Canyon erreichen, aehnlich tief, aber viel breiter als die Nilschlucht. 1000 Meter geht es abwaerts, die Reifen bedrohlich nahe am Abgrund, aber die grandiose Landschaft lenkt ab. Hier stehen kleine Kirchen und Maenner halten umgedrehte Regenschirmen neben der Piste auf, um die aus dem Fenster des Busses geworfenen Muenzenspenden aufzufangen: schnell noch dem lieben Gott etwas Geld zukommen lassen, vielleicht nuetzt es ja etwas! Man hat mir gesagt, dass schon mancher Bus hier abgestuerzt ist, eine einzige falsche Lenkbewegung, ein geplatzter Reifen, ein entgegenkommender Wagen auf der falschen Seite und es ist zu spaet. Stellenweise schickt der Busfahrer zwei Fahrgaeste voraus, die die groebsten Felsbrocken von der Fahrbahn raeumen muessen. Kinder strecken ueberall den Fahrgaesten bettelnd die Haende entgegen und ich sehe einen Vater, der seinem Sohn auf die Finger haut, weil der einen Stein auf den Bus werfen wollte. Die Landschaft ist erschreckend kahl und erodiert, teilweise bis auf das schwarze Lavagestein. Um 12 Uhr kommt die ganze Busgesellschaft aber wohlbehalten in Alem Ketema, der Provinzstadt von Merhabete, an. Sofort turnen ein dutzend Kinder um mich herum, die ein Polizist mit seinem Holzstock vertreibt, ein paar Nackenschlaege setzt es und die Kinder halten Abstand. Ein Mitarbeiter von MfM bringt mich mit einem Auto zum nahegelegenen Verwaltungsgelaende, wo mich der Projektleiter und sein Manager begruessen. Eine Wandkarte voller hunderter bunter Nadeln zeigt die Lage der Taetigkeitsorte im Bezirk: Brunnen, Schulen, Kindergaerten, Kliniken und Krankenhaeuser, landwirtschaftliche Projekte und Weiterbildungstaetten fuer Frauen und Landwirte. Dann faehrt man mich zum Gaestehaus, in dem mich eine Koechin begruesst. Das kleine Haus habe ich ganz allein fuer mich und nach einer Dusche serviert die Frau namens Setain mir eine koestliche und ueppige Mahlzeit. Im ausliegenden Gaestebuch finde ich u.a. den Namen einer Frau Shopolik von der Ortsgruppe Krefeld, die vor vier Jahren hier war. Dann werde ich abgeholt. Ein freundlicher, beflissener Mitarbeiter und ein Fahrer zeigen mir, was MfM hier geleistet hat. In Distrikt Merhabete, ist MfM alleinig taetig, keine andere Organisation teilt sich die Arbeit mit ihnen. Das Projekt wurde vor 12 Jahren gestartet und war so erfolgreich, dass die Nachbarregionen Midda und Derra alsbald angeschlossen wurden. Insgesamt eine Flaeche in der groesse Hessens. Ich sehe mir einen der fast 200 Pumpenbrunnen an, die MfM angelegt haben: aus rostfreiem Zink, einfach, robust, Handbedienung. Nebenan ein Aufzuchtfeld fuer Gemuese und Pfeffer. Eine Frau bedient unter freiem Himmel eine Holzaparatur, mit der Plastiktueten geschnitten und gefalzt werden, die dann ein paar Meter weiter als Pflanzsaeckchen fuer Samen eigesetzt werden. Die hier arbeitenden Frauen werden von MfM bezahlt. Einen Kindergarten erreichen wir ueber eine Piste, die MfM angelegt hat, wie etwa 1400 km anderer Wege in Aethiopien(!). Mehrere tukullartige Steinhaeuser beherrbergen jeweils etwa 30 Kinder, die jedoch fast ausschliesslich draussen spielen. Die Einrichtung besteht aus Schaumstoffmatratzen, die auf dem Boden liegen und sehr wenig Speilzeug. Etwa 200 Kinder verbringen hier den Tag, waehrend die Eltern auf den Feldern arbeiten. So etwa wie einen Kindergarten gab es vordem in ganz Aethiopien nicht. Das geerntete Korn wird in einem kleinen Schuppen aus Holz und Wellblech gemahlen. Ein alter, daenischer Dieselmotor treibt eine kleine Muehle an, die ganze Konstruktion ist einfach und guenstig. Am Rande der Schlucht mit fantastischen Ausblicken geht es zu einem Komplex aus drei Haeusern, in denen Frauen Wasserkruege toepfern, die dann fuer 3 Birr an die Bevoelkerung weiterverkauft werden, sowie zahlreiche andere Gebrauchsgegenstaende des taeglichen Bedarfs. Nebenan wird gewebt und geflochten. Der Hoehepunkt ist fuer mich der kurze Spaziergang auf eine Treppe. Sie verbindet das Tal mit einem fast isoliert stehenden Tafelberg, auf dessen Spitze ein Dorf steht. Dutzende Menschen waren beim gefaehrlich-steilen Aufstieg im Laufe der Jahre abgestuerzt, alte Leute konnten das Plateau fuer den Rest ihres Lebens garnicht mehr verlassen. Dann spendete MfM das Material fuer den Bau einer herrlichen Treppe, die die Dorfbewohner unter technischer Anleitung selber anlegten. Jetzt kommen mir hier beladene Esel entgegen und zwei alte Maenner, die mir die Hand schuetteln und sich bedanken. Ich sage ihnen, dass ich nicht Ato Karl sei. “Das wissen wir, wir kennen ihn sehr gut. Aber ihr Frendschis habt das Geld gegeben und uns geholfen. Dafuer danken wir.” Der Dolmetscher sagt mir, diese “Treppe von Zoma” sei auch Boehms Lieblingsobjekt und er gehe stets, wenn er in Merhabete sei, bis nach oben. Dafuer habe ich leider keine Zeit. Ich sehe mir das neue Krankenhaus an, in dessen Zufahrt eine Bueste des Bauherrn steht. Die Figur sieht sehr realistisch aus. Herr Boehm schaut da etwas angestrengt, etwas traurig aus. Ich spreche mit den Aerzten und dem Direktor, Herrn Tibehu, der mir die Probleme schildert: Der Staat sollte eigentlich die laufenden Kosten abgedecken, aber jetzt gehen die Medikamente aus und Nachschub ist nicht in Sicht. Auch die Treibstoffkosten des Generators sind nicht gedeckt. Zwischen 12 Uhr nachts und 6 Uhr morgens schaltet Addis die Stromversorgung ab. Dann muss der Generator laufen und das ist teuer. Und der Direktor sagt, dass das Personal natuerlich lieber in Addis arbeiten wuerde, als in, wo es keine guten Restaurants, Kinos o.ae. gaebe. Von solchen Schwierigkeiten liest man in den Prospekten nichts. Ich gehe durch die Zimmer, spreche mit Patienten. Die Raeume sind sauber, grosse Fensterflaechen geben Licht und Frischluft. Die 17-jaehrige Imebijett hat Krebs und auch MfM kann eine Chemobehandlung fuer sie nicht bezahlen. So wartet sie hier still auf ihren Tod. Nebenan liegt eine junge Frau, die Aids im Endstadium hat und nur noch Haut und Knochen ist. Ich bringe sie zum Lachen, aber eigentlich fuehle ich mich genauso traurig und hilflos, wie mein Dolmetscher, der offensichtlich am Liebsten wieder gehen wuerde. Eine 25-jaehrige hat ihren Saeugling an der schlaffen Brust. Das Kind ist unterernaehrt, weil die Mutter es nur gesaeugt hat und sein Hungergesichtchen blickt mich stumm an. Ich frage die Frau, ob das ihr erstes Kind sei. Nein, das zweite und das erste war auch schon fehlernaehrt. Was soll man da sagen? Die Sonne geht unter und weil sie dabei unter eine dichte Wolkendecke scheint, ergibt sich eine einmalige Stimmung. Das rote Licht wird von den Wolken reflektiert und taucht alles in Orange, wie durch einen Farbfilter getrachtet. Einfach irre! In einer natuerlichen Senke hat MfM den Zusammenfluss von kleinen Baechen mit einem etwa 20 Meter langen Damm aufgestaut, samt Ueberlauf und einer Hahnbedienung. So haben die Bauern auch in Trockenzeiten Trinkwasser fuer die Tiere. Letzte Station des Tages ist eine winzige Klinik zur Erstversorgung. Als wir dort eintreffen, stehen etwa 20 Menschen vor der verschlossenen Tuere, kein Arzt und keine Schwetser sind um diese Zeit hier. Und kaum habe ich einen langen hals gemacht, um den Mittelpunkt des Auflaufes zu inspizieren, erklingt ein Saeuglingsquaeken- just in dieser Minute ist ein Kind geboren worden! Die Frau hat vor allen Augen entbunden, aber jetzt trifft der Arzt ein, nabelt ab und dann sehe ich zum ersten Mal im Leben ein Frischgeborenes, noch ganz puterrot und klebrig. Die Angehoerigen tragen die Mutter auf einer Holzbank ueber Kopf nach Hause, eine Geburt ist hier Minutensache, da wird kein langes Gewese gemacht. Im Gaestehaus hat Setain fuer mich wieder ueppig gekocht, ich esse bis es weh tut. Was fuer ein Tag! Ich schlafe in einem schoenen Bett tief und fest. geschrieben am 10.2. in Addis Abeba
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