2/26/2004 Aethiopien / Gedeb
Klobrille
Ich fahre nach Hawai im Regen / das Interview wird gesendet
(Harald) Donnerstag. Heute abend soll das Interview gesendet werden, ich bin gespannt. Demissie und ich loeffeln zum Fruehstueck die Fruechte, die wir gestern auf dem Markt eingekauft haben: Papaya, die ungeschlagene Vitamin-C-Koenigin allen Obstes, Mangos, die im Geschmack Unuebertrefflichen, Bananen, der saettigende Tausendsassa. Dazu gibt es Brot und hauseigenen Buna, frisch geroestet und gemahlen. Als ich das Toilettenhaeuschen aufsuche, donnere ich mit dem Kopf gegen den zu niedrig angebrachten Querbalken der Tuere. Die heiss geliebte Sonnenbrille auf meiner Nase hat noch Speed und landet-schwups- haargenau im 20x20 cm grossen Kloloch. Und tschuess- selbst fuer dies liebgewonnene Utensil fische ich nicht im Trueben. Schiete, im wahrsten Sinne des Wortes. Um 10 Uhr breche ich auf. Es geht mir besser. Das Land ist schoen: urwaldartige Dickichte, grosse Baeume, Bananenstauden. Die Tukuls haben saubere Vorgaerten mit Hecken und Wiesen, auf denen die Familie ihren Tag verbringt. Hier wird gearbeitet, gegessen, gespielt. Man liegt in der Sonne oder sitzt im Schatten eines Baumes. Gekocht wird im Haus. Die Kinder spielen mit selbstgebasteltem Spielzeug aus Lehm, Stein, Draht, woraus sie Metallreifen und Autos herstellen. Mittags bin ich in Yirga Chefe, 400 km hinter Addis und etwa 380 km vor Moyale. Hier esse ich Spaghetti und schreibe Tagebuch. Kaum bin ich wieder losgefahren, passiere einen Marktplatz, fliegt von links hinten ein Stein in meine Speichen. Eigentlich kommt nur ein Junge in Frage und ein anderer Jugendlicher bestaetigt nickend mit einem Fingerzeig meinen Verdacht. Ich verfolge den Knaben mit dem Rad, fasse ihn am Schlawittchen. Ein grosser, kraeftiger junger Mann mischt sich ein, fast grob meine Hand und deutet an, mich schlagen zu wollen, versteht aber nichts, als ich frage, ob er gesehen habe, wer den Stein geworfen habe, wenn er sich einmischt. Ich lasse den Jungen gehen, weil ein Aelterer meint, der Bub sei unschuldig. Fuer einen Aethiopier stellt sich dabei nur die Frage, ob ich verletzt wurde. Wenn nicht, ists halb so schlimm und die Aufregung nicht wert. Man versteht nicht, dass ein Steinwurf fuer einen Deutschen eine Beleidigung und ein uebler Angriff ist. Es geht steil bergauf, Kilometer um Kilometer. Drei, vier Jugendliche haengen sich groelend an mich, wie bereits tausende Male die Frage: “You! Where are you go?” Es wird nicht gegruesst, sondern bohrend gefragt. Meist antworte ich auf diese provokative, dumme Frage mit einer ebenso dummen Antwort: “Hawai”, oder “Addis”. Da es rechts und links ueber 1000 km keine befestigten Strassen gibt und ich in Suedrichtung fahre, ist die Frage schlichtweg ueberfluessig. Die Jungs wollen es wissen, werden frecher und ich deutlicher. Schliesslich stelle ich das Rad ab und scheuche sie weg. Aus groesserer Entfernung schreien sie nun wie die Affen “Huh-huh-huh-woa-woa” um mich weiter zu aergern. Ich kann sie nicht einholen, auch nicht das Rad alleine lassen, um sie zu verfolgen und das wissen sie genau. Also ignoriere ich das Gekreische. Als ich auf dem Kamm der Steigung angelangt bin und es schneller bergab geht, bin ich sie los. Insgesamt geht es aber weiter bergauf und es wird kuehler. Ich schaetze, dass ich wieder auf etwa 2200 Meter ueber NN bin. Gewitterwolken ziehen auf, dann beginnt es zu regnen. Ich stelle mich unter einen Baum neben der Strasse. Sogleich bleiben Passanten stehen, um mich reglos zu begaffen. Einer ist besonders neugierig, laesst sich auch durch den anhaltenden Regen nicht vertreiben: ”You! Where are you go?” Mir kommt der Mist zu den Ohren raus, wie kann ein ganzes Volk nur derart stupide den gleichen Spruch aufsagen? Egal, wo man in Aethiopien hinkommt, unisono, ueberall derselbe, nervtoetende Quatsch. So eine Monotonie habe ich noch nie erlebt und soviel aufdringliche Unhoeflichkeit auch nicht. Als der Mann nach 20 Minuten auch noch anfaengt mich im Gebuesch zu umkreisen, reicht es mir und ich verjage ihn. Sobald der Regen nachlaesst, fahre ich weiter. Es ist jetzt kalt, ich bin durchgeschwitzt und es wird dunkel. Ich packe ab, wechsle im Licht der vorbeifahrenden Autos mein nasses Hemd gegen ein trockenes Shirt und einen Pullover. Meine Fahrradlampenbatterien haben den Geist aufgegeben und ich lege die Kamerabatterien stattdessen ein. Zusaetzlich setze ich die Kopflampe auf. Die Strasse ist hier voller Loecher und obwohl es bergab geht, muss ich langsam fahren, um keinen Bruch der Fe;gen zu riskieren. Es regent staerker. Ich bitte um Unterstand vor einem kleinen Lehmhaeuschen mit Wellblechvordach. Hier wohnt eine Familie. Der Vater, ein Mann Anfang Dreissig, laedt mich ins Haus ein. Ich verteile an die sechs Kinder meine letzten Kekse und lasse meine Mangos und Bananen dort, als ich weiterfahre. Ich will Agere Maryam erreichen, um das Interview zu sehen. Aber das sind noch ca. 35 km. Im naechsten Dorf hat man zwar, wie ueberall hier, keine Stromleitung, aber einen Generator. Die Jugendlichen sitzen im ueberdachten Innenhof eines Hotels der Minusklasse auf Holzbaenken und schauen sich einen amerikanischen Billig-Action-Schinken an. Ein junger Mann betaetigt sich als Guide und ich esse mit ihm zusammen Indschera. Er heisst Alemajew, nennt sich Alex und will von mir wissen, was er fuer seine Zukunft tun soll, denn hier im Dorf Gedeb gibt es keine Arbeit, keine Zukunft. Ich miete fuer schmale 7 Birr ein Zimmer und wir trinken Harer-Bier, ein aehtiopisches Gebraeu aus Ostaethiopien. Der Wirt schliesst um 22 Uhr, aber das Interview wird erst um 22.50 Uhr gesendet. Alles Bitten nuetzt nichts. Der Mann ist verschlossen und unwirsch. Ich insistiere, Alex tut sein Bestes. Himmel, ist der Kerl stur! Er schliesse immer um 22 Uhr, ist sein Argument. Da hilft nur Geld. Ich biete 10 Birr, einen Tagesverdienst. Er zoegert, bei 20 Birr knickt er ein. Tatsaechlich hat ETV Wort gehalten: Meet ETV- today: Harald Radtek und Renata Volkmann steht da auf dem Bildschirm. Der Hotelier und seine Gaeste staunen nicht schlecht, als sie mich auf dem Bildschirm wiedererkennen. Das Interview wird fast ungekuerzt gesendet und mir gefaellt, wie wir beide uns geschlagen haben. Alemajew gibt mir “Five” darauf. Die Toilette ist eine der uebelsten: ein rutschiger Brettersteig fuehrt an einem schmalen Abwassergraben vorbei in ein dunkles, stinkendes Loch. Mensch, was fuer Ferkel, denke ich. Zaehneputzen unter den Augen der Angestellten. Auf Deutsch frage ich sie, ob sie auch alles gut sehen koennen? Aus einer Bierflasche mit abgeschlagenem Hals giesse ich Wasser zum Waschen. Dann versuche ich die klemmende Tuere der winzigen Kammer zu schliessen. 15 Minuten Jagd auf Muecken und Fliegen- Kakerlaken ignoriere ich. geschrieben am 25.3. in Nanyuki
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