3/17/2004 Kenia / Isiolo
Geschafft!
Ueber die Kemba
(Harald) In der Nacht hat sich etwas Hundeartiges bis auf einen Meter meinem Zelteingang genaehert, wie eine deutliche Spur verraet. Ob das ein Schakal, eine Hyaene, oder ein Hund war, der sich nachts alleine so weit in die Wildnis getraut hat, kann ich nicht feststellen. Um 6.10 Uhr stehe ich auf, baue ab, um 6.40 Uhr geht die Sonne auf. Meine Zaehne sind pelzig, mein Hemd steif vom getrockneten Schweiss und Schmutz. Um 7.20 Uhr breche ich auf. Mein Vorderreifen hat ueber Nacht Luft verloren, aber ich pumpe nur auf. Die Piste ist weiter voller Wellblech und Geroell, aber mit etwa 12-15 km/h befahrbar. Ich erreiche die naechste Siedlung Archers Post nach 20 km. Hier wohnen Samburu. Ein paar Huetten, Laeden. Ich esse gezuckerte Tschapatis, trinke Tee, kaufe Wasser. Die Rechnung ist voellig ueberhoeht, ich verhandle, man akzeptiert meine Preisvorschlaege. Man spricht mich an, verwundert, woher ich hier im Norden schon die Preise so genau kenne, nicht realisierend, dass ich als Radfahrer nicht ein, zwei Tage brauche, um hier anzukommen, sondern 10. Ich quatsche wieder mal zuviel, wie ein Wasserfall. Mir fehlt Austausch, nicht neuer Input. All das Erlebte will verarbeitet werden, will gefiltert, beurteilt, sortiert sein. Waehrend ich mich sprechen hoere, manchmal kurz nachher, realisiere ich erst wirklich, was mich besonders beeindruckt hat, was nachhaltig war, schoen, erschreckend, verstoerend. Was war wichtig? Was habe ich da eben gesagt? Ich wusste garnicht, dass ich so dachte, bevor ich es aussprach. Um 10 Uhr fahre ich weiter, 2 frisch gebackene Tschapatis im Gepaeck. Es sind noch etwa 40 km bis Isiolo, dem seit ueber zwei Jahren in meinen Gedanken kreisenden Ort. Das Ende der schlechten Wegstrecken, das Ende des gefaehrlichsten Abschnittes. Vor mir tauchen aus dem Dunst der Ferne hohe Berge auf, sind alsbald im Halbkreis um mich herum aufgetuermt. Es wird gruener, sogar saftiges Gras fuellt jetzt die Freiflaechen. Eine kleine Siedlung, ein Laden. Ich sitze im Schatten unter einem grossen Baum auf einer einfachen, schmalen Holzbank, einem Donnerbalken gleich., trinke Soda, esse meine Tschapatis, teile meine Kekse mit drei Kindern. Hier leben Turkanas, weit weg von zu Hause, denn der See gleichen Namens liegt hunderte Kilometer entfernt im Nordwesten. Einige tragen traditionelle Kleidung, rot-karierte Wolldecken, nackte Oberkoerper, die Frauen schwere Halsketten, rot, viel Gelb, die Schaedel wie Punks an den Seiten kahlrasiert, die restlichen Haare zu fettigen Zoepfen gewoben, liegen auf dem Schaedel, die Haut fast schwarz. Nur gegen ein Entgeld von 20 KS (20 Cent EU) darf ich eine alte Frau fotografieren. Weiter, noch 18 km bis Isiolo. Die Karte weist die Strecke bis dort als bessere Strasse aus, aber sie ist voller scharfkantigem Vulkanbrocken und Wellblech. Ich trete durch, fresse die km runter, die Kette knirscht von Sand und Staub, es ist heiss. Endlich ankommen, endlich weg von dieser Misere. Isiolo taucht auf, schimmernde Wellblechdaecher, weisse Gebaeude, ein Minarett. Pfuetzen auf der Strasse und das junge Gras verraten Regenfaelle. Ich ueberquere den ersten Fluss. Zuerst erscheinen wieder die Gesichtsfliegen, dann Herden und Hirten, dann die Siedlung. Vor mir tauchen Bruchstuecke einer Teerstrasse auf- der langersehnte Augenblick ist da. Ich mache Halt, ein magischer Augenblick, Erleichterung. Geschafft, ich habe es geschafft, eine der haertesten Strecken in Afrika. Sudan im Norden und Osten, Aethiopien im Osten und Zentralen Hochland, Kenia im Norden- rund 2000 km dieser Radfahreralbtraumstrecken liegen hinter mir. Ich kaufe Mangos, suche sorgfaeltig eine Tuete mit reifen Fruechten aus. Aber die Frau kann nicht wechseln und ich muss mich an einen Laden wenden, in dem ich Kekse und Suessigkeiten fuer die vielen Kinder um mich herum kaufe. Als ich die Mangos schaelen will, stelle ich fest, dass die Frau die reifen gegen unreife Frueckte ausgetauscht hat. Traue den Leuten nicht! haemmere ich mir immer wieder ein, aergere mich ueber meine Gutglaeubigkeit. Aber staendig misstrauisch, auf der Hut zu sein, ist anstrengend und macht feindselig. Hier sitzen viele junge Maenner herum, die geradezu verzweifelt bittend Messer mit Horngriffen und biegsame Armreifen aus Kupfer, Messing und silbrigem Metall verkaufen wollen. Es sind Somalis, die der grausame Buergerkrieg in ihrer Heimat hierhin vertrieben hat. Ein Borana ist unter ihnen, mehrere Sudanesen aus dem umkaempften Sueden ihres Staates. Sie haben mit John Garang gegen den moslemischen Norden gekaempft. Die Somalis sind Muslime, schon aeusserlich leicht zu erkennen, mit ihren scharfgeschnittenen Gesichtern, ihren Baerten und Kaftas und Turbanen. Ich fahre ins Zentrum. Es gibt viele Kleinwagen, Hotels, Geschaefte und eine grosse weisse Moschee. Seitdem ich die Grenze ueberschritten habe, ist nicht ein einziger Stein geworfen worden, nie sind mir hysterisch kreischende Kinder nachgelaufen, die mich aggressiv anbetteln. Auch hier wird hin und wieder gebettelt, aber meist stumm, oder mit einem “Please”. Niemand versucht mich allerdings zu bedraengen. In einem Restaurant esse ich weiter: Chips mit Gemuese bis es weh tut, waehrend immer wieder Maenner Messer und Armreifen feilbieten. Es ist etwa 40 Grad heiss, vielleicht mehr, aber Gewitterwolken ziehen auf. Jetzt mag der Regen ruhig kommen, ich bin auf Asphalt, gerettet. Nebenan ein billiges Hotel, ich handle den Uebernachtungspreis auf 150 KS herunter (1,50 EU). Die versprochene heisse Dusche funktioniert natuerlich wieder mal nicht und ich springe foermlich von Strahl zu Strahl, um nass zu werden. Aber was fuer eine Wohltat, trotzdem. Die Toiletten sind sauber, das Zimmer klein, hat ein Moskitonetz mit faustgrossen Loechern. Ich schneide es von der Decke und haenge das meinige auf. Und endlich Zaehne putzen, rasieren, alles waschen. Ich mache eine lange Liste darueber, welche Erledigungen anstehen. Dann sitze ich zwecks weiterer Nahrungsaufnahme wieder im Eckrestaurant “The Roots”. Der Manager heisst Samuel Maluki, ein Kamba (oder auch Akamba) aus Kitui, suedoestlich von Nairobi. Die Kamba sind Kenias viertgroesste Volksgruppe, gehoeren der Bantu-Sprachfamilie an und haben einen guten Ruf als Vermittler zwischen den Volksgruppen. Urspruenglich Jaeger, aenderten sie ihre Lebensweise im 17. Jh. und wurden zunehmend sesshafte Bauern, Haendler und Handwerker. Sie sind bekannt fuer gute Toepferarbeiten, Korbflechterei und Schnitzkunst, sowie die Herstellung von Eisenwaffen und Pfeilgiften. Sie handelten mit Elfenbein und erst die durch die Englaender Mitte des 19. Jh. eingeschleppte Rinderpest und nachfolgende Naturkatastrophen, machten auch diesem Lebenswandel ein Ende. Sie verdingten sich schliesslich bei den Englaendern im 1. Weltkrieg und gelten als intelligent, zuverlaessig und mutig. (Quelle: Hartmut Fiebig: “Kenia”, Reise Know How Verlag) Schon bald nach Einbruch der Dunkelheit verziehe ich mich unter mein Netz, stecke mir Toilettenpapier gegegn den Laerm in die Ohren und genehmige mir ein halbes Dutzend Muetzen Schlaf. geschrieben am 4.4. in Nanyuki
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