2/8/2004 Aethiopien / Addis Abeba
Socker
Ein neues Heim fuer Barakat
(Harald and Renata) Man hat mich an einer Minibushaltestelle mal wieder um ein paar Birr erleichtert. Ich freue mich fuer den Taschendieb, armer Kerl, haste was zum Beissen heute, wenn ich dich erwische, breche ihr dir die Fingerknochen, mein Lieber... Ralph wurde Opfer im Mercato, dem Freiluftmarkt. Renata bemerkte den Dieb, der bereits mit einer Hand Ralphs Hemd strammgezogen hatte, um dann den Reissverschluss fuer die Geldtasche zu oeffnen und eine Visitenkarte herauszufischen, anstatt des Geldes. Auch Ralph hatte nichts bemerkt. Renata wurde mehrfach von Dieben belaestigt: vor dem Hotel langte einer einfach in Renatas Umhaengetasche, aber sie bemerkte die Hand und klemmte sie ein. Eigentlich haette man dem etwa 50-jaehrigen eine latschen muessen, aber wir haben ihn ziehen lassen. Aehnliches passierte im Mercato: Zwei Diebe versuchten Renata zu bestehlen, aber Ralph langte kraeftig zu und setzte ein paar Watschen (Ralph ist ja Muenchner). Wenn man durch Addis Strassen geht, muss man wendig sein, jedenfalls ist eine ausreichende Gelenkigkeit von Vorteil, denn viele entgegenkommende Maenner gehen einfach geradeaus und ziehen die Schulter nicht zur Seite, um den anderen nicht zu rammen. Auch laufen einem viele ungeruehrt quer ueber den Weg, so dass man stehen bleiben muss. Wir Weissen werden staendig von allen Seiten angerufen, man klatscht in die Haende oder pfeift, um uns auf sich aufmerksam zu machen: "Hi, brother!" heisst es. Nachdem Ralph einem der Taxifahrer vor dem Hotel gesagt hat, er sei nicht sein Bruder, muss er ein tagelanges Geschimpfe der ganzen Taxifahrer ueber sich ergehen lassen, er sei ein Rassist u.ae. Als ich mit einer breiten Plastiktuete voller Waesche eine Reinigung suche, stoesst einer an die Tuete, ich drehe mich nach ihm um, er grinst mich winkend an. In der Reinigung sehe ich Qualm aus der Tuete steigen und es stellt sich heraus, dass der Kerl mir eine glimmende Zigarette hineingeworfen hat. Glueck im Unglueck: nur ein altes Kleidungsstueck ist verbrannt. Meine anschliessende Suche nach den Mistkerl im Gewuehl ist natuerlich vergeblich. Am Abend bezieht Barakat sein neues Heim, nur 200 m vom Taitu-Hotel entfernt. Wir spielen eine Runde Socker, Tischfussball zusammen und dann sieht Barakat die Wellblechhuette und drinnen gibt es erstmal Traenen, denn wirklich gemuetlich ist das nicht, aber allemal besser, als draussen zu schlafen. Renata erklaert sich ebenfalls sogleich gefuehlssolidarisch, Ralph und ich gucken betreten. Aber es ist das Beste, was wir in der Kuerze der Zeit und mit den uns zur Verfuegung stehenden Mitteln leisten koennen. Die alte Putzfrau und ihre drei, vier Toechter scheinen ganz o.k. zu sein und Barakat ist unter den jugendlichen Maedchen Hahn im Korb. Allerdings finanzieren wir mit der von uns gezahlten Miete fuer den Schlafplatz wahrscheinlich das ganze Haus. Zwischen den primitiven Verschlaegen, die hier in den Farvellas als Unterkuenfte dienen, spielen die Jungs Socker mit selbstgebastelten Fussbaellen aus Stoff oder Plastiktueten, die fest mit Schnueren umwickelt sind. Einer haelt mir den Ball entgegen, weil ich diesen so neugierig begutachte. Der Junge ist ein Wonneproppen mit wachen, grossen Augen, so richtig was zum Knuddeln. Uns ruehrt diese Froehlichkeit inmitten all des Drecks und der Armut stets aufs Neue. geschrieben am 13.2. in Addis Abeba
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