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Reisetagebuch

2/27/2004   Aethiopien / ca. 10 km hinter Agere Maryam

Schwarzwald

freundliche Polizisten, unfreundliche Kinder und eine ruhige Nacht

(Harald) Um 5.30 Uhr ist die Nacht zu Ende, weil die Musikanlage bis zum Anschlag aufgedreht wird und das Personal herumkrakeelt.

Ich ueberwinde meinen Ekel vor dem Abort, ein Mann hat auf den Plankenweg gepinkelt. Alemajew kommt und wir gehen ausgiebig fruehstuecken.

Als ich aufbreche, ist der Junge richtig traurig, hat Traenen in den Augen, er wuerde so gerne mit mir gehen, nur raus hier aus dieser provinziellen Trost- und Hoffnungslosgkeit.

Es ist bewoelkt und bergig. Mir kommt ein Mann mit einer Leier entgegen, ein einfaches, fuer meine Ohren unangenehmes Instrument. Am Strassenrand zwei Kuehe mit einem Amulett gegen den Buda, den boesen Blick ums Gehoern.

Mittags haelt ein Reisetruck, der aus Richtung Grenze kommt. Albrecht und Marianne aus dem Oberallgaeu haben gerade die Passage von Isiolo bis nach Moyale hinter sich und empfehlen mir dringend, auf einen Bus zu springen, die Strecke sei der Horror schlechthin. Das habe ich schon diverse Male gehoert, aber mein Fortbewegungsmittel ist das Rad. Marianne verwoehnt mich mit Leberkaes und Nudeln, Albrecht schenkt mir gefiltertes Wasser. Nach vielen Touristen, die an mir vorbeigerast sind, mal eine nette Ausnahme.

Dann geht es 200, 300 Meter tiefer, abwaerts mit Karacho. An der Kontrollstation der Polizei vor Agere Maryam treffe ich auf eine freundliche Truppe, die mich zu Limonade einlaedt. Sie sind aus Addis und wollen wissen woher, wohin und warum. Und was mir begegnet ist, ob ich Probleme hatte und wie Aethiopien sei und wie man seine Probleme in den Griff bekommen koennte. Fuer einen vorbeifahrenden Laien ist das eine mir doch haeufig gestellte Frage. Ob es anderen Reisenden auch so geht?

In der Kleinstadt esse ich Spaghetti und schreibe Tagebuch. Seit Auassa gibt es keinen Internetanschluss mehr, oft nicht mal Strom und fliessendes Wasser. Und man macht mir keine Hoffnung, dass sich das bis zur Grenze aendern koennte. Dahinter liegt der wuestenartige, menschenarme Norden Kenias und dort gibt es sicher ebenfalls keinen Internetanschluss. D.h., dass unsere Leser moeglicherweise wochenlang keine Eintraege werden lesen koennen. Dies hier ist die einsamste Strecke der ganzen Reise und auch die gefaherlichste. Man hat mir an der Strasse ein Leopardenfell angeboten, noch nass, mit einem Loch darin. Das junge Tier wurde mit einem Speer erlegt- verboten zwar, aber wen scherts?

Ich will weiterfahren, komme aber nicht weit, denn Tischtennisplatten locken. Die stehen zwar entsetzlich schief und der Boden ist ein grober Acker, die Schlaeger sind zigmal geflickt, aber all das tut dem Spass keinen Abbruch. Und natuerlich wollen sogleich die Lokalmatadoren geben mich antreten.

Als ich losfahre, ist es schon 16.30 Uhr und hinter der Stadt warnt mich ein LKW-fahrer, es sei zu weit bis Fintschewa, der naechsten Ortschaft, ca. 35 km entfernt und alles sei dichter Wald. Na, soll mir nur recht sein, dann kann ich mal in Ruhe schlafen!

Tatsaechlich wurden hier vor 15, 20 Jahren grosse Fichtenschonungen angelegt und ich fuehle mich an den Schwarzwald erinnert. Im naechsten Dorf grapscht man nach mir, die Kinder kreischen und groelen aggressiv und weil ich nicht wieder und wieder die gleichen Fragen beantworte (Where are you go?), schlaegt die Stimmung um. “You, you, you, you… bruellt es ringsum, Gelaechter, Spott, mein Blutdruck steigt und das ist auch der Sinn der Sache. Zwei, drei Jungs wollen es wieder mal richtig wissen, legen meine Zurueckhaltung als Schwaeche aus, provozieren mich. Ich sage ein, zwei Mal, sie sollen mich in Ruhe lassen, ernte aber nur Gelaechter. Entgegenkommende Erwachsene helfen mir nicht, trotz Bitte. Schliesslich reicht es mir. Ich kann nicht wegfahren, weil es lange und steil bergauf geht. Also greife ich zum einzigen Mittel, dass die Bande auf Abstand haelt: dicke Steine. Schon rennen sie davon, schreien aber aus der Distanz weiter. Ein Autofahrer versucht den hysterischen Haufen zu maessigen- ohne Erfolg. Ich kann nicht mehr fahren, schiebend versuche ich zu entkommen. Rechts von mir laufen sie durch den Wald, sicher im Schutz der dichtstehenden Baeume. Endlich gesellt sich eine Gruppe Fussgaenger zu mir, ein Mann kaut Tschatt. Ihm gelingt es, die Horde auf Distanz zu halten und wir sind jetzt auch schon weit vom Dorf entfernt. Nach und nach geben die Kinder auf.

Als ich den Kamm erreiche und befreit wegfahren will, stelle ich fest, dass der Hinterreifen platt ist. Na, herzlichen Glueckwunsch! Ich lasse mir nichts anmerken, tue so, als ob ich nur pausieren will, damit niemand weiss, dass ich hier im Wald uebernachten werde.

Als Kinder und Fussgaenger ausser Sicht sind, schiebe ich das Rad in den dunklen Nadelwald, ueber einen dicken Nadelteppich, zwischen die regelmaessigen Reihen der Staemme hindurch. Weicher Boden und dichte Kronen schlucken den Schall, es ist herrlich ruhig hier. Etwa 200 Meter tief im Wald suche ich eine ebene Flaeche, verstecke mich erneut, weil holzstapelbeladene Frauen auf dem Weg ins Dorf vorbeilaufen. Sie bemerken mich nicht, sonst wuerde ich das Wort “Ferendschi” hoeren.

Endlich mal alleine sein und in Ruhe schlafen! Als ich das Zelt aufbaue, bekomme ich wieder Bauchkraempfe- ich haette das Brunnenwasser gestern nicht zum Zaehneputzen benutzen sollen. Das Abortloch war nur ca. 10 Meter, der Abwassergraben nur 2 Meter vom Brunnen entfernt, dass konnte nicht gutgehen.

In der Nacht zieht unten an der Strasse eine Gruppe junger Maenner vorbei, die sich laut singend offenbar Mut machen wollen im dunklen Wald.

Ich schlafe gut, aller Schall ist gedaempft wie in einem Keller. Ein paar Hyaenen jaulen in der Ferne, ich hoere eine monotone Trommelmelodie.

geschrieben am 26.3. in Nanyuki


 

 

 

 

 

 

 

 

 


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