3/3/2004 Aethiopien / Moyale
Schweine auf kurze Distanz
Ankunft an der Grenze zu Kenia / Gogo vor der Dusche
(Harald) Sonnenaufgang um 6.35 Uhr. Ich naehere mich dem Aequator, so dass Sonnenauf- und untergang fast zur gleichen Stunde stattfinden. Niemand weckt mich, nur ein kuckuckaehnlicher Vogel meckert ueber den ungebetenen Stoerenfried in seinem Revier. Die Nacht war kalt, ich musste erstmals wieder die Decke benutzen, Dabei wollte ich sie eigentlich schon weggegeben haben. Das Zusammenpacken dauert ueber anderthalb Stunden. Waehrend ich meine Abfaelle verbrenne, hoer ich trippelnde Schritte hinter mir. Kinder! ist mein erster Gedanke, aber als ich mich in der Hocke umdrehe, kommt ein graues Warzenschwein mit zwei Ferkeln auf mich zugelaufen. Sie verharren bei meinem Anblick reglos, keine 10 Schritte entfernt. Der Wind steht seitlich, so dass die Mama schnueffelt, mich aber nicht wittern kann und mit diesem weissen, reglosen Lebewesen und dem komischen Drahtesel kann sie nichts anfangen. Grunzend schickt sie ihre Ferkel auf Distanz, sie selbst beginnt mich zu umkreisen, um in die Witterung zu kommen und als sie den ersten Hauch riecht, wird ihr klar: Mensch und Feuer! Laut grunzend rennt sie mit hoch aufgerichtetem Schwanz davon. Was fuer ein schoener Moment. Heute fegt mir ein starker Wind aus 11-12 Uhr entgegen, zwingt mich nahezu auf Wandertempo runter. Nur noch wenige Menschen sind zu sehen, ein paar Kuhhirten, einsame Fussgaenger, die stundenlang zur naechsten Siedlung gehen. Die Aethiopier sind phaenomenale Geher und Laeufer. Distanzen, die wir zum Radfahren in Deutschland als zu weit empfinden wuerden, die wir selbst mit dem Auto einplanen muessen in unseren Tagesablauf, legen sie fast taeglich zu Fuss, oft mit Lasten beschwert, zurueck. Ich erreiche das Dorf Bokulugoma, 62 km vor Moyale, dann Ilamo, ein paar Lehmhuetten nur, aber stets gibt es irgendwo Wasser und etwas zu essen. Dann noch eine Station, 5,6, Haeuschen. Wasser fassen. Das You-you-Geschrei flaut ab, auch das Hinterherlaufen wird seltener. Ein paar LKW, Busse, 4x4. Viele Voegel, Kuehe, Ziegen sind sowieso ueberall. Die Strasse ist schlecht, uneben, meine Haende schlafen ein, dass hat sich in 19 Monaten nicht geaendert. Kurz vor Moyale seit Tagen wieder die ersten Taxis und viele Tukuls, zwischen denen rot-braune Trampelpfade das spaerliche, aber satte Gruen durchziehen. In der Stadt, deren Geschaeftigkeit hauptsaechlich an der einzigen Teerstrasse stattfindet, scheint man an Ferendschis gewoehnt. Moyale ist der einzige, offizielle Grenzuebrgang nach Kenia, wenngleich es am Lake Turkana einen weiteren, wenig bekannten, inoffiziellen gibt. Strassenhaendler bieten Lederjacken und Struempfe feil, ueberall liegt Tschatt herum, die ostafrikanische Droge Nr. 1. Gruene, klebrige Lippen, dicke Wangen, in denen der Brei zwischengelagert wird. Die Maenner haben ein ungehobeltes Auftreten: direkt, unhoeflich, laut, aufdringlich. Im ersten Hotel stinkt die Toilette unertraeglich. Das zweite ist nicht viel besser, aber mit 13 Birr billig. Hinter mir ruft jemand: “Harald!” Der Polizist der Kontrollstelle vor Agere Maryam- herzliche Begruessung. Aber der Mann scheint sehr beschaeftig fuer einen Polizisten. Im Hotel haben die jungen Koechinnen den Ferendschi kichernd im Visier, der da vor seinem Zimmer am runden Plastiktisch sitzt und schreibt. Jedenfalls schicken sie mir einen kostenlosen Happen Kartoffeln mit Tomaten, ganz schmackhaft. Nett. Der Polizist sitzt mit einem halben Dutzend Maennern in einem dunklen Zimmer, die Backe voller Tschatt, sieht er wie ein Zahnkranker aus. 4, 5 Prostituierte lungern gelangweilt herum, warten auf die Nacht. Hier gibt es winzige Muecken, wenn auch nicht viele, die Stiche jucken nicht lange. Auch hier draengt man mich, die Strecke nach Isiolo mit dem Bus zu fahren. Wenn das schon die Aethiopier sagen, muss es wirklich uebel sein, da draussen in der Wueste Nordkenias. Ich mache einen Abendspaziergang, schaue mir in einem Minikino mit Videorecorder und Fernseher einen abstrusen Thriller an. Egal wie hart es hergeht, stets sitzen Knaben im Publikum, fuer die das Gezeigte gaenzlich ungeeignet ist. Maedchen ist der Zugang offensichtlich verwehrt. Es hat sich natuerlich auch hier gleich ein Guide eingestellt, ohne geht es fast nicht. Paul ist ein etwas naiver Typ mit dem Hang, sich wie ein nordamerikanischer Rapper aufzufuehren. Yeah, man, whats up? Im Hotel wieder Stress. Eine Dusche war ausdruecklich zugesagt, funktioniert aber nicht. Wusste man, sagt es aber nicht. Hauptsache, der Ferendschi ist erstmal drin. Als ich mich mit einer dreckigen Plastikkanne kalt uebergiesse, stellt sich heraus, dass der Abfluss verstopft ist und ich in einer tiefen Lache Schmutzwasser stehe. Weil ich im Wasser stehend meine Hose nicht anziehen kann, trete ich aus dem Verschlag heraus. Einer der jungen Angestellten steht vor mir und will an mit vorbei, genau JETZT, den Abfluss reinigen. Das ich vor vorbeigehenden weiblichen Hotelgaesten mit nacktem Unterkoerper dastehe, die Hose wie ein Feigenblatt vor mich haltend, stoert ihn nicht. Ich sage: “Go.” Grinsen, er ruehrt sich nicht. “Go!” weiteres Grinsen. Ich packe den Kerl an der Schulter und drehe ihn um um sage wieder “Go”. Der Kerl geht zwei Meter weiter, dreht sich um, starrt mich an und grinst. Ich will meine Hose anziehen und das weiss er natuerlich und wartet auf den grossen Augenblick. Meine Sicherung brennt fast durch:”Go,go, go” bruelle ich. Weitergrinsen. Ich schluepfe also notgedrungen in meine Hose und der Spanner macht keinen Hehl aus dem Objekt seiner Neugierde. Kaum habe ich die Hose an, stuerze ich auf den Mann los, stosse ihn zurueck. Grinsen, sie sind allemal hart im Nehmen. Ich lasse es bewenden, muesste ihm eigentlich eine Ohrfeige fuer seine Unverschaemtheit verpassen. “Welcome to Ethiopia!” sage ich vernehmlich Spaeter lachen sich die Angestellten Maenner halb tot ueber die Szene. Anderer Mann, Kellner, Szene wie vielerorts in Aethiopien: Ante (amharisch fuer “eine”) Ambo, dazu erhobener Zeigefinger. Was kommt? Eine Cola. Das hat natuerlich nichts mit Missverstaendnissen zu tun. So etwas habe ich aber auch fast ausschliesslich in Aethiopien erlebt. Die Schikane, das Vortaeuschen von Missverstaendnissen, hat wohl den Zweck, dass eigene Selbstwertgefuehl aufzubauen, weil man den Fremden aergern kann, dem man sich wahrscheinlich von vornherein unterlegen fuehlt. Vielleicht kommt eine Portion Fremdenfeindlichkeit hinzu und die Suche nach einem Ventil fuer die allerorts praesente Aggressivitaet. Da das Hotel ein Restaurant hat, ist vor Mitternacht an Schlaf nicht zu denken. geschrieben am 27.3. in Nanyuki
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