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Reisetagebuch

2/22/2004   Aethiopien / Auassa

Legesse Bote

Einladung nach Auassa, ein Kriegsversehrter, ein alter Mann, der Zorn und die Gerechtigkeit

(Harald) Vor ein Uhr war an Schlaf nicht zu denken, weil Musikanlage und Fernseher droehnten, als gelte es ein Stadion zu beschallen. Den schreienden Kellnern hatte ich gesagt, dies sei nicht nur ein Restaurant, sondern auch ein Hotel. “Yes”, nicken sie und schreien weiter.

Um 4.30 Uhr ist die Nacht vorbei. Von der nahegelegenen Kirche ertoent ueber Megaphon das monotone Dauergebet des orthodoxen Priesters. Um 6.30 Uhr wird im Hof aethiopische Volksmusik aufgedreht: 1 Saenger, 1 Leier spielt dazu eine eintoenige, traurig-duestere Melodie, seltsam disharmonisch, die Lautsprecher ueberschlagen sich wie gewohnt.

Die Waende meines Zimmers sind mit einem oeligen Pestizid besprueht, dessen teeriger Geruch mir leichte Kopfschmerzen verursacht. Der Chemiegeruch legt sich in alle Kleider, die Bettwaesche. Meine treuesten Reisekumpane, die Floehe, haben bereits an mir gefruehstueckt, herrlich, wie das ueberall juckt, man fuehlt sich gleich morgens so richtig lebendig.

Zum Duschen muss ich in ein anderes Hotel, 200 Meter in Badelatschen ueber die staubige Strasse, bewaffnet mit Handtuch und Seife, durch den Verkehr und draengelnde Menschen, begleitet vom unentbehrlichen “You,you,you!” der aehtiopischen Intelligenzia.

Die Dusche ist nicht verfuegbar, denn der Mann, der den Schluessel hat, schlaeft noch. Wieder zurueck, in eine andere Pension. Fuer 2 Birr kann ich eiskalt duschen, jedoch nicht ohne das eine Frau, ohne anzuklopfen oder zu fragen, die nicht verschliessbare Tuere oeffnen will, die Badegeraeusche dahinter ignorierend.

Das Rasieren und Zaehneputzen findet zwischen den Fruehstuecksgaesten statt, die sich die Haende waschen und die Zaehne mit einem Zeigefinger reinigen. Etwa ein Viertel aller Leute haben schon in jungen Jahren braune, verfaulte Zaehne, eine Zahnbuerste habe ich in drei Monaten noch nicht gesehen.

Die einzige Teerstrasse durch die Stadt ist auch die Verkehrsachse fuer die LKW. Statt wegen der Unuebersichtlichkeit, der vielen Menschen und Tiere langsamer zu fahren, druecken die Fahrer auf die Hupe, raeumen so foermlich den Weg frei: Ich bin bereit, dich zu toeten, ich fahre durch, wenn du meine Macht, Groesse, Geschwindigkeit nicht respektierst, bist du selber schuld. Die Folge sind tausende Toter und Krueppel, staendig sehe ich Autowracks, die von LKW herumtransportiert werden, oder am Strassenrand liegen.

Typisch war eine Szene, die ich vor Addis erlebte: Ein grosser, weisser, sauberer 4x4 rast mit voellig ueberhoehter Geschwindigkeit durch ein Dorf, alles spritzt zur Seite, nur eine kleine, junge Frau schafft es nicht rechtzeitig. Mit quitschenden, qualmenden Reifen kommt der Wagen zum Stehen, zwei pausbaeckige Maenner mit Armbanduhren und Sonnenbrillen steigen aus, rufen das Maedchen zu sich(!) und einer fasst sie grob am Arm und ohrfeigt sie. Die zahlreichen Umstehenden entruesten sich nicht und die Frau trollt sich ohne zu murren.

Zwar unpuenktlich, aber gutgelaunt, erscheint der Mann, Habtamu, der mich gestern eingeladen hat. Er haelt mich an, mein Hotelzimmer sofort zu raeumen, um mit zu seinem Labor zu kommen. Dort stelle ich mein Fahrrad samt Gepaeck ab- und nun? Wo soll ich hier schlafen? Er sagt mir, man hielte jetzt fuer etwa 2 Stunden einen Sonntagsgottesdienst hier ab. Aha! Und er wollte mir ein Netcafe zeigen, jetzt heisst es, das sei geschlossen. Aha!? Und sein Zuhause, wo ich schlafen soll, sei auch nicht hier, sondern in Auassa. Aha!? So laeuft das halt hier, wenn man einen Ferendschi angeln will. Aber in Auassa sei ein Netcafe geoeffnet.

Also sattle ich wieder auf und fahre nach Auassa, ca. 20 km suedlich von Shashemene. Ein Traumtag! Die Landschaft ist gruener, ein paar riesige Baeume stehen noch, ein paar schon arg gestutzte dazwischen, ansonsten Kahlschlag total bis zum Horizont und in alle Berghoehen. Ueberall Erosion, ungenutzte Feldflaechen. Und stets:”Money, money!” Auch “F… you”- immer wieder gern genommen, danke sehr, zu freundlich.

Es geht fast nur bergab, Rueckenwind laesst mich mit 25, 30 km/h dahinfliegen. An der Stadtgrenze zu Auassa ein Polizeiposten, eine Schranke. Ein Junge bietet geschnitzte Holzkugelschreiber aus einem Bauchladen an. Rechts der Strasse sitzen drei Paviane, als warteten sie auf Abwechslung oder milde Gaben. Ich versuche sie mit Brot zu locken, aber sie sind misstrauisch. Der Polizist des Postens wirft ein Stueck Zuckerrohr und dem kann der Boss der Gruppe nicht widerstehen. Ich folge den Affen zu einem der Riesenbaeume und ein Weibchen schnappt ein Stueck Zuckerrohr, das ich hochwerfe, im Flug.

Vor der Stadt grasen Zugpferde, wie man an den Scheuerwunden erkennen kann. Was fuer ein schrecklicher Anblick. Ein Jammerbild von Stute steht mitten auf der Strasse, bewegt sich auch nicht, als ein Auto es hupend verdraengen will, als ob es sich wuensche, es wuerde seinem Leben endlich ein Ende bereiten, oder um anzuklagen: Seht, was ihr aus mir gemacht habt; ich habe euch gezogen, eure Lasten durch Hitze und Staub gebracht, nie geklagt, gehungert, geduerstet, mich tausende Male sinnlos pruegeln lassen und das ist euer Dank dafuer? Oder um Hilfe zu erbitten: Nur ihr Menschen koennt mich jetzt noch retten! Aber die Autos fahren rechts und links vorbei, alle Leute gehen vorbei und niemand erbarmt sich des Tieres. Ein junger Mann, gierig auf ein Geschaeft, sieht, dass ich mich vom Anblick nicht loesen kann, redet mir nach dem Mund, fragt ob ich etwas tun wolle. Er selbst scheint amuesiert ueber mein Mitleid, nur darauf, mich bei einem Veterinaer um eine Kommission zu erleichtern.

Auassa ist eine Stadt, viele Hotels, Un-Fahrzeuge und alle Netcafes scheinen geschlossen. Aus einer Stahlgestellhalle erklingt Predigtgeschrei: ”Halleluja, Jesus, Marijam…” Ich gehe hinein. Ein aelterer, wohlbeleibter Mann bruellt ins Mikrophon, gestikuliert wild herum, etwa 200 Zuhoerer echoen: “Halleluja, ja, Amen”, die Haende erhoben, um Segen zu erhalten, vorne scheinen ein paar Zuhoerer um Ekstase bemueht. Das in Afrika so weit verbreitete, oeffentliche Predigen, bei dem die erfolgreichsten Darsteller hunderttausende Menschen um sich zu bannen vermoegen und als Hoehepunkt Blinde sehend, Lahme gehend und Tote wieder auferstehen lassen, erregt mein tiefes Misstrauen. Die geschaeftstuechsten Prediger sind Weisse, deren Beispiel Schwarze fleissig nacheifern.

Ich fahre weiter Richtung Markt und vor mir liegt nach einer Kurve eine grosse, neue Kirche mit goldfarbenen Kuppeln an einem Ende einer breiten, 2 km langen Allee und dem Seeufer des Lake Auassas am anderen. Zur Rechten finde ich ein kleines, helles Netcafe und ich lese Mails und sehe mir die neuen Bilder an, die unser “Technischer Leiter” Thomas Schmidt aus Duesseldorf fuer uns eingesetzt hat.

Um 17 Uhr bin ich mit Habtamu verabredet, der mit einem Mitarbeiter seines Labors puenktlich vor einem Café auf mich wartet. Wir gehen zum Seeufer hinunter, ich schiebe mein Rad samt Gepaeck durch die vielen Sonntagsausfluegler, die auf dem schmalen Weg zwischen dem See und einem Sumpfgebiet entlangbummeln. Die Sonne steht jetzt niedrig, eine diesige Ruhe liegt ueber der Szene und ich wuerde mich gerne hinsetzen, um den Sonnenuntergang anzuschauen, wenn da nicht so viele Menschen waeren, die mich und mein Rad anfassen wollen, mich staendig ansprechen, etwas fragen.

In Booten lassen sich einige auf den See hinausrudern, durch die Wasserhyazinthen hindurch, um vielleicht einen Blick auf die letzten Exemplare der Nilpferde werfen zu koennen, die es da draussen noch geben soll. Und aus einem Lautsprecher erklingt das Lied, dass mir den letzten Sylvesterabend in Erinnerung ruft: “One Love…”

Wir gehen zurueck, spielen kurz auf der Strasse etwas Tischtennis. Die Strasse ist gesaeumt mit Bettlern, Kriegsversehrten. Einer dieser Maenner sitzt da im Dreck, ich unterhalte mich mit ihm. Eine Mine hat ihm im Krieg mit Eritrea den rechten Unterschenkel zerfetzt, ihn ein Auge gekostet, sein Gesicht ist entstellt und er hat keinen Penis mehr. Der Krieg gegen Eritrea, so hat man mir wiederholt versichert, sei ein unnoetiger Bruderkrieg gewesen. Der Krueppel hier vor mir, dieser Bettler in zerlumpten Kleidern, hat ausser seinem Leben alles fuer seine politische Fuehrung, seinen Staat gegeben. Jeder Traum, den er als junger Mann getraumt hatte, ist mit der Mine in die Luft geflogen und jetzt hat der Staat nichts fuer das arme Schwein uebrig. Verflucht, was ich diese Narren verachte, die sich als Maechtige aufspielen und soviel Leid ueber ihre Mitmenschen mit ihrer Unfaehigkeit und Ignoranz bringen. Und in Bahir Dahr wird ein menschenverachtendes Denkmal fuer den Krieg errichtet, anstatt das Geld diesem Mann zu geben.

Im Compound der Familie werde ich von der Mutter, den Schwestern und Bruedern willkommen geheissen. Der Vater heisst Legesse Bote und liegt seit viereinhalb Jahren im Bett, ein Hirnschlag infolge Bluthochdrucks hat ihn gelaehmt. Wir haben Pillen dagegen…

Der Mann ist 70 Jahre alt und kommt binnen kurzem auf den Punkt. Anders als seinem Sohn Habtamu, mag ich dem alten Mann im Halbdunkel des Zimmers vor mir nichts vormachen. Er laesst seit meinem Begruessungshandschlag meine Hand nicht mehr los. Ich weiche nicht aus: 45 und nicht verheiratet, keine Kinder? Alleine unterwegs, warum? Woher hast du das Geld fuer die Reise? In seiner Gegenwart ist mir egal, dass sein neugieriger Sohn neben uns sitzt. Wir sprechen ueber Hitler (natuerlich), Mengistus sozialistisches Regim in den 70er und 80er Jahren, die Ermordung des letzten Kaisers Haille Selassie durch Mengistu.

Dann gibt es Spaghetti mit scharfer Berberisosse, Brot, Indschera mit Wott-Sosse (Fleisch) und selbstvergorenen Joghurt, danach einen Buna (Kaffee) mit Milch. Es laeuft ein Video: Das Leben Josephs, Pflegevater Jesu.

Die Toilette ist unter freiem Himmel, ein verdrecktes, mit schmutzigem Papier umgebenes Loch. Auch hier die Unsitte, das benutzte Papier ringsum zu verstreuen, anstatt es ins Loch zu werfen, weiss der Teufel warum.

Ich schlafe in einem Verschlag, der an einen alten Keller erinnert und zaehle meine Tageseinnahmen an Flohstichen. Um den Verschlag herum bellen sich die Hunde heiser, denn die Stadt wimmelt von Hyaenen, wie man deutlich hoeren kann.

geschrieben am 25.3. in Nanyuki


 

 

 

 

 

 


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