2/7/2004 Aethiopien / Addis Abeba
Ex male bonum / Formel Eins im Hochland
Rueckfahrt nach Addis
(Harald) Etwas verspaetet klopft der Fahrer um 5.40 Uhr an die Gaestehaustuere. Da zwischen 24 und 6 Uhr der Strom im ganzen Disrikt Merhabete abgeschaltet wird, muss ich mit etwas Mondlicht klarkommen. Ich habe zwar alles fertig gepackt, aber die Nachtkleidung bleibt in der Dunkelheit auf einem Stuhl im Zimmer liegen. Manchmal bin ich echt froh, dass mein Kopf so gut mit meinem Hals verwachsen ist, sonst haette ich den wahrscheinlich mal beim Friseur gelassen. Da ich diesmal nicht einer der ersten am Tor, sondern der letzte im Bus bin (ich hatte noch gehofft, der Bus wuerde sich auf der Strecke nach und nach fuellen), macht man dem Ferendschi einen ungemein angenehmen Platz auf dem Motorblock neben dem Fahrer frei. Da sitze ich nun auf zwei fingerdicken Eisenstangen und frage mich, wie ich diese Sitzfolter mehr als sechs Stunden lang aushalten soll-ich bin doch kein Huhn! Um mich herum ein Mief, ach was, lasst es mich ruhig sagen, wie es ist: es stinkt wie im Pumakaefig! Der Bus rumpelt los, am Steuer wieder so ein Kueken von Fahrer, der mit seinem Bus versucht, Michael-ich zahl-keine-Steuern-in Deutschland-Schumacher nachzumachen. Wir passieren noch einen kleinen Ort, dann gehts bergab, die Spannung steigt spuerbar im Bus. Diese Schlucht geniesst Respekt und das, was man hier notgedrungen als “Strasse” bezeichnet und mehr einem gesteinigten Ruebenacker gleicht, wirft im ersten Daemmerlicht fragen nach Hinterlassenschaft und Erben auf. Beim Bremsen rutscht der Bus hoer- und spuerbar einfach weiter ueber den staubig-sandigen Groelluntergrund. Ich werfe einen misstrauischen Blick auf den Fahrer neben mir: Ob dieser 14-Jaehrige wohl das Lenkrad fest genug halten kann? Der Bursche hat sich einen braunen Schal um den Kopf gewickelt, wie einer, der wegen Zahnschmerzen dringend nach Addis muss (vielleicht muss er das ja tatsaechlich! Jedenfalls wuerde das seine Fahrweise erklaeren). Im orangefarbenen Morgenlicht sieht dieser aethiopische Grand Canyon so schoen aus- die Sicht betraegt um die 15 Kilometer-, dass ich den Suizidkandidaten am Steuer vergesse. Aber mein Allerwertester meldet sich durch das Gerumpel nach kurzer Zeit zu Wort: Hey, da oben! A... an Kopf: Ich brauche dringend eine Unterlagenverbreiterung! Mein Hin- und Hergerutsche auf den mittlerweile heissen Stangen fuehrt dazu, dass mein rechter Nachbar fuer den armen, verwoehnten Weissen ein Sitzpolster organisiert. Ich muesste jetzt eigentlich ablehnen, denn jemand anderes sitzt jetzt hinter mir wahrscheinlich, um meiner Bequemlichkeit willen, selber blanco. Die Fahrgaeste stehen dichtgedraengt im Gang, der Schweiss laeuft ihnen ueber die Gesichter. Unter mir grillt der Motorblock mein Heck und der Mann rechts von mir am Fenster weigert sich , seine Oberhoheit am Fenster abzugeben, denn ihm sei der Fahrwind zu kalt. Ich warte also noch eine halbe Stunde, bis die hochstehende Sonne die Luft und den Bus weiter aufgeheizt hat. Erneute, hoefliche Anfrage, diesmal gewaehrt Ihro Majestaet der Fensterkoenig einen fuenf Zentimeter breiten Spalt an Frischluft- bloss keine Lungenentzuendung riskieren, draussen sind es bitterkalte 28 Grad, hier drinnen sogar nur froestelnde 35...Ich greife am Gesicht der Frostbeule vorbei und schiebe das Fenster bis zum Anschlag auf und wehe, er wuerde sich jetzt wagen, mir zu widersprechen, ich bin fuer ein wenig Sauerstoff und im Interesse der halberstickten Masse Mensch hinter mir bereit, dem Warmduscher seine Schlaegerkappe ins Gesicht zu ziehen, damit er sich sein Naeschen nicht verkuehlt. Der Fuessefoehner aber kneift und fuegt sich in das Unvermeidbare. Dann rast der aethiopische Haekinnen ueber den Grund der Schlucht und verjagt die wandernden Bauern wie Huehner von der Piste. Ein Esel wird gestreift, eine Kuh fast zum Beef verarbeitet. Und zwei Knirpse machen ihrem Frust ueber die so achtlos an ihnen vorbeifahrenden Reisenden Luft, indem sie Steine auf die blau-weisse Karosse schmeissen. Es geht steil bergauf, vor mir beige-rostfarben gemaserte Felswaende, mehrere hundert Meter hoch, ein El Dorado fuer lebensmuede Freeclimber. Allein der Gedanke, mitten in diesen senkrecht abfallenden Felsen zum Klettern verurteilt zu sein, treibt mir den Schweiss in die Haende. Ich habe einfach eine viel zu lebhafte Fantasie. Gelegentlich laesst sich der Fahrer dazu herab, ein paar am Wegesrand in der gleissenden Sonne Ausharrende, in sein Vehikel einsteigen zu lassen, waehrend er an anderen vorbeibrettert. Nach welchen Kriterien die Auswahl geschieht, bleibt mir unerfindlich. Die Leute tun mir leid, denn es gibt nur diesen einen Bus am Tag. Allerdings wundert mich, wie sich die Zusteigenden in dieses Gedraenge hinter mir ueberhaupt noch zwaengen koennen. Schon zwei Kilometer vor dem naechsten Ort hinter der Schlucht, steigen ein saturiert-zufrieden laechelnder Priester und mehrere Maenner aus, um die Strecke bis zur Haltestelle zu Fuss zu laufen. Im Ort suche ich ein Stilles Oertchen und im Hof eines Restaurants werde ich fuendig. Drei “Kabinen” gibt es in einem Lehm-Holzverschlag, offen, so dass man dem Naechsten, wahlweise der Naechsten, bedauernd-verneinend hockenderweise ins Gesicht schaut: "Leider besetzt!" Rundherum haben die aethiopischen Hygienefreunde benutzte Zeitungsstreifen und Papiertaschentuecher verstreut, Marke: “Wischiblanki- beidseitig verwendbar, der Erfolg liegt klar auf der Hand.” Dieser Abort, besser abartige Ort, ist ein topfgrosses Loch und mancher verfehlt den Zieleinlauf knapp, was die Benutzung dieses nicht so stillen Oertchens (“Hallo, sie kenne ich aus dem Bus, bin im Moment beschaeftigt...und da ist der Busfahrer- auch hier der Schnellste?”) fast unmoeglich macht, wenn man sich einen letzten Funken Wuerde bewahren moechte. Wasserkaennchen gibt es hier nicht und ich frage mich ernsthaft, nachdem ich in Aethiopien schon oft solche Wirkungsstaetten gesehen habe, wie Mensch so tief sinken kann. Die den Bus umstehenden Fahrgaeste werden von Kindern und Jugendlichen umworben, die Kaugummis, Kekse und Papiertaschentuecher verkaufen. Ich muemmel mich durch eines der trockenen Sandwiches, die mir die gute Setain mitgegeben hat und spuele das Gekruemel mit einem "Softdrink", wie die Ploerren hier genannt werden, runter. Dann hupt der Fahrer und es geht weiter. Wir erreichen die Teerstrasse bei Muke, endlich hoert das Gehopse auf. Dafuer legt Fittibaldi wieder einen Zahn zu und ich beruhige mich mit dem Gedanken, das ich Falle eines Aufpralls hier vorne sowieso sofort das Zeitliche segnen wuerde. Nach ueber sieben Stunden sind wir wieder in Addis Aber-Aber. Fuer die laengste Achterbahnfahrt meines Lebens war der Spass recht billig: auf einen Fuenf-Minutenritt umgerechnet, kostete das Vergnuegen weniger als einen schlappen Cent EU, statt 3 EU auf der Duesseldorfer Herbstkirmes. So kann man das eben auch sehen und aus Schlechtem Gutes machen- ex male bonum. Ralph und Renata haben fuer Barakat im “Selam”-Heim eine Zusage fuer dessen Aufnahme bekommen. Dort nimmt man zwar eigentlich keine Behinderten auf, aber man habe eine Ausnahme gemacht. Problem nur: Erst in zwei, drei Monaten sei das neue Schulgebaeude fertig und eine Aufnahme moeglich. Wo soll Barakat bis dahin bleiben? Weiter unter dem Vordach eines Hotels auf dem Boden schlafen? Eine Kellnerin hat die alte Putzfrau im Taitu-Hotel angesprochen und die wohnt gleich um die Ecke, zwischen den rostigen Wellblechhuetten und waere fuer 50 Birr mtl. bereit, den Jungen bis dahin aufzunehmen. Wir sind alle drei nicht ganz gesund, kaempfen immer wieder tageweise mit einem aethiopischen Fluch, der uns schwer verdaulich ist und sich rumorend aus dem Leib meldet. Und wir wollen aufbrechen, denn die sog. "Kleine" Regenzeit beginnt im Sueden im Maerz und dann sind die Pisten unpassierbar fuer alles Zweiraedrige. geschrieben am 12.2. in Addis Abeba
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