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Reisetagebuch

2/6/2004   Aethiopien / Alem Ketema

Was Menschen fuer Menschen geschaffen haben

Bericht ueber das Projektgebiet Merhabete

(Harald) Es war herrlich ruhig in der Nacht, ein Genuss diese Stille. Und eine heisse Dusche und ein koestliches Fruehstueck, vor dem Fenster die Traumkulisse des Hochlandes.

Fuer die Koechin haengt auf dem Kuehlschrank eine haarklein ausgearbeitete Arbeitsanweisung, wie sie fuer Ferendschis zu kochen hat: Wasser minutenlang kochen lassen, Lebensmittel in den Kuehlschrank, Haende mit Seife waschen, saubere Handtuecher verwenden etc.

Um acht Uhr holen mich der Dolmetscher und der Fahrer wieder ab. Als erstes steht ein Brunnen auf dem Programm, der um diese Tageszeit von Frauen und Maedchen umringt ist, die das Pumpenwasser in runde Tonkruege und Plastikkanister abfuellen. Im Unterschied zu frueher ist das Grundwasser aber weitaus sauberer und die Frauen muessen nicht mehr stundenlang laufen, um es zu holen. Es ist schoen, zu sehen, dass alles so unmittelbar gebraucht wird und seinen Zweck erfuellt.

Dann geht es ueber Stock und Stein eine fast unbefahrbare Piste entlang, weit aus Alem Ketema hinaus und hinunter in ein Flussbett, das um diese Jahreszeit fast trocken liegt und durch das sich der wackere Toyota-4x4 ackert. Nur ein ueberspringbares Rinnsal sickert jetzt noch durch die grauen Wackersteine. In der Regenzeit verwandelt sich dieses Flussbett aber in einen schlammigen, tosenden Moloch, der alles mitreisst, auch die fruchtbaren Ufer und Pflanzungen der Bauern. Die Furten sind dann nicht mehr passierbar und nur zwei Bruecken verbinden dann den Distrikt mit der Aussenwelt.

Um die Erosion der Flussufer aufzuhalten, hat MfM hier gewaltige Barrieren schraeg in das Flussbett hinein gebaut. Mit nichtrostendem Drahtgeflecht wurden grosse, rechteckige Pakete aus Flussgestein produziert und als meterbreite und –hohe Mauern in Fliessrichtung aufgebaut. Das bremst die Geschwindigkeit des Wassers durch Verwirbelung.

Solche Daemme habe ich ueberall gesehen. Manche nur einen Meter breit, sollen sie das durch die Abholzung und Verkarstung nicht versickernde und daher zu schnell fliessende Regenwasser bremsen. Zusatzlich sind Baumpflanzungen noetig, um das Erdreich zu festigen und den Boden vor starken Regen zu schuetzen. Hierzu und um den Holzbedarf zu decken, hat MfM in Aethiopien fast 60 Millionen Pflanzungen durchgefuehrt und die Haenge der Berge mit 22600 km Steinterrassen gesichert.

Hier am Flussufer ist es ueppig gruen und die Bauern sind entspannt und sorgfaeltig bei der Arbeit: Pflanzen, Waessern, Ernten. Der Dolmetscher bestellt Mangos, die wir, mangels Messer, mit den Zaehnen schaelen, nachdem wir sie im Flusswasser gewaschen haben. Uberall liegen im Wasser Kuhfladen, da darf man nicht zimperlich sein. Die Mangos schmecken aromatisch und in dieser Umgebung nochmal so gut.

Dann sehen wir uns eine Quelle an, die hier, am Fusse der Huegel, austreten. MfM hat das Wasser in Betonbefestigungen und einem Rohrsystem einfach aufgefangen und somit kann jeder trockenen Fusses das Wasser erreichen und Behaelter unter den Ausfluss stellen.

Hier fliegen Schmetterlinge, Voegel zwitschern und ich frage die Bauern, ob es hier grosse Tiere gaebe. Nein, heisst es, nur einen Tiger. Da es Tiger in Afrika aber nicht gibt, frage ich nach: getuepfelt? Groesser als ein Hund? Ja. Ein Leopard also. Mangels grosser Baeume, auf denen sie schlaeft ihre Beute sichert und Wald, in dem sie sich verbergen koennte und die ihre Beute beherrbergt, hat sich die Grosskatze auf das Schlagen von Ziegen und Schafen verlegt. Nachts, wenn die Hirten nahe der Quelle schlafen, kommt der Leopard manchmal bis in Sichtweite, macht aber stets kehrt, wenn er die Menschen sieht oder wittert. Trotzdem kann es passieren, dass sich das Tier stellt, wenn es sich bedroht fuehlt und sehr selten, greift es dann auch an. Auch ein Paerchen Tuepfelhyaenen gibt es im Umland, Tiere, die eigentlich in groesseren Rudeln vorkommen. Auch sie reissen regelmaessig Kleinvieh, sind fuer Menschen aber ebenfalls ungefaehrlich. Die fuer Aethiopien so symboltraechtigen Loewen sind groesstenteils ausgestorben und kommen nur noch im Osten, Richtung somalischer Grenze und im Sueden, an der kenianischen Grenze vor.

Die Bauern haben ihre “Knuerchen” mit dabei: Aus Pflanzenfasern geflochtene Rundkoerbe mit Deckel, die mit duennem Leder ueberzogen sind und waehrend der Arbeit in den Baeumen haengen. Ich kann es kaum fassen, dass diese Menschen ihr Leben lang, jeden Tag mehrfach, immer das Gleiche essen: Indschera, Indschera, Indschera, viel zu stark mit Berberi, einer Art Cayennepfeffer gewuerzt. Das es da zu vielen Faellen von Fehlernaehrung und Darmproblemen kommt, verwundert nicht.

Wir sehen uns eine Bruecke ueber den Fluss Wenschit an, die zwar von der Regierung gebaut wurde, aber nur einen Holzbelag hatte, der den starken Belastungen nicht gewachsen war und bei Regen glitschig wurde. MfM hat einen Stahlbelag gestiftet ueber den bei unserem Eintreffen gerade zwei aeltere Hirten versuchen, fuenf vor Angst schlotternde Esel zu treiben. Angesichts der Tiefe unter ihnen, hat die Tiere der Mut verlassen und nun dreschen die Maenner wie verrueckt mit ihren dicken, harten Knueppeln auf die Tiere ein, das das Fell staubt. Aber die leiden lieber unter der Pruegel, als weiterzugehen.

Ich renne hinzu, aber auch ich kann nur mitzerren und die Tiere, die sich mit steifen Beinen entgegenstemmen, einfach nach vorne ziehen, schieben, waehrend die Hufe ueber die Stahlplatten rutschen.

Der Fluss hat hier eine kleine Schlucht gegraben, in dessen Steilhaengen Voegel ihre Nester angelegt haben. Ueberall im Distrikt Merhabete gibt es diese kleinen Schluchten, die beweisen, dass es genug Wasser gibt, sich aber niemand in der lage sah, dieses Wasser fuer spaetere Trockenzeiten aufzusparen.

Wir besichtigen eine der Schulen. Hier werden ca. 300 Schueler zwischen 6 und 16 unterrichtet, die bei unserer Ankunft gerade in 14-taegige Ferien geschickt werden und deshalb vor der Staatsfahne und der Direktorin angetreten sind. Erwartungsfroh sehen mich diese, die Lehrer und Schueler an. Was? Eine Rede? Ich? Na also bitte, ich bin doch kein offizieller Besuch, ich habe nichts zu sagen, will nur sehen und berichten, lernen.

Als die Direktorin ihre kleine Abschiedsrede fuer die Schueler beendet hat, kommt der erste Knabe zu mir, ergreift meine Hand und kuesst sie mit einer tiefen Verbeugung. Das ist das Startsignal fuer etwa 50 Schueler, es ihm gleich zu tun, wobei die Direktorin ihnen zuruft, mich nicht zu kuessen. Sie sagen: “Thank you, father Karl.” Sehe ich schon so alt aus? Herr Boehm ist 75, Leute! Aber ich versuche die Dankbarkeit nicht dadurch abzulehnen, dass ich nicht jede Hand ergreife, die mir entgegengestreckt wird. Wie dankbar die Menschen fuer einen “Vater”, einen wohlmeinenden aelteren Mann sind, der sie anleitet. Ein “Guter Koenig” koennte hier problemlos heute noch herrschen.

Die Schulgebaeude sind einfach, karg, solide, wie alles, was ich bisher gesehen habe. Hier wurde kein Geld in unnoetigen Luxus investiert, sondern so viel wie moeglich mit dem Vorhandenen zu erreichen versucht. Die Tisch-Bank-Kombinationen sind aus Vierkant-Stahlgestellen, die mit Holzplatten fuer Sitze und Tische abgedeckt sind.

Wir fahren zurueck, denn es ist genug der Besichtigungen. Im Gaestehaus wartet ein Essen auf mich und fuer die morgige Rueckreise hat mir Setain zwei Sandwiches eingepackt, das Abendessen kann ich mir selbst aus dem Kuehlschrank holen und deshalb bin ich alsbald alleine im Wohnzimmer des Gaestehauses und lese ein Buch, dass ueber Herrn Boehm geschrieben wurde: “Was Menschen fuer Menschen geschaffen haben”.

Die Moebel hier sind von Ikea, im Regal steht ein grosser Hubschrauber aus Holz, den ein Junge gebastelt und Herrn Boehm geschenkt hat.

Dann stehe ich draussen, auf einem Stueck Fels, dass aus dem Rasen ragt und sehe mir den Sonnenuntergang an.

geschrieben am 11.2. in Addis Abeba


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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