3/14/2004 Kenia / Laisamis
Die wahre Geschichte
Nomadenvampire, der Koenig der Tiere und der Buergermeister von Takatukaland
(Harald) Ich hoffe, ich konnte Euch alle ein wenig in die Irre fuehren, jedenfalls habe ich Euch einen April-Baeren aufgebunden. Mein Gepaeck wurde nicht gestohlen, ich bin nicht mit Suleiman nach Isiolo gefahren. Gepaecktraeger mit lila Stirnbaendern gibt es in der Wueste Lokologos nicht, auch keine suedamerikanischen Anakondas, die kenianische Polizei gehoert nicht zum Militaer und traegt keine bordeauxfarbenen Uniformen, der imaginaere Dieb namens Ztiw heisst rueckwaerts gelesen Witz, der Polizeichef nicht Ekoj sondern Joke (engl. fuer Witz) und seine Einheit SSAPS (Southern Samburu Agency Police Station) SPASS. Und folglich warte ich auch nicht seit zwei Wochen auf eine Gerichtsverhandlung, sondern es geht mir prima und ich schreibe vornehmlich Tagebuch und an einem Aufsatz ueber Genitalbeschneidung. Was sich am 14. wirklich abgespielt hat? Wenig Spektakulaeres. Neben meinem Zelt hat der juengere Bruder von Suleiman auf einer Matratze auf dem Boden geschlafen, ich im Morgengrauen aufstehe, zieht er sich nochmal entschlossen die Decke ueber den Kopf. Der Junge hat den Spitznamen “Sanyo”, weil er so viel quasselt. Ich nenne ihn “Sony”. Die Mutter hat “Indschera” zubereitet. Erleichtert stelle ich aber fest, dass das Servierte eher ein Tschapati ist und nicht der leidgewordene Sauerteig aus Teff-Getreide. Rapper-Volksheld 2-Pac ist mal wieder Thema. Ich erklaere den Jungs, dass der nicht umsonst als junger Mann schon erschossen wurde, sondern weil er ein Gangster trotz seines Erfolges blieb, und sein Moerder, ein anderer, erfolgreicher Rapper, wenig spaeter ebenfalls erschossen wurde. Ein guter Songschreiber und Interpret ist eben deshalb noch kein Held. Die Jungs sind stolz, dass sie einen vormals traditionell lebenden Rendille dazu gebracht haben, ihren Ghettolook zu teilen, seinen Schmuck abzulegen (seine Ohrlaeppchen weisen grosse Loecher auf) und jetzt Alkohol zu trinken, Zigaretten zu rauchen und Mira zu kauen. Der Mann sah vorher jedenfalls sicher besser aus als jetzt. Na, herzlichen Glueckwunsch, wenn das eure Definition von Zivilisation ist. Fuer die Jungs bin ich ja ein alter Mann und das meinen sie woertlich. Eine 25-jaehrige Mutter ist eine alte Frau und heisst hier “Mama”. Vielleicht ist diese Altersdefinition der Grund, warum mich auch diese Jungs wieder fragen, was sie machen sollen, um ein besseres Leben zu fuehren, was man verbessern solle in ihrem Land. Da ich nicht viel ueber Kenia weiss, kann ich zu Letzterem nichts sagen. Aber ich sage Suleiman, er solle seine Wurzeln nicht vergessen, verneinen oder gering schaetzen, denn er habe keine anderen und wuerde sonst vielleicht am Ende nur ein Entwurzelter sein. Die Rendille und Samburu aehneln in Aussehen und Tradition den Massai, dem bekanntesten Stamm in Kenia. Wie auch die Massai, leben sie vom Blut der Rinder, dass sie, meist mit deren Milch vermischt, aus einer Halsvene der lebenden Tiere zapfen. Ihre Hauptnahrung braucht keinen Kuehlschrank, kostet nichts und laeuft, ohne getragen werden zu muessen, stets neben ihnen. Dem Tier schadet der Aderlass nicht, denn die Wunde verschliesst sich augenblicklich von selbst und starke Schmerzen scheinen die Tiere dabei auch nicht zu empfinden, denn sie bleiben bei der Prozedur ruhig stehen. Das Blut liefert genug Fluessigkeit, so dass die Hirten mit wenig Wasser auskommen. Da kein Ackerbau betrieben wird, kaufen die Hirten Mais und backen daraus Brot, oder kochen einen Brei. Diese “Diaet” scheint den Menschen gut zu bekommen, denn sie sehen gesund und stark aus und laut Suleiman gaebe es nur eine geringe Saeuglingssterblichkeit. Das sah in Aethiopien ganz anders aus, hier erlebe ich ein gesundes Volk. Bis jetzt habe ich noch keinen Poliokranken, keine Lepra, Elephantitis o.ae. gesehen. Die Menschen gruessen nicht so unterwuerfig wie in Aethiopien, sondern gehen aufrecht, den Kopf stolz erhoben. Sie sind sehr selbstbewusst, aber nicht frech und ich bin von den Halbwuechsigen nicht belaestigt worden. Suleiman erzaehlt, wie mancher 100 km in zwei Tagen barfuss durch den Sand laeuft und dabei mit 4 Liter Wasser auskommt. Sie tragen keine Kopfbedeckung gegen die Sonne und ihr Mut ist legendaer. Hier gibt es, neben ungefaehrlicheren Hyaenen und Geparden, auch Leoparden und Loewen. Man kann kaum glauben, dass es ihnen gelingt, einen Loewen mit einem Speer, duenner als ein Besenstil, oder dem Kurzschwert zu toeten. Im Dorf lebt ein Mann, der wegen einer tiefen Rueckenverletzung nicht mehr gerade gehen kann. Ein Loewe hat ihn einst von hinten angefallen und der Mann hat das Tier mit seinem Schwert getoetet. Die Loewen sind die unbestrittenen Koenige und haben als erwachsene Tiere eigentlich nur den Menschen zum Feind. Es kommt vor, dass sie beim Saufen von einem Krokodil getoetet werden, oder einzelne Tiere von einem Rudel Hyaenen getoetet wird. Giftschlangen und grosse Skorpione koennen toedlich fuer die zweitgroesste Katzenart der Welt (nach dem Sibirischen Tiger) sein. Auch ein bei der wilden Jagd gebrochenes Bein bedeutet das sichere Ende. Loewenmaennchen toeten bei der Uebernahme eines Rudels die von ihrem Vorgaenger gezeugten Jungen und diese fallen auch schon mal einem Leoparden zum Opfer Die Tiere folgen den grossen Herden von Zebras, Bueffeln und Antilopen, die wiederum dem Regen folgen, der ihre Nahrung, Gras und Blaetter, wachsen laesst. Noch herrscht hier Trockenzeit, aber die leichten Regenfaelle und dichter werdenden Wolken kuendigen schon die Regenzeit im April an. Wenn die Herden hierhin, in den Norden kommen, sind die Loewen auch da und es wird fuer die Hirten gefaehrlicher. Vor ein paar Wochen noch hat ein Loewe einen Hirtenknaben der Samburu bei Archers Post getoetet. Mit zwei anderen hatte er abends eine Akazienhecke um die Viehherde gezogen. Der Loewe kam nachts, uebersprang den Schutzwall, nahm den Jungen statt einer Ziege ins Maul und sprang wieder zurueck. Nachdem wir Kamelmilchtee getrunken haben, sattle ich auf. Suleiman schenkt mir eine blau-weiss-rote Halskette. Man bittet mich um meine Giftpumpe, aber die gebe ich nicht her, denn was mache ich, wenn mich eine Giftschlange im Nirgendwo beisst? Ich verlasse diesen gastlichen Ort etwas traurig, aber ich schaue nicht zurueck. Auf nach Sueden, dem Aequator entgegen! Zwei Dik-Diks queren die Strasse vor mir, kurzbeinige, kleine Antilopen. Immer wieder huschen Erdhoernchen in die Buesche. Es gibt hier Zebras, Giraffen und grosse Antilopen, aber ich muss mich auf den vor mir liegenden Untergrund konzentrieren, kann nicht Umschau halten. Die Strasse ist zerfurcht, teils sandig, voller Wellblech, Kies und grossen Steinen. Ein Moment der Unachtsamkeit und die Hinterradfelge ist gebrochen. Ich suche nach 25 km mittags einen schattigen Platz, um die groesste Hitze abzuwarten. Unter einer Akazie, dem Reifen- und Matratzenkiller, raeume ich alles Geaest sorgfaeltig zur Seite, dass dauert eine Viertelstunde. Dann lege ich Plane und Luftmatratze darauf und schreibe Tagebuch, spaeter reinige ich das Rad. Erneut ist eine Speiche am Hinterrad gebrochen und wieder reibt die Felge an der Bremse, die ich einfach aushaenge- die Vorderradbremse reicht bei dem leichten Gefaelle aus. Jetzt koennte ich Ersatzspeichen und Werkzeug gebrauchen, andererseits haette ich es fast 14000 km umsonst mitgeschleppt. Um 16.30 Uhr fahre ich weiter und erreiche Laisamis, ca. 100 km hinter Marsabit. Vor dem Ort werde ich von drei Jungs angebettelt, dann beschimpft. Als ich stehenbleibe und mich umdrehe, rennen sie in den Busch. Dort waehnen sie sich sicher und setzen ihre Tiraden fort. Kleine Gruppen von Rendille-Maennern kommen mir entgegen, versperren mir einfach den Weg. Sie lachen, stubsen mich grob mit ihren Fingern an, betatschen das Fahrrad: Gib das Wasser, gib was zu Essen. Sie kommen gerade aus dem Ort, sind in 15 Minuten zu Hause. Sie brauchen nichts, aber der Muzungu soll was geben, er ist reich. Pustekuchen! Nicht mit mir. Dreimal halten mich 2er-, 3er-Gruppen an, jedesmal dasselbe Spiel. Angesichts der mit Speer, Schwert und Keule Bewaffneten in voller “Kriegsbemalung” koennte man sich vielleicht eingeschuechtert und genoetigt fuehlen, Wegezoll zu zahlen. Die Jungs sind sich ihrer Wirkung auf Touristen durchaus bewusst. Aber freundlich und bestimmt kommt man gut zurecht. Im Ort setze ich mich in ein Restaurant, esse Fleisch und Tschapatis, trinke Soda. Man versucht mich hierzuhalten: Die Strasse ist abends gefaehrlich, nachts gaebe es Loewen. Mag sein, und auch Schlangen, Skorpione, Hyaenen usw.- da waere ich doch besser gleich zu Hause geblieben. Zwei Maenner quatschen mich voll. Einer bruestet sich kindlich-ungeniert, er habe zwar die letzte verloren, aber die naechste Wahl zum Ortsvorsteher werde er 2007 sicher gewinnen.Ob ich ihm Geld geben, oder Unterstuetzung aus Deutschland fuer seine Wahl besorgen koennte. Wenn er dann gewaehlt werde und ich wiederkaeme, sei er sehr reich und wuerde mich zu allem einladen. Ja sicher doch- und ich werde Buergermeister von Takatukaland! Solche Typen sind nun wirklich die Letzten, die gewaehlt werden sollten, sie sind die Geissel der afrikanischen Politik. Nur auf ein Amt aus, um sich durch Macht moeglichst reichlich korrumpieren lassen zu koennen, denn das Amt selbst ist hundsmiserabel bezahlt. Mich nach 5 Minuten als seinen “Freund” zu vereinnahmen und anzubetteln- ein echter Kindskopf. Mit meinem Geld wuerde er sich per Geldverteilung Stimmen kaufen, so laeuft das hier oft. Es ist mittlerweile fast dunkel, ich habe mich mal wieder verquatscht und jetzt ist es wirklich besser, in Laisamis zu uebernachten. Man bietet mir einen Tukul hinter dem Haus an. Drinnen kann man stehen, es gibt ein Bett, ueber das ich mein Moskitonetz spanne. Mit dem Wasser aus einem 20-Liter-Kanister uebergiesse ich mich in der Dunkelheit-herrlich! Beim Bezahlen versucht man mich zu betruegen und ich reagiere entschieden, deute an, wieder abzufahren. Daraufhin entschuldigt sich die Chefin und man schenkt mir ein Fruehstueck als Wiedergutmachung. In der Nacht heulen die Hyaenen und die Hunde bellen sich ihre Angst und Wut weg. geschrieben am 2.4. in Nanyuki
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