2/15/2004 Aethiopien / Addis Abeba
Die Don-Kasachen
Zahnarzttermin der dritten Art/ Ein Telefoninterview
(Harald und Renata) Ich habe meinen Zahnarztbesuch so lange wie moeglich vor mir hergeschoben. Jetzt suche ich die “Don-Klinik” auf, die ihren Namen den kasachischen Zahnaerzten verdankt, die hier arbeiten. Schnell ist klar, dass es mit einem Termin nicht getan ist, denn die Wurzeln muessen gezogen werden. Und diese Prozedur moechte man mir ohne Betaeubungsspritze angedeihen lassen. Nur mit energischer Totalverweigerung kann ich erreichen, dass man mir eine Spritze gibt. Die Nadel ist dick wie mein kleiner Finger, kommt aber aus einer sterilen Verpackung. Nicht so die Schrauben, mit denen die Aerztin mir die Wurzeln zieht. Aus einer gelblichen Plastikschatulle kramt sie sich zwischen allerlei Alternativen das Werkzeug heraus. Mir wird anders, denn die Wurzeln sind mit Blutbahnen in Verbindung und wenn die Schrauben nicht sterilisiert sind, koennte ich mir neben anderen Nettigkeiten auch HIV einfangen. Man versichert mir jedoch, dass alles seine Ordnung habe. Manchmal vertraut man unverhofft Fremden sein Leben an. An drei aufeinander folgenden Tagen wird nun an mir gearbeitet. Der Bohrer bleibt staendig im Widerstand des Zahnmaterials haengen, wie ein Schlagbohrer im Beton, dabei wird der Bohrer heiss, weil er nicht mit Wasser gekuehlt wird. Infolgedessen qualmt es stinkend nach Verbranntem aus meinem Mund und der ruckelnde Bohrer verspritzt meinen Restzahn in Stuecken ueber mein Hemd. Einen Absauger gibt es auch nicht, weswegen ich etwas vom Zahn mitnehmen kann, nachdem ich es verschluckt habe. Mundspuelen? Essig! Es gibt kein Wasser, nur eine gruene Plastikschuessel, in die man hineinspuckt. Der Behandlungsstuhl hat nicht genug Platz in der winzigen Behandlungskammer, so dass die Kopfstuetze nicht ausgezogen werden kann, weshalb mein Ruecken widerum im Freien gehalten werden muss, statt aufzuliegen. Das strengt gewaltig an. Die kasachische Dentistin rueckt meinen Kopf zurecht wie einen Salatkopf. Dabei plappert sie mit ihrer Kollegin auf russisch. Der ganze Vorgang hat fuer mich Ferendschi etwas Komisches und als ich mich mit “Spaciba” verabschiede, lacht die ganze Truppe. Am 14.12. faehrt Andy aus der Schweiz ab, denn sein Zeitkontingent geht zur Neige. Als Lehrer wartet ein neues Schuljahr auf ihn und so kann er nicht bleiben, bis sein Reisegefaehrte Stefan wieder gesund ist. Der WDR 2, Programm “Weltzeit”, hat mit uns ein Interview per Telefon verabredet. Ein Journalist, den ich im Sheraton Hotel beim Besuch Kanzler Schroeders auf der Treppe angesprochen hatte, hat seinen Kollegen von uns erzaehlt und man hat per Mail Kontakt zu uns aufgenommen. Leider gestaltet sich das Telefonieren etwas schwierig und das kommt so: Ich sitze frontal vor dem Operator und hoere es zur verabredeten Zeit laeuten. Einmal. Nach zwei Minuten zum zweiten Mal, beim dritten Mal argwoehne ich, das es sich um meinen Anruf handeln muss und als ich den Mann frage, bestaetigt er ungeruehrt, dass er immer wieder auflegt, wenn der Anruf aus Deutschland kommt, weil man uns keinen Telefonservice mehr geben wolle. Leute, ich bin foermlich explodiert! Ich kenne diese Sturheit aus Aegypten und da hilft nur eines- sich durchsetzen. Der WDR ruft nicht noch einmal an und wir sind bald unterwegs. Jetzt oder nie! Ich haue dem Mann auf seinen Holztresen, dass es kracht und er zurueckzuckt, als habe ich es auf seinen Kopf abgesehen. Meine Lautstaerke reicht aus, um den in der Lobby beim Abendessen Sitzenden die Gabel zittern zu lassen. Was bildet sich dieser Hirni eigentlich ein? Statt sich bei uns erstens zu entschuldigen fuer den eigenen Fehler, uns falsche Preise fuers Telefonieren genannt zu haben und zweitens froh zu sein, dass Renata, um des lieben Frieden Willen, vorgestern 50 % der geforderten Summe bezahlt hat, treibt man hier alberne Kinderspiele mit uns. Der Mann ist richtig erschrocken ueber meinen schlagartigen Ausbruch und binnen zwei Minuten habe ich den WDR beim vierten Anruf an der Strippe. Leider koennen wir die Aufnahme nicht selber hoeren. Und leider ist es, wie meistens mit der Presse, auch wenig nuetzlich fuer uns, was man mit uns macht, denn vor dem Interview hiess es, unsere Webadresse wuerde genannt und am Ende gibt es lediglich eine Hotline, unter der man unsere Anschrift erfahren kann. Die Begruendung ist, dass man auch caritative Zwecke nicht unterstuetze, wenn sie nicht selbstinitiiert seien. Der tiefere Sinn bleibt uns da verborgen, es geht wohl mehr um Eigennutz. Auf der Churchill-Road, die in der Naehe der Piazza beginnt und, gross und breit, bis zum Stadion hinunterfuehrt, kann man in kleinen Selbstbedienungsmaerkten auch deutsche und italienische Schokolade kaufen. Diese Gelegenheit wird so schnell nicht wiederkommen, also kaufe ich die teuren Suessigkeiten. Und Schnittkaese, in Aethiopien eine Selten- und Kostbarkeit. Wir essen nochmals im "Rico", dessen Koch uns speziell verwoehnt und gehen mit Barakat ins Kino, natuerlich in einen Actionfilm. Jean Claude Van Damme boxt sich durch und am Ende sind alle entweder tot oder gluecklich. Unser Schuetzling hat bei den Kellnerinnen im "Taitu" einen Stein im Brett und vor allen anderen werden uns Tally und Gennet unvergessen bleiben. Anika und Gennet werden unsere Verbindung zu Barakat halten, denn er selbst kann ja nicht schreiben. Er hat von uns noch eine Baseballkappe und eine coole Sonnenbrille bekommen. In der Lobby treffe ich eine Deutsche, die mir erzaehlt, dass bereits im Dezember im Westen des Landes, bei Gambela, mehrere UN-Mitarbeiter mit Macheten massakriert wurden und im Gegenzug die Armee letzte Woche dort einmarschiert ist und 200-300 Menschen getoetet wurden. Die verschiedenen Ethnien im Westen und Sueden des Landes geraten immer wieder aneinander. Das macht die Durchquerung dieses Landesteiles, die wir geplant hatten, nicht gerade annehmbar. Die Deutsche erzaehlt, dass der aethiopische Zirkus bei der ersten Deutschlandtournee auf Anhieb saemtliche 28 Akteure verloren hat, weil sie wegliefen und sogleich Asyl beantragten. Gleiches sei in Frankreich passiert. Die Artisten haetten zu Propagandazwecken in Addis im Stadion auftreten muessen, um fuer den Krieg gegen Eritrea zu werben. Die Frau haelt Kontakt zwischen den Asylanten und deren Verwandten in Aethiopien. Im Netcafe lerne ich einen Mitarbeiter des einzigen aethiopischen Fernsehsenders kennen und der will auch gleich ein Interview mit uns machen. Am Montag ist es soweit und am Dienstag wollen wir endgueltig Richtung Sueden losfahren. geschrieben am 23.2. in Awassa
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