2/20/2004 Aethiopien / hinter Adami Tullu
Dumme Diebe
Die Kamera ist wieder da, ein Stein trifft mich am Kopf, Speertraeger in der Nacht
(Harald) Nachts haben die oertlichen Hunde mit den verfeindeten Hyaenen ein Heul-Crescendo angestimmt, zwischendurch fielen drei Schuesse. Zum Fruehstueck gibt es aethiopische Volksmusik aus dem Radio: 1 Mann, etliche schrille Frauenstimmen, die mit den Zungen traellern, wie arabische Nomaden, eine Leier, eine dumpfe Trommel. Dazu wird rythmisch geklatscht, dass Ganze ist meist recht monton und dauert 20 Minuten- nicht mein Geschmack, im Gegensatz zu einigen modernen popartigen Stuecken aus Addis. In einem Lehmverschlag dusche ich. Meine Kleidung ist voller Floehe, aber ich bin mittlerweile ein guter Flohkiller. Beim Rasieren und Zaehneputzen stellen sich zwei Jungs, die Kellner, neben mich und fordern mich auch noch frech auf: “Wash!” (Wasche dich). Ich sage ihnen, sie sollen gehen: “Yes.” Aber dabei bleiben sie stehen und ich werde deutlicher. Es dauert nur eine Minute nachdem sie um die Ecke verschwunden sind und beide sind wieder da, einer hat sich gleich einen Tee mitgebracht und setzt sich, wie, um gemuetlich fernzusehen, im Schneidersitz hinter mich. Ich weiss ja nicht, wie es Euch ergeht, aber morgendliches Waschen ist fuer irgendwie intim und ich mag es ueberhaupt nicht, wenn man mich dabei begafft wie im Zoo. Also werde ich richtig stinkig und das hilft. Grinsend trollen sich die Dummies. Ich mache mich zum Aufbruch fertig, denn wenn die Kamera jetzt nicht kommt, kann ich wohl jegliche Hoffnung fahren lassen. Es ist etwa 10 Uhr, als sich vor dem Hotel etwas tut. Zewdie in seinem knallroten Fussballshirt erscheint mit seinem Freund Debebe Tariku, winkt mich in mein Zimmer. Sein Lachen verraet, was in seiner Tasche ist: die Kamera ist da! Sie fragen mich um einen Finderlohn. Aber ich habe ihnen vorab klar gesagt, dass ich kein Geld mehr habe und sie den Rest behalten koennen, wenn sie die Kamera fuer weniger als 500 Birr kaufen koennen. Ich kratze zusammen, was moeglich ist. Mit dem Rest in meiner Tasche kann ich kaum die Grenze erreichen. Man mag es kaum glauben, aber die kindischen Diebe haben sich und die Hehler selbst fotografiert. Es ist sehr verfuehrerisch, der Polizei die Fotos einfach zu ueberlassen. Mit dem Hinweis auf Koka und Mojo, den Bildern des Fotogeschaftes, indem die Kamera verkauft wurde und allen vier echten Gaunergesichtern waere es ein Leichtes die Kerle dingfest zu machen. Aber dann wuerde ich Zewdie in Schwierigkeiten bringen. Es aergert mich gewaltig, dass ich die Diebe auch noch selbst fuerstlich belohne und schuetze. Mein vorderer Reifen ist platt, also muss ich erstmal reparieren. Aber seltsamerweise ist kein Loch zu finden, weshalb ich das Ventil im Verdacht habe. Aber ein schmales Ventil ist hier nicht zu bekommen. Ein herzlicher Abschied von meinen Helfern in der Not, die mich bis vor die Stadt geleiten, dann Richtung Sonne. Auf,Auf! Die Landschaft ist mit Termitenbauten gespickt. Auf manchem Ameisenhuegel halten blaukoepfige Agamen Umschau. Um 14.15 erreiche ich Meki, eine groessere Ortschaft voller Pferdetaxis, primitiver, zweiraedriger Kutschen, gezogen von Kleppern in traurigem Zustand, verklebte, zerschundene Gaeule, voller offener Wunden, mit geschwollenen Gelenken und verwachsenen Hufen. Manche haben grossflaechige Brandwunden, alle sind abgemagert, humpeln; drahtiges, unsachgemaesses Zaumzeug scheuert sich bis ins Fleisch durch. Beim Fotohalt an einer Bruecke bin ich wie immer sogleich umringt von dutzenden Jungs und Maennern, die einen Mann, der sich im Bach unter der Bruecke waescht, haenseln. Der wirft einen dicken Stein hinauf und der trifft mich direkt an der Stirn. Ich setze mich erstmal benommen auf meinen Allerwertesten. Meine gefuetterte Hutkrempe bewahrt mich vor einer Platzwunde. Himmelherrgottnochmal, diese Leute gehen mir wirklich auf den Geist. Ich esse eine Papaya, wobei ich staendig die Gaffer und Bettler verjagen muss, die einem das Essen verleiden. Der Wind wirbelt den Staub und Sand durch den Ort, Papier und Plastik huscht vorbei, die ueberall umherlaufenden Ziegen fressen Pappe und Obstschalen. Obst gibt es hier reichlich, aber es ist Fastenzeit fuer die aethiop. Christen und das heisst, es gibt kein Fleisch, keine Milch, Eier etc. Der Macchiato, der mir in einem feinen Lokal serviert wird, ist daher mit Milchpulver zubereitet. Ich esse Spaghetti, ein Wachmann in Uniform bewacht mein Fahrrad derweil. Bis zur naechsten Stadt Shashemene sind es noch 116 km. Ca. 30 Grad ist es warm, als ich weiterfahre. Bei Seiten- und Rueckenwind und sehr guter Strasse komme ich gut voran. Die Erde ringsum ist hellgrau und die Termitenbauten sehen wie ein Skulpturenpark aus. Ein spaerlicher Bewuchs aus Laubbaeumen und Papayapflanzungen saeumt den Weg. Erholsam: Es fliegen keine Steine, es wird haeufiger zurueck gegruesst, manchmal erklingt sogar ein “Welcome!” oder “How are you?” (Wie gehts). 20 km hinter Alem Tenna sehe ich den ersten Speer in der Hand eines alten Hirten, wieder 20 km weiter zwei Maenner mit langen Speeren. In einem sauberen Gartenlokal voller pinkfarbener Bougainvillen, Faecherpalmen und Hecken geniesse ich Kaffee und Kuchen. Hier fliegen Webervoegel umher und ein schwarz-gelber Vogel, einem Pirol aehnlich, pickt Kruemel vom Tisch. Vor dem naechsten Ort, die Daemmerung bricht an, suche ich einen Zeltplatz, aber es gibt zuviele Menschen. Also eile ich durch den Ort. Hinter mir der altbekannte Kampfruf: “F… you!” Danke, gleichfalls. Neben der Strasse spielen Kinder mit selbstgebastelten Metallreifen, die sie mit gebogenen Draehten vor sich hertreiben. Waehrend ich eine Mirinda trinke, behalte ich das Rad argwoehnisch im Auge, verscheuche die vielen Neugierigen, die es stets anfassen wollen. Als ich weiterfahre, warnen mich die Menschen: “Its late, don’t leave!” Aber fuer ein Hotel habe ich kein Geld. Und ueberall Menschen, ich kann nicht unbeobachtet in die Buesche fluechten, es ist zum Verzweifeln. 19 Uhr, im allerletzten Licht, rechts der Strasse, schiebe ich durch den sandigen Busch voller dorniger Akazien. Mit der Kopflampe suche ich einen geeigneten Untergrund, reinige ihn von den gefaehrlichen Dornen. Im starken Wind zerbricht mir dann auch noch die bereits angebrochene Zeltstange. Mit Ach und Krach gelingt mir ein halbwegs stabiler Aufbau, als ein junger Mann erscheint, der sich natuerlich sogleich unterhalten moechte, wofuer ich weder Zeit noch Geduld habe. Dann, ich bin schon im Zelt, es ist stockduster, Stimmen. Im Licht der Lampe stehen drei Maenner vor mir, zwei halten 2,5 Meter lange Speere in der Hand und ich stehe da mit meinem Messer mit 15 cm langer Klinge. Das Pfefferspray in der Linken ist gegen den Wind voellig unnuetz. Ich mache den Maennern klar, dass ich im Dunkeln keine Lust habe, mich mit bewaffneten Fremden zu unterhalten und sie gehen schliesslich. Mit einer halben Tasse Wasser Katzenwaesche, dann Tagebuchschreiben, dann fallen mir die Augen zu. geschrieben am 22.3. in Nanyuki
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