3/12/2004 Kenia / Marsabit
Exodus der Rastafaris
Kleine Fertigkeiten / die Geschichte der Rastafaris
(Harald) Jemand hatte mir in Suedaethiopien gesagt, dass die Regenzeit um den 15.3. herum beginnt und er hat Recht behalten. Heute morgen sind schwere Regenwolken aufgezogen und der Regen hat ueber Nacht ueberall auf den Strassen und Wegen braun-rote Schlammpfuetzen hinterlassen. Heute ist Freitag, mulimischer Sonntag. (warum heisst unser Freitag eigentlich so, wenn er doch nie frei ist?). Ich hole mir mit einem Plastikeimer Wasser aus der Zisterne, wobei man den Eimer mit der Oeffnung nach unten fallen lassen muss, sonst schwimmt er wie ein Boetchen und fuellt sich nicht- so was lernen wir in Deutschland nicht, genauso wenig, wie sich mit einem Liter Wasser zu Duschen, oder sich auf dem Klo die Hosen so herunterzuziehen, dass sie nicht den schmutzigen Boden beruehren, ein Trick, den man nicht beschreiben, sondern nur demonstrieren kann. Sich ohne Spiegel nass zu rasieren, so wenig Seife und Zahnpasta zu benutzen, dass man wiederum wenig Wasser braucht, um diese ab- und auszuspuelen u.a. gehoeren zu diesen in der Heimat unnoetigen Fertigkeiten. Wie im Sudan und in Aethiopien auch, kommen die Gullydeckel (und Vorhaengeschloesser) alle aus China. Was fuer ein Aufwand, diese Gewichte durch China zu karren, ueber diese Distanz zu verschiffen, dann von Mombasa aus 2000 km bis hierher bringen. Mein Ladegeraet fuer Kamera- und Fahrradlampenbatterien und das Satelitentelefon kann ich hier mangels Steckdosen nicht benutzen. Und sauberes Wasser zum Zaehneputzen gibt es auch nicht. Also nehme ich alles mit zu Sarahs kleinem Imbiss. Sie freut sich offensichtlich mich zu sehen und macht mir Ruehreier (was sonst), weil ihre Szamoszas nicht fertig sind. Die Stadt ist heute voller rotgekleideter Samburu und Rendille. Ausserdem gibt es hier Borana, Gabbra und Somali. Die Musik ist vielfaeltig, reicht von aethiopischen Klaengen der Oromen ueber kenianische, buntere Musik bis hin zu Hip-Hop und jede Menge Reggae. Wie schon in Aethiopien, sieht man allerorten Bilder von Bob Marley, der eine Art afrikanischer Volksheld ist. Erst hier ist mir der Text seines “Buffalo Soldier” eingegangen. Aethiopien hat aber eine besondere Schicksalsverbindung zum Reggae: “Der letzte Kaiser” Aethiopiens, Haille Sellassin, war in seinen jungen Jahren ein Fuerstensohn und der aethiopische Fuerstentitel (gut zu wissen fuer alle Kreuzwortraetselfans), lautete “Ras”. Sein Vorname war Tafari, seine offizielle Ansoprache lautete demnach Ras Tafari. Na, klingelt da etwas? Eines Tages stand auf dem Besuchsprogramm des Kaisers Kingston, Jamaika. Tausende christlich-glaeubiger Jamaikaner standen erwartungsvoll auf dem Rollfeld, um den Staatsgast zu begruessen, darunter viele, die auf einen neuen Messias hofften, der laut ihrer Ueberlieferung dereinst ueber das Meer kommen wuerde, ein Schwarzer, ein Herrscher, der die Sklavenabkoemmlinge in Amerika wieder in ihre Heimat Afrika bringen wuerde und bei seinem Erscheinen wuerde es regnen. Und im Moment der Landung begann es tatsaechlich in Stroemen zu regnen, die Prophezeiung hatte sich erfuellt. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde davon und die spirituellen Fuehrer der Jamaikaner erklaerten Haille Selassie/ Ras Tafari zum erwarteten Anfuehrer, worauf sich alle Jamaikaner, die dieser Glaubensbewegung verbunden fuehlten, fortan “Rastafaris” nannten und bis heute nennen. Ihre Kleidung ist aus den Farbtoenen Gruen, Gelb und Rot zusammengesetzt- den Nationalfarben Aethiopiens. Tausende Rastafaris machten sich danach nach Aethiopien auf, um die Weissagung mit Leben zu erfuellen und noch heute, ca. 40 Jahre spaeter, sieht man in Aethiopien, vorallem im Gebiet um Shashemene, viele Rasta-Locken und die riesigen, wollenen Muetzen in den aethiopischen Farben. Aethiopien war nicht der einzige afrikanische Staat, den die Auswanderunsbewegung der Rastafaris sich als Ziel aussuchte. Diese Bewegung “back to the roots” (zurueck zu den Wurzeln, der afrikanischen Herkunft der ehemaligen Sklaven Amerikas), nannte sich “Exodus” (Auszug) und Bob Marley hat dieser Bewegung mit einem seiner groessten Hits gleichen Titels ein bleibendes Denkmal gesetzt. Ich wandere mit meinem Rucksack Richtung Mount Marsabit, besteige aber nicht dessen bewaldeten Gipfel, sondern einen der nahezu kahlen Nebenhuegel, von dem aus sich ein herrlicher Blick auf die Stadt und die Wueste bietet. Ich finde eine Grille ohne Fluegel und viele Voegel zwitschern um mich herum, es ist schwuel. Als ich oben bin, beginnt es zu nieseln und ich eile im Schweinsgalopp zurueck, wobei ich ein Schulgelaende durchquere. Hier wird auch gebettelt, aber die Kinder sind nicht aufdringlich. Im Videoladen sehe ich mir einen Film an. Beim Abendessen amuesiere ich mich ueber die Maenner, die hier beim mit-den-Fingern-essen auch nicht vor Spaghetti mit Tomatensosse zurueckschrecken- was fuer eine Schweinerei! Die Hand bis zum Unterarm, dass Kinn, Stuhl, Tisch, Fussboden und Hemd, alles voller Nudeln und Sosse. Der Kellner fegt hernach die Reste mit Kehrbesen und -blech von Tisch und Stuhl. Zum Essen gibt es Tusker, eines der in Kenia gebrauten Biere. Die “Armen Schlucker” kaufen hier, um mit kleinem Geld betrunken zu werden, einen 40-%igen Klaren in kleinen, quadratischen Plastiktueten namens “Kane”. Dieses Zeug hat einen entsetzlichen Ruf. Die Kellner werden auch hier nicht gerufen, sondern man macht Geraeusche. Z.b. klatscht man in die Haende, klappert mit Tellern oder Glaesern etc. Wer sichs leisten kann, ist dick, wer dick ist, ist reich, lautet die hiesige Formel. Einer der jungen Guides verspricht mir, er haette einen Internetanschluss gefunden. Etwas ausserhalb des Zentrums finden wir das Buero einer amerikanischen Hilfsorganisation, die zwar ueber einen Netanschluss verfuegen, aber 28 Kenian Shilling pro Minute berechnen, d.h. etwa 35 Cent Euro (in Nairobi kostet das 1 Shilling). Um zwei Mails an die Racer zu schicken, damit sie meine Schutzbleche irgendwo deponieren, brauche ich 25 Minuten, weil die Verbindung so langsam ist. An das Schreiben eines Tagebucheintrages ist da nicht zu denken. geschrieben am 30.3. in Nanyuki
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