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Reisetagebuch

3/9/2004   Kenia / Marsabit

Dritte Etappe / Dreiteufelsnamen

Gebremster Kraftakt in Trance

(Harald) Heute liegen die letzten 85 km bis zur Zwischenstation Marsabit vor uns. Jeder weiss durch Henry, der abends eine kurze Einweisung gibt, dass es heute nochmal knochenhart wird.

Heute will ich frueh losfahren, die letzten beiden Tage hat Henry, mit Ruecksicht auf die begleitende Polizei, die Abfahrtzeit fuer alle festgelegt, heute kann jeder abfahren, wann er will.

So bin ich der Erste, der sein Rad kurz nach sieben Uhr auf die Geroellpiste schiebt. Nach einer dreiviertel Stunde ueberholt mich ein weiterer Fruehfahrer, dann noch einer. Ich wundere mich, wo die anderen bleiben, denn man wollte um 7.30 Uhr losfahren.

Die Strecke ist zu schlecht zum Zufussgehen, erfordert volle Konzentration. Den Lenker muss ich mit aller Kraft halten, staendig schlaegt er aus, die Raeder rutschen auf dem Kiesgeroell weg. Beim Spurwechsel durch die von den Loris, den LKW-Taxis, seitlich aufgeworfenen Kieswuelste, rutscht das Vorderrad meist weg und ich muss absteigen.

Wo, in Dreiteufelsnamen bleiben nur die Semiprofis? Wieso ueberholt mich keiner mehr? Und Rob, der Fuehrende, wieso kommt der nicht vorbei und Martin? Da muss ein Unfall passiert sein, vielleicht ein boeser Sturz.

Was fuer eine Hitze! Die Luft flimmert ueber der umgebenden Ebene, sicher mehr als 40 Grad im Schatten.

Nach 35 km ein kleines Dorf in einem Wadi, der duenn mit Akazien bestanden ist. Es gibt ein Hotel und jemand ruft: “Welcome! Have a break, drink something!” (mach ne Pause, trink was). Nun, waere ich alleine unterwegs, wuerde ich anhalten, aber jetzt nehme ich am Rennen teil. Ich will als “Gastracer” nicht der Letzte sein, will nicht die Polizei aufhalten, die hinter dem Letzten bleiben muss.

Bei km 42 wartet der Versorgungstruck auf uns. Meine erste Frage an die Crew: “Wo sind Rob und Baard und die all die anderen, was ist passiert?” “Die sind schon lange weitergefahren.” Was?? Das ist unmoeglich! Gibt es eine zweite Piste, eine Abkuerzung? Erstaunen, Verneinung. “Warum wunderst du dich?” werde ich gefragt. Weil die anderen nicht an mir vorbeigekommen sind, ich bin doch nicht verrueckt, ich habe Martin und die anderen nicht gesehen. Es bleibt ein beunruhigendes Raetsel.

Nach und nach trudeln die Letzten ein, die meisten geben auf, etwa ein Drittel der Fahrer schafft es heute nicht, auch ein paar der langen Heringe, die typischen Radfahrprofifiguren, die voellig aufgebraucht an den Fenstern der Trucks spaeter an mir vorbei fahren. David ist der Sattel gebrochen, sein vierter waehrend dieser Tour, kein Wunder bei 120 Kg Muskelmasse. Mit ihm habe ich mich richtig angefreundet, was fuer ein Spassvogel! Wir albern herum, der Mann ist ein Kontaktgenie, geht auf jeden zu.

Ich weiss nicht wieso, aber das Treten faellt mir heute viel schwerer, ich muehe mich unglaublich ab, denke an Aufgabe, spiele das Szenario durch: Versorgungsauto stoppen, mein Gepaeck nehmen, mit der Polizei sprechen… Aber dann raffe ich mich wieder auf: Noch 5 km, o.k.? Dann, dort angekommen: Noch diesen Huegel dahinten hinauf, o.k.? (…einer geht noch!) Und so arbeite ich mich voran, vertroeste mich wieder und wieder selber.

Vor mir taucht das Bergmassiv von Marsabit auf, eine gruene Insel in der Steppe, die ihre Ueppigkeit der Kuehle verdankt, die sich bei zunehmender Hoehe einstellt. Nach einer ausgedehnten Ebene geht es allmaehlich aufwaerts.

Das Aerztepaar zieht mich mit, aber irgendwann muss ich die Beiden ziehen lassen, sie sind zu schnell. Auch Yuko, die verschlossene Japanerin, kaempft. Ich setze mich zu ihr, als sie pausiert. Aber nach ein paar Minuten bricht sie auf. Tja, es ist ein Rennen, da gibt es nicht soviel Solidaritaet.

Etwa 25 km vor Marsabit beginnt der Nationalpark Marsabit und endlich, endlich, wird die Strecke etwas besser. An km 19 vor der Stadt steht die Polizei auf einem Kamm, den ich hinaufschieben muss, so muede bin ich. Ist das die Infektion, die mich so so lahm macht? Sogar meine Oberschenkel schmerzen, das habe ich sonst nie.

Jetzt gebe ich den Gedanken an Aufgabe endgueltig auf, fixiere mich aufs Ziel. Es geht weiter bergauf. Ich fahre an einem etwa 1,5 km breiten, trockenen Krater vorbei, ein wunderschoener Anblick. Seit Moyale ist die Landschaft vulkanisch gepraegt, kleinere und grosse, uralte Vulkankegel ragen aus der Ebene hervor. Der groesste Vulkan hat vor millionen von Jahren Marsabit geschaffen.

Mein Ruecken schmerzt, die Handgelenke, Gesaessmuskeln, ich habe taube Haende, bin voellig erschoepft, kraftlos. Nur noch ankommen.

Insgesamt sind heute ueber 800 Hoehenmeter zu erklimmen, tatsaechlich natuerlich, bedingt durch das Auf und Ab, sicher das Dreifache.

Hier liegen wieder Holzstapel am Strassenrand, die von Frauen im Busch geschlagen und von vorbeifahrenden Autofahrern gekauft werden. Auch Saecke mit Holzkohle fuer die kleinen Kochstellen stehen hier.

Die Strasse wird immer besser, ein fester, roter Lehm mit Sandfilm. Die ersten Haeuser tauchen auf, Fussgaenger. “How are you?” heisst es, man winkt laechelnd. Ich liebe Kenia.

Dann zeigt sich der Gipfel des Mount Marsabit, ein sattgruener Kegel voller Regenwald. Es wird immer kuehler, die Sonne steht zudem bald niedrig.

Stephanie, eine Amerikanerin, versucht mich zu ueberholen. Ich halte Schritt, bremse sogar, mit der Idee, zusammen durchs Ziel zu fahren, aber sie faehrt bald davon. Tja, es ist halt ein Rennen…

Nach 9 Stunden Treten erreiche ich am Nachmittag das Ziel. Henry steht in Marsabit Town an der Strasse. Flache Steinhaeuser, Wellblechdaecher, jede Menge einfach Hotels, Laeden, Restaurants, ein Markt, eine Poststation und jede Menge Staub. Die Menschen eine bunte Mischung aus muslimischen Somalis in langen Gewaendern, mit Kaeppis und Turbanen und Baerten, Borana in europaeischer Kleidung und auffallende, rotgekleidete und –bemalte Samburu- und Rendillemaenner, federngeschmueckt und voller Schmucknarben.

In einem kleinen Restaurant treffe ich David (“Hey man, whats up?). Wir essen Szamoszas und Pommes de frites, hier “Chips” genannt und trinken Ananassaft . Das Paradies. David ruft die runde, buntgekleidete Mama hinter ihrem Tresen hervor und umarmt und kuesst sie. Was fuer eine Seele, dieser Mann.

Unser Camp liegt am Eingang des Marsabit Reserves, einem grossen Schutzgebiet. Das Tor zieren zwei Metallnashoerner, aber die sind hier ausgerottet. Bekannt ist der Park fuer seine etwa 400 Waldelefanten und die Kaffernbueffel.

Unter 20-25 Meter hohen Laubbaeumen, im tiefen, weichen Gras stehen schon die bunten Zelte, eine Pavianhorde turnt in den Kronen umher, jede Menge Voegel geben ein schoenes Konzert und Massen von Schmetterlingen bieten das optische Pendant dazu. Das ist ein Paradies und einer der schoensten Campingplaetze, die ich je hatte.

Meine erste Frage geht an die Spitzenfahrer: Wo seid ihr langgefahren, abgebogen, da ihr nicht an mir vorbeigekommen seid? Allgemeines Erstaunen, Gelaechter. “Wir haben dich doch ueberholt, da und da, du bist mit gesenktem Kopf gefahren, hast nicht zurueckgegruesst… Ich fasse es nicht! Ich war derart versunken, konzentriert, dass ich gut 20 Fahrer auf der einsamen Strecke nicht bemerkt habe. Das erschreckt mich und zeigt, wie drastisch sich die Wahrnehmung unter Belastung veraendert.

Die Trucks haben schon das Abendessen vorbereitet, es gibt Fleisch und Reis und Porretsch, von dem alle wahre Berge vertilgen. Die suedafrikanische Krankenschwester, eine Weisse, deren Muttersprache Africaans ist, eine Mischung aus Hollaendisch und Englisch, ruft laut in die Runde: “Look, David, there are your brothers!”, wobei sie grinsend auf die Paviane ueber uns zeigt. Ich bin geschockt, keiner greift sie deswegen an und David sagt nichts dazu. Ich habe in den letzten drei Tagen schon einmal eine rassistische Bemerkung ueber David gehoert, aber das zeigt, wo Teile der Buren, die niederlaendischer Herkunft sind und seit dem 16. Jh. in Suedafrika siedelten, auch heute noch stehen. Nicht mein Geschmack sind auch andere ruede Bemerkungen ("Das vor dem Zelt ist kein Elephant, sondern deine Frau, Fred!)

Da das Duschwasser schon von den Fruehangekommenen verbraucht wurde, lasse ich mich neben den Trucks, am Wassertankwagen, vom Schweizer Hans-Martin mit Wasser uebergiessen. Notgedrungen vor aller Augen und nackt, aber ich habe mich drei Tage nicht waschen koennen.

Spaeter erklaert sich meine Quaelerei: Meine hintere Felge hat sich verzogen, weil eine Speiche fehlt und dadurch bin ich mit reibender Bremse gefahren! Auf die Idee bin ich garnicht gekommen und waere ich nicht so erschoepft, ich muesste ueber mich selber lachen.

Im Wald hinter dem Camp roehrt zweimal vernehmlich ein Elefant, aber als die Parkdirektion warnt, nicht in den Wald zu gehen, bin ich der einzige, der das Tier gehoert hat.

In der Zwischenzeit haben die Paviane sich meine Tschapatis aus dem Vorzelt geholt. Guten Appetit wuensche ich.

geschrieben am 28.3. in Nanyuki


 

 


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