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Reisetagebuch

3/14/2004   Kenia / Isiolo

Boeses Erwachen

Wieder bestohlen / bei der Militaerpolizei in Isiolo

(Harald) Ich habe so gut geschlafen, es war ein toller Tag gestern. Aber es gibt ein boeses Erwachen am Morgen. Anders gesagt, wo viel Licht, da viel Schatten. Der Schatten, der auf mich faellt, ist lang.

In der Nacht habe ich mein Gepaeck draussen vors Zelt gestellt, wie ueblich mit den Riemenverschluessen an die Zeltstangen und zusaetzlich untereinander verschnuert. Im Compound der Familie habe ich mich sicher gefuehlt, aber trotzdem ist mein Gepaeck am Morgen gestohlen. Als ob mich ein Pferd in den Magen tritt, erfasst mich Panik beim Anblick der weissen Plastiktuete, in der lediglich das Aussenzelt ist und die als einziges uebriggeblieben ist. Ich weiss sofort, dass meine Nachfrage bei der Familie umsonst ist und man die beiden Gepaecktaschen gesteohlen hat. Den Rucksack hatte ich mit ins Zelt genommen, aber da ist auch nur das Mueckennetz drin. Alles von Wert war in den beiden Taschen.

Die Familie ist ebenfalls entsetzt, ein grosses Durcheinander bricht los. Ich bin wie gelaehmt, setze mich vors Zelt und realisiere, was geschehen ist. Mein erster Impuls ist, jemanden verantwortlich zu machen und fuer eine Sekunde will ich Suleiman die Schuld geben, der mir gestern versichert hat, hier sei alles sicher, “don’t worry” (mach dir keine Sorgen). Aber ich bin es ja selber schuld, ich haette die beiden Gepaecktaschen auch noch ins Zelt zwaengen sollen, Schmutz hin oder her. Aber was hilft dieses “Haette- Waere-Wenn”- es ist passiert.

Alles ist in diesen Taschen: Die Spiegelreflex samt zweitem Objektiv, die zwei teuren Computersticks fuer die Digi, (die jedoch im Zelt war und erhalten ist), mein Satelitentelefon, saemtliche Kleidung und vor allem- meine Papiere! Der Pass mit Impfpass und, man darf es garnicht sagen, die restlichen Travellerschecks. Eine Katastrophe.

Der Compound ist an zwei Seiten offen, jeder kann hinein, der Hund hat nicht angeschlagen, ich habe erschoepft zu tief geschlafen.

Suleiman stellt mir dauernd Fragen , die ich garnicht richtig mitbekomme. Ich sage, wuetend, aufspringend, das alles Wichtige weg sei, renne herum wie ein aufgescheuchtes Huhn. Suleiman hat aber recht- wir muessen herausbekommen, wer der Dieb war. Das hat schon einmal geklappt und dies ist ein kleines Dorf mitten in der Wueste, wo soll der Dieb schon hin? Er muss alles verkaufen und das geht nur in Marsabit, besser jedoch Richtung oder in Nairobi. Suleiman und ich kommen zum selben Schluss: Der Dieb wird wohl kaum ein Auto haben, also versuchen als Anhalter mitgenommen zu werden, oder einfacher, mit dem ersten Lori zu fahren! Als mir die Logik klar wird, dass es in solch einem kleinen Dorf viel zu gefaehrlich fuer den Dieb ist, das Diebesgut zu lagern, werde ich ganz nervoes. Ist der erste Lori schon da gewesen? Suleiman und zwei Brueder- Swaleh hat sich auch eingefunden, murmelt dauernd “sorry, sorry”-, und ich rennen fast zur Strasse, zum Restaurant. Dort die niederschmetternde Auskunft: Schon ein Lori und ein Auto sind heute morgen Richtung Norden gefahren.

Ins allgemeinene Palaver schalten sich immer mehr Leute ein, die Anteilnahme ist gross. Ich frage dauernd Suleiman: Was geht vor? Was wissen die Leute? Zwei Jungs betaetigen sich als Lasttraeger, erkennbar an ihren lilafarbenen Halstuechern, wenn die Reisenden das Gepaeck tief in die Savanne tragen muessen. Sie wissen, wer zugestiegen ist. Sie kennen hier jeden, sie haben das Gepaeck gesehen! Und, und? Sie sagen, es kaeme nur der Lori in Frage und ein dorfbekanntes Schlitzohr habe einen grossen, verschnuerten Karton aufgeladen, abgelehnt, dass man ihm dabei helfe, obwohl das Paket offensichtlich schwer gewesen sei. Ich zeige die Groesse, die ein Paket haben muesste, wenn beide Gepaecktaschen drin seien. Ja, etwa so gross sei das Gepaeckstueck gewesen. Suleiman verschwindet mit dem Restaurantbesitzer und Swaleh in der Kueche. Irgendetwas wird da ausgeheckt. Einen Moment misstraue ich allen, aber die anderen meinen, leicht laechelnd, ich solle mich setzen, mir keine Sorgen machen, dass wuerde wieder in Ordnung kommen.

Suleiman fragt mich, ob ich noch Geld habe. Ja, das war in meiner Hose und die war im Zelt. Nicht viel, aber es reicht fuer die Lori-Fahrt fuer zwei Personen, die mir Suleiman vorschlaegt. Und er sagt, der Grosshaendler im Ort, der mit Medaa, also Tschatt handle, sei ein Onkel des jungen Mannes, den man verdaechtigt. Ich frage, wann der Lori abgefahren sei und wann er ankomme. Der sei vor anderthalb Stunden los, aber vor dem Nachmittag nicht in Isiolo, der naechsten Kleinstadt und vorher werde der Dieb sicher nicht aussteigen.

Wir gehen, ca. ein Dutzend Maenner im Gefolge, zum Onkel, der die Geschichte schon gehoert hat und, soweit ich das seinem Gesichtsausdruck entnehmen kann, garnicht so sehr erstaunt ist, dass sein Neffe verdaechtigt wird. Er spricht lange mit Swaleh, der den Mann besser kennt und dann meint Suleiman, der Junge heisse Ztiw, sei ein ewig Tschatt kauender Bursche und gestern auch noch betrunken gewesen. Das passt alles.

Ich frage, ob jemand ein Telefon hat, denn so koennten wir vielleicht die Polizei vorwarnen, bevor der Kerl sich in den Strassen Isiolos verliert. Es gibt zwar keinen Festnetzanschluss im Dorf, aber der Onkel hat ein Handy, nur- wie lautet die Telefonnummer? Jemand rennt los, Suleiman sagt: “Wait!” zu mir (warte). Nach einer Viertelstunde kommt der Dorfpolizist, ohne Uniform, ohne Schuhe, statt eines Guertels eine Schnur als Guertel. Er hat eine alte Kladde unter dem Arm und auf einer vergilbten Seite stehen ein paar Telefonnummern. Suleiman waehlt, aber der Dorfpolizist reisst ihm den Hoerer aus der Hand und spricht selbst mit den Kollegen in Isiolo.

Suleiman muss dauernd uebersetzen, denn die Kollegen in Isiolo stellen eine Menge Fragen. Schliesslich nickt der Polizist und auch Suleiman scheint zufrieden. “Yes, Harry!” heisst es. Alle grinsen, mehrere klopfen mir aufmunternd auf die Schulter. Man will in Isiolo das ganze Gepaeck filzen, heisst es.

Im Restaurant warten wir 20 Minuten auf den naechsten Lori aus Marsabit, mit dem Suleiman und ich nach Isiolo fahren. Ein unglaubliches Gerappel ist das, ich werde umhergeschleudert, wie auf einem wilden Gaul. Etwa 15 Fahrgaeste teilen mein Leid, wir stehen auf Plastiksaecken voller Aepfel und Birnen- was fuer ein Gematsche wird das!

Gut ist, dass der Staub hinter uns bleibt und man eine herrliche Aussicht auf die Sandduenen der Wueste hat. Ich stehe hinten an der Ladeklappe und sehe unter dem Auto, kurz nach Abfahrt, eine etwa drei Meter lange Anakonda, eine Wuergeschlange auftauchen, ueberfahren.

Das Wellblech der sandigen Strecke laesst den ganzen LKW rappeln und metallisch quitschen. So geht das, mit zwei Pausen, bis 14.30 Uhr . Wir treffen in Isiolo ein und ich frage mich quaelend: Was, wenn unsere ganzen Annahmen falsch waren und wir die kostbare Zeit fuer eine falsche Faehrte genutzt haben?

Isiolo ist voller Massai, ueberall blaukarierte Tuecher und die typischen langen Holzkeulen voller Akaziendornen, die die Maenner mit Leder umwickelt haben. Und verschleierte Frauen, denn hier gibt es viele Somalis, Muslime, und eine grosse Moschee.

Ich renne fast voraus zur Polizeistation, Suleiman lacht, aber mir ist nicht danach. Mein Herz schlaegt bis zum Hals, als ich die Vorhalle der Wache betrete. Die Polizisten tragen hier bordeauxfarbene Uniformen und Schirmmuetzen, es ist hier laut und staubig, aber kuehl.

Wie ich den Gesichtern vor mir entnehme, weiss man, wer wir sind, wir werden erwartet. Ich will gerade nachfragen, als mich ein Polizist hinter die Theke winkt, in ein Zimmer. Hier residiert der Kommandant, ein Mann mit Kugelbauch und hochgeschobenen Aermeln, die Brust voller Fettflecken. Auf dem Tisch Kruemel, er hat wohl gerade gegessen. Er begruesst mich lasch mit Handschlag, stellt sich als Hauptmann Ekoj vor und bietet mir einen Platz an. Und, und? Haben sie mein Gepaeck. Seine heruntergezogenen Mundwinkel geben mir die Antwort, bevor er redet. Nein, man habe alle Fahrgaeste durchsucht, aber einige seien schon vorher ausgestiegen, an der Stadtgrenze und auch schon in der Wueste bei Archers Post. Suleiman runzelt die Stirn, ich bin fertig. Was jetzt? Mein letztes Geld reicht gerade mal fuer die Rueckfahrt, wie soll ich jetzt zur deutschen Botschaft nach Nairobi kommen, wo man mir neue Papiere ausstellen kann?

Der Hauptmann meint angesichts meiner Miene, sorry, taete ihm leid, ob ich rauchen wuerde? Nein. Ein Soda? Ja, mein Mund ist trocken. Er ordert eine Pepsi, Suleiman geht leer aus. Suleiman fragt mich, ob ich kurz vor die Tuere kommen koenne. Wir gehen hinaus, der Kommandant folgt uns, was ich seltsam finde. Suleiman zieht mich am Aermel um die Ecke und faengt sogleich an zu reden: Die wissen was, dass sehe er, da waere was faul, der Lori stoope nicht an der Stadtgrenze, nie, das taeten nur die kleinen Taxis. Der Mann luege. Und was soll ich tun? Suleiman will mir gerade etwas sagen, als der Kommandant um die Ecke kommt, als suche er uns. Ob alles o.k. sei? Ja. Ich solle doch mein Soda trinken. Das Ganze wirkt komisch.

Wir gehen ins Buero zurueck, ich bin aufgeregt, geladen, ueberlege, wie ich den Kerl dazu bekomme die Wahrheit zu sagen, falls er wirklich luegt. Der Kronkorken meiner Flasche ist zu, es gibt keinen Oeffner. Ein junger Polizist legt die Flasche auf die Tischkante, haut den Korken auf, der faellt zu Boden, ich denke noch: wie uberall…, als mein Blick auf ein Stueck Plastik faellt. Es ist die kleine, flache und durchsichtige Huelle einer meiner Speicherchips fuer die Digitalkamera!! Im ersten Moment will ich danach greifen, aber ich beherrsche mich, jetzt cool bleiben. Ich frage den Kommandanten, ob er eine Moeglichkeit sehe, trotzdem an die Sachen zu kommen. Der zuckt die Schultern, wer weiss. Was denn alles wert gewesen sei, in Dollar. Ich ueberschlage, nenne eine Fantasiesumme und sage: was soll der jetzige Eigentuemer (bloss nicht Dieb sagen!) denn mit den Sachen anfangen, ohne Anleitungen und einer uralten Kamera? Vielleicht koenne ich eine Belohnung aussetzen? Wieder zuckt er die Schultern, aber ich sehe, es brodelt in ihm. Suleiman sieht mich auffordernd an: weiter machen! Ich deute mit einem strengen Blick zum Boden, wo die Huelle liegt, nahe an seinen Fuessen. Er weiss zwar nicht, was es ist, aber er schaltet gleich, dass dieses seltsame Ding mir etwas sagt und hebt es auf, spielt damit unter dem Tisch.

Was waere, wenn ich 500 Dollar aussetzen wuerde (die ich nicht habe)? Es zuckt in seinem Gesicht, er schnauft laut, sieht zur Tuere, wo einer seiner Beamten steht, sagt etwas auf Kisuaheli, der Mann geht hinaus und schliesst die Tuere, waehrend der Hauptmann bedaechtig eine Schublade oeffnet und ein Formular herausholt. Ich solle das hier ausfuellen.

Suleiman spricht kurz mit El Kommandante und geht hinaus, kommt nach 5 Minuten zurueck, waehrend ich aus dem englischen Geschreibsel schlau zu werden versuche. Er bittet mich erneut hinaus, was dem Polzisten nicht passt, er wird ungehalten: “Stay, don’t you want your items back? (Bleib, willst du dein Eigentum nicht zurueck?) Ich gehe trotzdem und der Mann schickt mir einen Polizisten hinterher. Suleiman zieht mich schmerzhaft am Arm, wir rennen fast um die Ecke, da stehen zwei weisse Autos mit der mir schon bekannten Aufschrift, dem Kuezel S.S.A.P.S. (South Samburu Army Police Station) und erst als ich direkt vor dem Kofferraum eines der Toyotas stehe, sehe ich einen meiner schwarzen Riemen der Gepaecktaschen in der Klappe eingeklemmt. Der Polizist steht hinter mir, fast mich an der Schulter, was er sagt, verstehe ich nicht, ich bin voellig ausser mir, seit Stunden angespannt, und ich weiss jetzt, dass der Kommandant die Taschen hat und ich wirble herum und schlage die Hand des Polizisten von meiner Schulter, der mich sogleich versucht, festzuhalten. Ich deute auf den Kofferraum, versuche in meiner Aufregung mein deutsches Reden ins Englische zu uebersetzen. Der Polizist hoert garnicht zu und als ich nach dem Riemen greiffen will, kommt der Chef um die Ecke und mit einem Blick weiss er, dass er aufgekippt ist. Er wendet sich an die anderen Polizisten, harsch bellt er. Ich fasse mich: Meine Taschen seien im Kofferraums dieses Autos, ob er mir mein Eigentum bitte, dort herausholen koenne. Zwei seiner Jungs stehen neben mir und ich sehe die Wut in seinem Gesicht. Die Taschen seien nicht in diesem Kofferraum und ich koenne mich nicht so benehmen und solle sofort! nach vorne kommen. Ich insistiere, greife wieder nach dem Riemen, aber wieder ein Kommando des Chefs, zwei seiner Jungs packen meine Arme, man zerrt mich zurueck in die Halle. Jetzt wird jemand den Wagen wegfahren oder die Taschen wegschaffen und was dann? Die Plastikhuelle! Ich frage Suleiman, aber der sitzt, zwei Haende auf den Schultern, auf einem Stuhl, eingeschuechtert offensichtlich und ruehrt sich nicht. Was erlauben sich diese Leute eigentlich, das ist mir noch nie passiert. Das darf doch nicht wahr sein.

Ich will die Botschaft sprechen, verlange ich. Das Telefon funktioniere nicht und das sei doch nicht noetig, heisst es. Suleiman wird hinausbefoerdert. Der Kommandant macht einen neuen Versuch Ob ich immer noch eine Belohnung aussetzen wolle? Ja, natuerlich- der will Geld! Wieviel ich aufbringen koenne, da ich doch bestohlen worden sei? Mein Geld, Dollars, sei in meiner Hosentasche. “Show me”, (zeigs mir) meint er. Was jetzt? Nein, ich bezahle, aber erst will ich wissen, ob man mein Gepaeck beschaffen koenne. Er werde sehen, was sich machen lasse, aber er muesse sicher sein, dass die Belohnung vorhanden sei. Mein wunder Punkt. Vier Dollars sind in meiner Hosentasche, aber jetzt muss ich bloeffen, ziehe den geknickten Stapel heraus, halte den Daumen auf die Zahlen, zeige die Scheine und frage beim Wegstecken: O.k.? “Show me again”, (zeigs nochmal) meint der gerissene Hund. Wir diskuttieren hin und her, schliesslich meint er ich, solle morgen frueh wieder kommen, dann uwerde man sehen. Ob ich eine Kreditkarte habe? Ja, luege ich erleichtert. Eine goldene Bruecke. Wann die Bank aufmache, frage ich, falls das Geld nicht reiche.

Am Ende lande ich mit Suleiman in einem billigen Hotel, verzweifelt, schlaflos, auch Suleiman kann mich nicht beruhigen. Wie soll ich den Mann bezahlen?

Morgen: Warum ich seit 2 Wochen in der Provinzhauptstadt Nanyuki auf eine Gerichtsverhandlung warte.


 

 


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